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Bistum Dresden Meissen
Joachim Gauck sprach in Dresden über "Zusammenwachsen in rauen Zeiten". © Michael Baudisch
05. Dezember 2019

Freiheit, Eigenverantwortung und selbstgestaltetes Leben

Altbundespräsident Gauck sprach im Dresdner Albertinum über die Themen seines Lebens

Dresden. Der Mann ist mit sich im Reinen. Blendend aufgelegt betritt Joachim Gauck am Abend des 4. Dezembers die Bühne im Lichthof des Albertinums. Auf Einladung der Katholischen Akademie des Bistums will er hier über „Unser Land. Vom friedlichen Zusammenwachsen in rauen Zeiten“ sprechen. 850 Gäste sitzen gespannt im Saal, um zu erfahren „wie das geht“ – so hat es Akademiedirektor Thomas Arnold in seiner Begrüßung formuliert. Gemeinsam mit den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, der ZEIT-Beilage Christ & Welt und der Landeszentrale für politische Bildung hat er die Veranstaltung ins Leben gerufen. Deren Leiter Roland Löffler spricht in seinem Grußwort gar von Sachsen als einem Land, „das wie ein Labor in rauen Zeiten wirkt“.

„Da habt ihr mir ganz schön was aufgeladen“ – so Gauck bescheiden. Doch der Altbundespräsident widmet sich dann doch schnell dem Thema. Eine Stunde lang spricht er frei zu seinen Zuhörern. Der 79-jährige braucht kein Manuskript, wenn er über die Themen seines Lebens spricht: Freiheit, Eigenverantwortung und selbstgestaltetes Leben.

Und er erinnert an den – wie er sagt – glücklichsten Moment seines Wirkens, der eng mit dem geschichtsträchtigen Datum dieses Abends verknüpft sei: „Morgen vor 30 Jahren drangen die Menschen in die Stasi-Zentralen ein.“ Zehn Jahre war er von 1990 an als Leiter der häufig nach ihm benannten Gauck-Behörde damit beschäftigt, die Unterlagen, die damals sichergestellt wurden, zugänglich zu machen und zu erforschen.

Ost und West aus eigener Anschauung

Das Besondere dieses Mannes, der von 2012 bis 2017 als Bundespräsident das höchste Amt im Staate bekleidete: er verbindet. Kennt Ost und West aus eigener Anschauung. „Im Kopf bin ich mehr Wessi, im Gefühl mehr Ossi. Früher Ostdeutscher, heute Gesamtdeutscher.“ Er nennt sich – obwohl er als gebürtiger Mecklenburger zuvor süffisant an die traditionellen Zwistigkeiten des Küstenvolkes mit den Sachsen erinnert hat – „einen Liebhaber des Sachsenvolkes“, wenn er an die mutigen Menschen denkt, die 1989 in Plauen, Leipzig und Dresden für die Freiheit auf die Straße gingen. Und die „das schönste Wort der Politikgeschichte prägten: ‚Wir sind das Volk!‘“

Aber er redet nicht nur nach dem Mund. Etwa wenn er über „Glück“ spricht. „Glück liegt in uns selbst; wir werden nie dahin kommen, wenn wir nicht lernen, uns selbst dafür zuständig zu erklären“, so Gauck. Versorgungsmentalität ist ihm fremd. Der Altbundespräsident ist jetzt in seinem Element. Gestikuliert, stützt sich auf das Pult.

Er ärgert sich über das Bild des Ostdeutschen, das „von einer Minderheit und bestimmten Gruppe“ geprägt werde, während die Mehrheit der Ostdeutschen deutlich für Demokratie stehe. Er spricht seine Zuhörer mit „Du“ direkt an, holt seine Thesen ins Konkrete, redet gegen Ost-West-Mentalität an. „Es gab unter den Wessis, die kamen, ein paar Bekloppte. Aber die gab es auch hier.“ Und: „Wenn die Wessis nicht gekommen wären, wie würde es dann heute in unseren Gerichten, Verwaltungen aussehen?“

Warnung vor modernen Verführern

Er hebt warnend den Zeigefinger vor Gruppierungen und ihren „modernen Verführern“, die „sich vor der Freiheit fürchten“ und mit übersteigertem Nationalismus reagieren – selbst „in den schönsten Ländern“ sei das zu beobachten, so der Altbundespräsident. Er blickt auf identische Entwicklungen in der Schweiz, in Schweden, den Niederlanden.

Und er lässt im Rückblick an seinen Erfahrungen unter dem DDR-Regime teilhaben. Erzählt von seinem Bruder, der trotz vorhandener Qualifikation aufgrund fehlender SED-Parteizugehörigkeit eben nicht Leitender Ingenieur auf einem Schiff werden konnte. Eine Erfahrung, die „auch in anderen Lebensbereichen identisch“ gemacht worden sei – von der Verwaltung bis zu den Kliniken. „Angst und Anpassung wurden die Tugenden dieser Diktatur“, so Gauck. „Dadurch verändern sich Mentalitäten.“ Aber der Altpräsident bleibt hoffnungsvoll: „Das sind Transformationsprozesse. Das gibt sich irgendwann.“

Joachim Gauck, das spüren seine Zuhörer, hat eine Botschaft. Gelöst, unterhaltsam, manchmal mit fast kabarettistischen Einlagen spricht er sein Publikum an. Mit Blick auf den jungen Leiter der Katholischen Akademie meint er augenzwinkernd „Wir werden diesen jungen Dingern mal erklären, wie das war damals.“

Den Chancen der Freiheit vertrauen

Er erinnerte an den Zusammenhalt, den die Unterdrückung etwa gerade in den kirchlichen Gemeinschaften geschaffen habe. „Deshalb waren uns unsere Freundschaften, unsere Cliquen, unsere Kirchgemeinden so wichtig“, berichtet der evangelische Theologe. Aber er mahnt auch dazu, diesen Erfahrungen nicht nachzutrauern, sondern die gewonnenen Freiheiten der Demokratie als Chance zu begreifen. „Man muss sich auch in der Freiheit engagieren wollen“, so der Altbundespräsident. „Mancher fürchtet mehr die Freiheiten, als dass er die Chancen sieht.“

Lediglich ein älterer Herr verlässt an diesem Abend während der Rede provokativ kopfschüttelnd und mit dem Finger an den Kopf tippend den Saal. Der Altbundespräsident hingegen erntet nach seiner einstündigen Ansprache „aus dem Herzen“ – wie Akademiedirektor Arnold resümiert – viel Beifall. „Den Ängsten den Abschied geben und nicht den Verführern glauben. Also – das war’s.“ Fast eine Minute klatschen seine Zuhörer, bis Gauck schmunzelnd für den Beifall dankt: „Leute, das ist kein Parteitag.“

Michael Baudisch


Die Kathedralgespräche im Albertinum finden in Kooperation mit den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, der Landeszentrale für politische Bildung und der ZEIT-Beilage Christ & Welt statt. Als Teil der Veranstaltungsreihe „Sturzlage“ wird der Abend unterstützt durch die Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek, die Professur für Systematische Theologie am Institut für Katholische Theologie der TU Dresden sowie DRESDEN concept.

 

Die Veranstaltungsreihe „Sturzlage“ wird gefördert mit Mitteln der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur sowie durch Steuermittel auf Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushaltes im Rahmen der Richtlinie Revolution und Demokratie. www.revolution.sachsen.de

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