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Bistum Dresden Meissen
29. November 2020

Hirtenwort zum 1. Advent

von Bischof Heinrich Timmerevers

Den Text des Hirtenworts können Sie hier herunterladen und nachlesen - hier klicken...

Bischof Heinrich spricht das Hirtenwort zum 1. Advent im Video - hier klicken und auf Youtube ansehen...

 

Hirtenwort zum ersten Adventssonntag
29. November 2020

 

Liebe Schwestern und Brüder,

ob auf der Elbe, Mulde oder im Leipziger Neuseenland, ob Dampfer oder Fahrgastschiff: derzeit ist Stillstand. Das Corona-Virus und die Maßnahmen zur Eindämmung lassen weit über die Schifffahrt hinaus unser gesellschaftliches, kulturelles und auch kirchliches Leben in vielen Bereichen ruhen.

Währenddessen gleicht das Pandemiegeschehen hingegen stürmischen Gewässern, mit Nebel und Wind aus unterschiedlichen Richtungen. Nur winken wir nicht vom Ufer, sondern stehen selbst auf Deck. In unterschiedlicher Weise sind wir betroffen, einige sogar existentiell.

Seid wachsam

„Seid wachsam“, „bleibt wach“, ruft Jesus den Jüngern im heutigen Evangelium zu, und ich höre diesen Ruf mitten in der Pandemie auch an uns gerichtet: „Passt auf!“ Doch worauf?

Das Gleichnis des heutigen Evangeliums beschreibt die Hoffnung auf die Wiederkunft des Menschensohns. Für die ersten Christen war es damals die nahe Erwartung, dass Jesus schon zu ihren Lebzeiten wiederkommt und die Erlösung von Ungerechtigkeit vollendet. Diese Hoffnung hat das Leben der jungen Gemeinde verändert.

In diesen Tagen erlebe ich an vielen Stellen ebenfalls einen Fokuswechsel: Unsere Gesellschaft legt täglich ihre Aufmerksamkeit auf Inzidenzwerte und freie Intensivbetten. Vielen bereiten Zahlen und Maßnahmen Sorgen, manchen machen sie Angst. Ja, das auf Fakten basierte Ringen um adäquate Maßnahmen und Einschränkungen ist notwendig. Doch sollten wir unser ganzes Leben von Corona bestimmen lassen?

Kürzlich hörte ich von einem Gespräch zweier Freunde. Die Leidenschaft für den Fußball verbindet die beiden. Doch beim Thema Corona-Virus scheiden sich die Geister. Der eine sieht die Sinnhaftigkeit der vielen Einschränkungen, der andere hingegen hält all das für völlig unverhältnismäßig und den Schaden größer als den Nutzen. Sie diskutieren bis in den späten Abend, die Fronten verhärten sich. Sie merken, wie das Virus plötzlich ihre Freundschaft schwer belastet. Beim darauffolgenden Treffen wechseln sie die Perspektive und fragen sich: Was verbindet uns? Fußball und Erinnerung an gemeinsam Durchgestandenes. Es gibt viel mehr, was ihr Leben ausmacht und sie gemeinsam haben. Im Austauschen wächst die Hoffnung, dass all das wieder möglich werden wird – und zwar gemeinsam. Sie merken dabei, dass das Erzählen des gemeinsam Erlebten, aber Vergangenen, nicht reicht. Sie brauchen einen Hoffnungshorizont, für den es sich lohnt, gemeinsam weiterzugehen.

Wenn sich diese Geschichte nicht so zugetragen hätte, müsste man sie erfinden.

Das heutige Evangelium ermutigt, den Fokus auf Hoffnungen zu setzen. Worauf hoffen wir? Das ist keine Frage, die wir mit einem Fingerzeig auf Hygienekonzepte oder Corona-Schutzverordnungen beantworten könnten. Sie ist vielmehr jedem persönlich und auch uns als Gemeinschaft gestellt. Ich möchte nicht, dass das Virus, die Angst davor, der Ärger oder Streit darüber zum Dreh- und Angelpunkt meines Lebens wird. Ich kann mich immer wieder daran abarbeiten – oder die Situation annehmen und mit einer Hoffnung füllen. Ich bin überzeugt, dass uns als Christen, aber auch als Gesellschaft und als Menschheit viel mehr verbindet, als uns dieses Virus oder 1,5m-Abstand trennen kann.

Am vergangenen Wochenende habe ich mich mit Seelsorgerinnen und Seelsorgern unseres Bistums in einer Videokonferenz ausgetauscht. Es ging um das, was uns in den Tagen der großen Einschränkungen geistlich getragen hat und weiterhin trägt. Das Erzählen hat mich und auch die anderen ermutigt und bestärkt. An vielen Stellen wünsche ich mir mehr solch eine „Erzählgemeinschaft der Hoffnung“.

Mir ist bewusst: Gott als Hoffnung in der Krise zu entdecken ist nicht leicht. Ob im Exodus des Volkes Israel, in den Psalmen oder in den prophetischen Schriften: immer wieder machen Menschen die Erfahrung, dass Gott die Not nicht einfach auflöst. Es kommt uns manchmal so vor, als hätte er sein „Angesicht vor uns verborgen“, wie es heute in der Lesung von Jesaja zu hören war. Es drückt sich darin ein unheimliches Erschrecken des Menschen über Unheil und Leid aus. Die wechselvollen Erfahrungen der Menschen mit Gott, wie sie die Bibel erzählt, sprechen für mich aber gerade im Ringen mit Gott von einer unverbrüchlichen Hoffnung: Ich wende mich auch und gerade dann an Gott, wenn ich ihn nicht verstehe, wenn ich ihn als mir fern erfahre. Und wenn es eben mit einem Klagegebet ist. Jedes Ringen und auch jeder Vorwurf sind doch mit der stillen Hoffnung verbunden, dass sich Gott als Gott erweisen möge. Es ist die persönliche Erfahrung, nicht die intellektuelle Deutung, die in der Krise trägt.

