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Bistum Dresden Meissen
Diskussionsrunde mit den Gästen des Abends. © Michael Baudisch
03. Mai 2022

Vom Glück der langen Leine

Bischof Heinrich spricht mit den Gemeinden über die Seelsorge-Ausrichtung im Bistum. Auftakt der Reihe war in Gera.

Gera. Montagabend in Gera. Die Mai-Sonne scheint warm in den Gemeindesaal der Pfarrei St. Elisabeth. In einer Ecke sind Laugenbrezeln mit Frischkäse und frische Trauben als Imbiss vorbereitet. Auf den Tischen stehen Wasserflaschen. Bunte Zettel und Stifte liegen für Abstimmungen und Notizen parat. Die Plätze sind an diesem Thüringer Abend des Bistums gut besetzt. Rund drei Dutzend Katholikinnen und Katholiken sind aus allen Pfarreien des Dekanats nach Gera angereist. Darunter Priester, Gemeindereferenten, vor allem aber viele ehrenamtlich Engagierte, und auch eine Handvoll Gemeindemitglieder, die sich ganz einfach so für das Thema des Abends interessieren.

Aus Dresden ist Bischof Heinrich Timmerevers mit einer großen Abordnung der Pastoralabteilung des Bischöflichen Ordinariats in die Otto-Dix-Stadt gekommen. Er sucht das Gespräch mit den Menschen vor Ort, wie die Seelsorge im Bistum in Zukunft aussehen kann. Die Rahmenbedingungen hat der Geraer Dekan Bertram Wolf auf einem Plakat mit einem Liniendiagramm eindrücklich dargestellt. Immer weniger hauptamtliche Seelsorgerinnen und Seelsorger stehen zur Verfügung. Das Geld wird knapper. Die Gemeinden werden kleiner. Die einzige aufsteigende Linie: Die Zahl der Kirchenaustritte.

Der Austausch über die unterschiedlichen Ideen zu den Wegen in die Zukunft ist dem Bischof besonders wichtig. „Ich sehe das als Übungsfeld in der Synodalität“, das sagt der Oberhirte schon in seiner kurzen Eröffnungsansprache zu Beginn des Abends. Und er macht klar, dass viele Fragen auch heute offenbleiben müssten. Dass das gemeinsame Ringen um Lösungen aber schon ein großer Wert für sich sei. Synodalität führe zu einer Kirche, die einbindet, anstatt auszugrenzen.

Umfrage zur Lage

„Wo bleibt der Erkundungsprozess?“ – diese Frage hat Heinrich Timmerevers bei seinen Besuchen in den Gemeinden auch nach der Neugründung der Pfarreien immer wieder gehört. Grund genug für ihn, dem Thema mit einem neuen Impuls zu begegnen. So gab er eine Umfrage in Auftrag. Seine Pastoralabteilung erhob mit einem Fragebogen in Interviews die Stimmung in den Gemeinden. Und sie gingen der Frage nach, welche Schwerpunkte vor Ort nun gesetzt werden sollten. Aus den Rückmeldungen filterte Bischof Heinrich acht Kernanliegen heraus: Weiterentwicklung einer dialogischen Kultur, Offenheit und Mut zu Veränderungen, Akzeptanz von Unterschiedlichkeit und Vielfalt, Klärung von Aufgaben und Rollen, Fläche und Zentrum im Blick behalten, Qualifizierung und Begleitung der Ehrenamtlichen, Vernetzung und Kooperation sowie Verbindung von Struktur und Spiritualität.

Dazu möchte er nun mit den Menschen in seinem Bistum ins Gespräch kommen. Wer zu dem Abend ins Pfarrhaus nach Gera gekommen ist, wird per Los an einen Tisch verteilt. So sitzen Gemeindemitglieder aus Altenburg neben Schleizern, Greizern oder Besucherinnen anderer Thüringer Regionen. Eine Dame aus dem Saale-Holzland-Kreis berichtet, dass sie es durchaus schätzt, dass Dresden weit weg ist. Entscheidungen könnten und dürften vor Ort selbstbestimmt und eigenverantwortlich getroffen werden. Diese „lange Leine“ wird am Abend noch häufiger ins Wort gehoben. Und durchaus positiv wahrgenommen. Die Menschen genießen ihre Freiheiten. Und die erwähnte lange Leine fördert offensichtlich die Kreativität.

