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Bistum Dresden Meissen
12. Januar 2021

Götter in Weiß an ihren Grenzen?

Akademie-Podcast: Ethische Perspektiven zur Triage in Deutschland

Dresden. Angesichts des weiterhin hohen Belastungsgrads des medizinischen Systems aufgrund der aktuell circa 6.000 intensivbehandlungsbedürftigen Patienten diskutiert „Mit Herz und Haltung“, der Podcast der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen, mit der heute erscheinenden Episode Triage-Entscheidungen. Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery, Vorsitzender des Vorstandes des Weltärztebundes, und Prof. Dr. Franz-Josef Bormann, Professor für Moraltheologie und Mitglied des Deutschen Ethikrates, diskutieren über die Notwendigkeit eines rechtlichen Rahmens für Triage-Entscheidungen, die damit verbundene ethische Reflexion und die psychischen Folgen bei Entscheidungsträgern.

Forderung nach klaren Kriterien für Triage-Entscheidungen

Der Vorsitzende des Vorstandes des Weltärztebundes, Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery, sieht in der Triage-Entscheidung in jedem Fall eine schwerwiegende psychologische Herausforderung, denn sie „bleibt immer an einem Menschen hängen. Und diesen Menschen dürfen wir nicht fallen lassen, dem müssen wir helfen“, betont er. Die psychologischen Belastungen von Triage seien sowohl auf Seite der Entscheidungsträger als auch auf Seite der Patienten und Angehörigen groß. Während Triage-Entscheidungen bei Ärzten zu erhöhter Suizidalität führen können, so Montgomery, haben Patienten, die aufgrund einer zu ihren Gunsten getroffenen Triage-Entscheidung überleben, mit Schuldgefühlen zu kämpfen, ergänzt Prof. Dr. Franz-Josef Bormann, der als Mitglied des Deutschen Ethikrates in der aktuellen Situation die Bundesregierung intensiv berät.

Montgomery macht außerdem auf die fehlende rechtliche Absicherung von Ärzten im Falle von Triage aufmerksam. Ihm zufolge müssten für solche Entscheidungen die Kriterien Dringlichkeit und Erfolgsaussicht der Behandlung weiter konkretisiert werden. Ohne saubere Argumentation würden viele Fälle andernfalls als Altersdiskriminierung wahrgenommen werden. Zwar habe die Verhinderung von Triage-Entscheidungen die höchste Priorität, aber dennoch fordert Montgomery, hierfür klare juristische Kriterien aufzustellen. Ein solcher Rahmen brauche jedoch noch viel theoretische Vorarbeit. So muss beispielsweise der Begriff „Erfolgsaussicht“ operationalisiert werden und mit dem Faktor der Ressourcenintensität verbunden werden, so Bormann.

Beide teilen ein Unverständnis gegenüber einem leichtfertigen Umgang mit den Corona-Maßnahmen. „15 % leben einen ungenierten Hedonismus und eine Freude am Bruch der Regeln aus, der alle anderen […] in die Quarantäne zwingt“, so Montgomery.

Bormann erhofft sich von der katholischen Kirche, dass sie in dieser Zeit nicht nur partikularen Interessen folgt, sondern mit ihren theoretischen Instrumenten vernünftige Argumente zu Diskussion beiträgt. Ärzte, die in Triage-Situationen handeln oder gehandelt haben, brauchen hingegen seelsorgerischen Beistand und keine Anklage vonseiten der Religionsgemeinschaft, sagt Montgomery.

Das ganze Gespräch zum Nachhören finden Sie unter: www.ka-dd.de/podcast

 

Bildungspodcast „Mit Herz und Haltung“

Im Bildungspodcast „Mit Herz und Haltung“ der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen nehmen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens sowie Expertinnen und Experten verschiedener Fachdisziplinen Stellung zu den wissenschaftlichen, gesellschaftlichen, kulturellen und kirchlichen Fragestellungen. Neue Folgen erscheinen in regelmäßigen Abständen auf Spotify, Deezer, Apple Podcasts, YouTube sowie auf den Websites der Akademie (www.lebendig-akademisch.de) und des Bistums (www.bistum-dresden-meissen.de).

Bislang sind über 70 Folgen erschienen.