Das Evangelium am ersten Advent ist nach diesen Erfahrungen für mich ein wichtiger Impuls: Lasst uns wachsam sein, dass wir den Blick auf Gott und den Blick auf all das, was uns Hoffnung schenkt, nicht verlieren. Es ist ein zutiefst adventliches Motiv: „Ausblicken auf den Herrn“. In den vier kommenden Adventswochen können wir mehr zu adventlichen Menschen werden, Menschen voller Hoffnung!

Ich lade sie ein, in diesen Tagen Momente der Stille zu suchen und der Frage nachzugehen: Was schenkt mir in dieser Zeit Hoffnung?

100 gute Gründe

Mit der Frage, was uns Hoffnung schenkt, sind wir schon auf einer gedanklichen Reise – mitten auf unbekannte See und mitten hinein ins Bistumsjubiläum. Heute, mit dem ersten Advent starten wir in das neue Kirchenjahr und damit auch in das Jubiläumsjahr. Wir feiern 100 Jahre Wiedererrichtung des Bistums Dresden-Meißen. Eigentlich ein Fest. Und das mitten in unsicherer Zeit.

„100 gute Gründe“ heißt es im offenen Motto zum Bistumsjubiläum. Es will zum Nachdenken anregen, was uns als Glaubenszeuginnen und ‑zeugen wichtig geworden ist. Dazu gehört, beim Blick auf die Geschichte zu entdecken, wie Gott uns durch die Ereignisse der Zeit geführt hat. Der Blick nach vorne lässt gemeinsam fragen, wo Kirche morgen ganz konkret werden kann. Mit einer festlichen Eucharistiefeier und Begegnung wollen wir das auf dem Bistumstag am 20. Juni 2021 in Dresden als einem Höhepunkt tun. Darüber hinaus sind regionale Veranstaltungen im ganzen Bistum über das Jubiläumsjahr verteilt geplant – in dem Rahmen, wie es die Corona-Maßnahmen zulassen.

„100 gute Gründe“ fordern uns ganz persönlich. Dass Sie heute hier innehalten und Gottesdienst feiern, geschieht nicht ohne Grund. Sie haben sich dafür entschieden. Dass Sie Christinnen und Christen sind, ist nicht ohne Grund. Heutzutage Christ zu bleiben, geschieht auch nicht grundlos. Dass Sie den Glauben weitergeben, ist begründet.

Der Apostel Paulus schreibt im ersten Brief an die Gemeinde in Korinth: „Denn einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist: Jesus Christus.“ Dieser Satz ist von fundamentaler Bedeutung! Weil er den Kern unseres Glaubens in wenigen, einfachen Worten formuliert: Es geht um eine grundlegende Freundschaft mit Jesus. Wie jede bedeutende Beziehung bedarf ein solches Miteinander sorgsamer Pflege und Aufmerksamkeit. Eine Freundschaft kann wachsen, sich entfalten und vertiefen.

Ich wünsche mir für das Jubiläumsjahr, dass wir dem eigenen Glauben auf den Grund gehen. Und zwar in all den vielfältigen Facetten, von der Hoffnung bis zum Zweifel. Knapp gefragt: Welche 100 guten Gründe hat jede und jeder von uns für den einen Grund? Mir ist bewusst, dass es dafür sensible und geschützte Räume braucht, doch ermuntere ich gern: Tauschen Sie sich in Ihren Pfarreien und Gemeinden, in den unterschiedlichen Gruppen, in Ihren Familien oder mit den Freunden darüber aus. Was gibt Ihnen Grund zu glauben? Ich bin davon überzeugt, dass jede und jeder ganz eigene, wertvolle und glaubwürdige Antworten darauf findet. In der österlichen Bußzeit werden „Exerzitien im Alltag“ im Bistum das vertiefen. Schweigen wir nicht über die Hoffnung, die uns trägt!

Liebe Schwestern und Brüder, in den nächsten Monaten wird Ihnen an verschiedener Stelle im Bistum ein Schiff begegnen. Denn das Logo für das Jubiläum ziert ein Boot. Es hat sich als Bild für die Kirche in den unterschiedlichen Fahrwassern der Zeit bewährt, auch als Bild für Gemeinde ist es uns vertraut. Angesichts der Pandemie wird auch dieses Jubiläumsjahr nicht einfach werden. Es sind eben jene Nebel, die uns umgeben.

Biblisch spielt das Boot bei vielen ganz wesentlichen Erfahrungen der Jünger mit Jesus am See Genezareth eine Rolle: bei der Stillung des Seesturms, beim Gang über das Wasser oder auch beim reichen Fischfang. Das Motiv des Bootes lädt uns ein, an Bord zu kommen. Lassen wir uns wie die Fischer am See auf die verändernde Begegnung mit Jesus ein – ob beim alltäglichen Tun, in den Stürmen des Lebens, bei Gegenwind oder auch in Klage und Zweifel.

Damit es eine gemeinsame „Fahrt“ mit Ihm durch diesen Advent, durch die Corona-Pandemie und durch das Jubiläumsjahr wird, erbitte ich Ihnen seinen Segen.

So segne und begleite euch der barmherzige und euch liebende Gott, + der  Vater, + der Sohn und + der Heilige Geist. Amen.

Dresden, am 25. November 2020

+ Heinrich Timmerevers
Bischof von Dresden-Meißen