Ansprache von Bischof Reinelt im Gottesdienst zum Tag der deutschen Einheit

Sperrfrist bis 3. Oktober 2000, 10.00 Uhr

Es gilt das gesprochene Wort.

Ökumenischer Gottesdienst am 3. Oktober 2000,

10 Uhr in der Kreuzkirche Dresden

Ansprache von Bischof Joachim Reinelt, Bistum Dresden-Meißen


Johannes XXIII. hat mit seinem unvergleichlichen Humor bei einer Audienz für französische Fallschirmspringer Mut und Einsatz der Truppe gerühmt. Schließlich sagte er: "Während ihr so eifrig darauf bedacht seid, getreu der militärischen Vorschrift vom Himmel zu fallen, möchte ich doch nicht, dass ihr am Ende vergesst, wie ihr hinaufkommt."

Verehrte Teilnehmer an diesem Festgottesdienst,

wenn uns auch die Lokalisierung des Wohnens bei Gott nicht in dieser Volkstümlichkeit gelingen will, das Anliegen bleibt: Auch in einem Wohlstandsland wie Deutschland, auch im Glück von wiedererlangter Einheit und Freiheit bleiben die Fragen nach dem Endgültigen. Gottes Antwort auf diese Fragen haben wir heute gehört: Er will das Heil aller Menschen.

Wir haben in den letzten 10 Jahren einen Aufschwung erlebt, von dem wir vor 11 Jahren noch nicht geträumt hätten, einen Aufschwung nicht nur in der Wirtschaft, sondern in der politischen Kultur, im Recht, in der Bildung, im Sozialen. Warum aber sind die Menschen immer noch nicht zufrieden?

Freilich, auch wegen der stets verbleibenden Mängel. Aber dies ist nur ein Teil der Wahrheit. Der Mensch ist für Größeres geschaffen als für Karibik, Karstadt und Konjunktur. Deswegen ist die Unzufriedenheit mitten im äußeren Wohlstand nicht Anlass zur Empörung, sondern Anlass zur Frage: Was ist diesem Volk zu wenig gegeben worden, dass es immer noch murrt?

Die Menschen mögen vom Überfluss bis an den Kragen zugedeckt sein, wenn sie nicht ein geistig-geistliches Zuhause finden, werden sie weiter knurren. Dieses Zuhause aber vermag kein Mensch zu bauen, denn dieses Zuhause ist Gott persönlich. Er allein, und er ist es nicht als Single, sondern als gemeinschaftlicher Gott wie bei Abraham an den Eichen von Mamre. Bei diesem sich in Liebe umarmenden, dreieinigen, ewigen Gott will zutiefst der Mensch zu Hause sein.

Gott will das Heil aller Menschen aber nicht durch Aussage allein vermitteln, sondern durch Sein, durch Leben. Deswegen genügt den Menschen nicht das Endprodukt des Schaffens, sondern sie wollen sehen, ob der ein Mensch bleibt, der etwas bewirkt und schafft. Ob er ein Mensch bleibt, da in ihm das Heil Gottes sich Bahn bricht, weil er dem Nächsten dient, ihn achtet, für ihn sein Leben gibt wie Christus. Wo wird dieses Zuhause bei Gott von ihm selbst bei den Menschen gebaut?

Wo im Alltagsstress, bei aller Anspannung und Herausforderung die Zuwendung zum Mitmenschen den ersten Rang behält, da fängt das Zuhause bei Gott an.

Wo Mandat, Amt und Kompetenz sich nicht überheblich gebärden, sondern der Geist des Ministers - des Diener Seins - das Land auszeichnen, da fängt es an in göttlicher Schönheit zu blühen.

Wo Fehler eingestanden und verziehen werden, da ist Gutsein.

Wo der zynische Spott über das, was dem Menschen besonders heilig ist, verstummt, da atmet die göttliche Freiheit.

Wo der, der sich für das Gemeinwohl einsetzt und dafür Undank erntet, dennoch nicht flieht, da stirbt das Weizenkorn, das große Ernte bringt.

Das alles ist nicht Illusion. Das gibt es schon da und dort in unserem Land. Das macht Mut. Aber Einzelne genügen nicht. Das muss eine Bewegung werden, die wie eine La-Ola-Welle das Stadion Deutschland erfasst.

Der Einzige, der das göttliche Spiel starten und zu Ende führen kann, ist der Diener und Herr, der uns bis in den Tod umarmt hat. Wer hier mitspielt, baut ein Land mit Zukunft. Amen.

Joachim Reinelt

Bischof von Dresden-Meißen



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