Auch widersprüchliche Ansichten

Der Abend ist sorgfältig vorbereitet. Neben einem kurzen Videoclip als Einstieg gibt es Diskussionen an den Tischen, vor Ort vorbereitete Beiträge der Teilnehmer, Reaktionen des Bischofs. Die Stimmen der Gäste sind vielfältig und spiegeln die Bandbreite der Stimmungslage wieder, in der sich die Katholische Kirche in Deutschland derzeit befindet. So meldet sich ein Mann immer wieder lautstark zu Wort, um vehement seine Ablehnung des Synodalen Wegs oder der Frage nach Frauen im Priesteramt vorzutragen. Andere Teilnehmende bringen ihre Hoffnungen gerade mit Blick auf diese Punkte zur Sprache. Bischof Heinrich nennt „Maulkörbe“ in der Diskussion „nicht sinnvoll“. Könne Gottes Geist nicht auch im Suchen und Ringen sichtbar werden und wirken?

Die Sorgen der Menschen vor Ort seien unter den Corona-Bedingungen noch verschärft worden. Ein „Brandbeschleuniger“ – so nennt es der Bischof. Ob die Beteiligung vor Ort nach dem Abklingen des Virus auf das Vor-Corona-Niveau zurückkehren wird? Er bleibt da skeptisch. Die Kirche müsse „nach vorne denken, sich neu aufstellen, und auch von Dingen verabschieden.“

Mut machen zu seelsorglichen Entscheidungen vor Ort

Ein Seelsorger aus Altenburg berichtet im Tischgespräch, dass er erstaunt darüber ist, „wie viele Menschen Verantwortung vor Ort übernehmen.“ Eine Erfahrung, die auch Heinrich Timmerevers schildert. Und er möchte Mut dazu machen, dass nicht nur die Hauptamtlichen die Seelsorge vor Ort gestalten könnten. „Getaufte und Gefirmte sind gemeinsam die Träger der frohen Botschaft“, so der Bischof. Er wolle das kirchliche Leben mit Blick auf pastorale Fragestellungen nicht zentralisieren. Und er betont den Wert der Leiterinnen und Leiter von Wort-Gottes-Feiern, auch wenn ein Priester im Saal kritisch dazu anfragt, ob denn die Gemeinden darauf überhaupt vorbereitet seien.

Lebhaft wird es dann ganz am Ende noch einmal. Im Halbkreis nehmen der Bischof, die Leiterin der Pastoralabteilung Silke Meemken, außerdem eine Gemeindevertreterin und ein Vertreter eines kirchlichen Ortes Platz. Drei Stühle bleiben frei. Jede und jeder ist eingeladen, während der nun entstehenden Diskussion Platz zu nehmen, um mitzureden und seinen Stuhl dann auch wieder für andere zu räumen.

Der vielleicht eindrücklichste Moment des Abends

Die Vielfalt der Ansichten, die breite der Themen von Weltkirche bis zur Situation vor Ort bleibt auch hier erhalten. Doch der Grundtenor des Gesprächs ist hoffnungsvoll. Ein Gemeindereferent betont den Wert der Laien, „dass nicht etwas wegfallen muss, wenn kein Priester da ist.“ Die Frage müsse sein: „Was geht trotzdem?“ Ein Priester hebt ausdrücklich die Begabung der Frauen für die Seelsorge hervor. Er habe gerade in der Diaspora immer wieder Frauen als "Kristallisationsfiguren“ und Persönlichkeiten erlebt, die auf ihre Weise „Gemeinde geleitet haben“. Sie hätten eine andere Herangehensweise, eine andere Sprache, und könnten die Menschen dadurch positiv anders erreichen.

Während der Altersdurchschnitt der Gäste an diesem Abend vermutlich deutlich über 50 Jahren liegt, meldet sich der einzige jugendliche Teilnehmer zu Wort. Er erzählt von seinen Erlebnissen mit einer aktiven Jugendarbeit in Altenburg. Und er betont seine Erfahrung, dass „Gemeinde auch unabhängig von Priestern und Gemeindereferenten funktioniert. Man muss nicht Theologie studiert haben und Hierarchien pflegen.“

„Was kannst Du gut, was tust Du gerne?“ und „Den Laien vermitteln, dass sie nicht nur Lückenbüßer sind“ – das seien wichtige Punkte, um die Bereitschaft zur Mitarbeit in den Gemeinden vor Ort zu erhöhen. So werden auch an diesem Abend wie angekündigt nicht alle Fragen beantwortet. Doch als nach rund drei Stunden der Bischof mit einem Gebet und dem Segen das Treffen beendet, hat sich bewahrheitet, dass das Gespräch zumindest Mut machen und Lösungen voranbringen kann. Und der Bischof nimmt als Lektüre einen Stapel bunte Zettel nach Hause mit, auf denen die Gäste des Abends ihre Hinweise an ihn notiert haben.

Text/Fotos: Michael Baudisch

Zu weiteren Gesprächen wird bis Mitte Juni in allen Regionen des Bistums eingeladen – alle Termine und Orte finden Sie hier…

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