Familie heute: Bischof Reinelt zum Familiensonntag


Impulse von Bischof Joachim Reinelt zum Familiensonntag, den die katholische Kirche jährlich im Januar - in diesem Jahr am 16.1.2000 - feiert

Familie heute

1. Belastungen der Familie

Längst hat sich die Großfamilie mit mehreren Generationen unter einem Dach in unserem Kulturraum verabschiedet. Die Vater-Mutter-Kind-Familie als Kleinformat versprach Entlastung von Generationenkonflikten, stattdessen baute sich durch die Einengung auf den kleinen Personenkreis ein viel bedrängenderer Konfliktstoff auf. Wo die wenigen Familienmitglieder nicht sehr geübt sind in Geduld und Bereitschaft zu verzeihen, wird für viele der enge Raum der Familie im Kleinformat unerträglich.

Die Einzelkinder verstärken außerdem das Anspruchsdenken. Eltern werden fortlaufend gezwungen, der in Schulklassen gepflegten Wohlstandskonkurrenz der Kinder und Jugendlichen nachzugeben. Das führt neben vielen anderen zusätzlichen Ausgaben einer Familie zu nicht unerheblichen finanziellen Belastungen, die gleichzeitig das zwiespältige Gefühl provozieren, gar nicht nötig zu sein. Wer aber in diesem Konkurrenzspiel nicht mithält, muss in Kauf nehmen, dass sich die eigenen Kinder benachteiligt fühlen. Das ist ein neuer, geradezu absurder Konfliktstoff.

Während bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts die Familie die Gesellschaft wesentlich beeinflusste, wird jetzt die Familie von der Gesellschaft geprägt. Das Denken des Milieus ist Maßstab auch für den familieninternen Raum. Nur wenige können sich diesem Trend entgegenstellen.

Der Individualisierungstrend der modernen Gesellschaft lässt nicht wenige ganz und gar auf die Verbindlichkeit einer Familie verzichten. Beziehung auf Probe, Zusammenleben ohne zugesicherte Bindung verdrängen immer stärker das feste Gefüge der Geborgenheit einer Familie. Die Opfer dieser Bindungslosigkeit sind vor allem auch die Kinder. Manches Kind fragt sich verzweifelt: Bei wem bin ich zu Hause? Wer ist eigentlich mein Vater? Wo ist meine Mutter? Unbeschreibliche psychische Belastungen kommender Generationen werden durch den leichtfertigen Verzicht auf geordnete Familienstrukturen heraufbeschworen. Familie zerstören heißt Zukunft schwer belasten.

Unsere gesellschaftspolitischen Bedingungen müssen deshalb dreifach familienfreundlich gestaltet werden:



a) Kindergeld und Familienfreibeträge müssen deutlicher familiengerecht gestaltet werden.

b) Familiengerechtes Wohnen muss für alle sozialen Schichten möglich sein.

c) Bildungs- und Beratungshilfen sind ausreichend anzubieten. Unsere junge Generation lernt alles Mögliche, nur nicht mehr die Basis des Lebens eigenverantwortlich zu gestalten.

d) Ein kinder- und familienfreundliches Klima muss von allen Gruppen der Gesellschaft gefördert werden.



2. Der unaufgebbare Wert der Familie


Familie ist Hort des Urvertrauens zueinander. Hier erfärt der Mensch in allen Dimensionen die Grundelemente menschlichen Daseins: Freude und Leid, Liebe und Partnerschaft, Versagen und Vergeben, Treue und Hingabe. Vor allem die Grunderfahrung unseres Lebens, dass alles zuerst Geschenk ist, erlebt der Mensch am dichtesten in der Familie. Eine gelungene Familie ist die beste Garantie dafür, dass ein Mensch die Grundvoraussetzung für Menschlichkeit mitbringt: die Dankbarkeit.

Familie ist normalerweise auch die Zufluchtsstätte des Menschen. Glücklich, wer mit seinem Kummer nach Hause kommen kann!

Familie ist auch die Stätte der Erziehung und mindestens der ersten Bildung. Was gute Eltern Kindern mitgeben können, kann durch keine Institution ersetzt werden.

3. Familie als Hauskirche

Familie ist ebenso der Ort der ersten Zuwendung zu Gott. Liebende, betende Eltern sind durch keinen Religionsunterricht zu ersetzen. Das Erzählen von Gott und seinen großen Taten, der sichtbare Glaube an seine Gegenwart sind die Katechesen, die überzeugender kaum an anderer Stelle möglich sind. Die gemeinsame Vorbereitung auf die Sakramente, die Feste des Kirchenjahres, Geburt, Krankheit und Sterben werden im Kreis der Familie besonders eindrucksvoll erfahren.

Es gibt keinen vollen Ersatz für Familie. Wir alle brauchen sie.

Bischof Joachim Reinelt, Bischof von Dresden-Meißen



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