30 Jahre Ehe-, Familien- und Lebensberatung - Eine Reportage

06. November, Dresden

Dresden, 04.11.2002: Die Frau, die Christian Wiesmann an diesem Nachmittag gegenübersitzt, ist sichtlich angespannt. Immer wieder ballt sie die Fäuste, bis die Knöchel weiß hervortreten. Wiesmann geht zu einem Regal, nimmt einen Tennisball heraus und reicht ihn der Frau. „Hier, nehmen Sie den mal." Die Frau schaut ihn verdutzt an. Dann lacht sie und nimmt den Ball dankbar in die Hand.

Christian Wiesmann weiß, wie man Leute zum Reden bringt. Und das muss er auch wissen. Als Mitarbeiter in der Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstelle im Bistum Dresden-Meißen trifft er immer wieder Menschen, die sich schwer tun, Gedanken und Gefühle auszusprechen. Manchmal setzt er seine Gesprächspartner dann vor einen leeren Stuhl. „Nun stellen Sie sich einmal vor, dort sitzt Ihre Frau." Und das Spiel funktioniert. Der Klient - so wird genannt, wer in der Beratungsstelle um Hilfe bittet - kann nun auf direktem Weg zur Sprache bringen, was ihm auf dem Herzen liegt.

Doch das Stuhlgespräch ist damit noch nicht beendet. „Nun tauschen Sie bitte die Plätze", sagt Wiesmann. Der Klient wechselt auf den freien Stuhl. Jetzt soll er versuchen, sich in die Situation seines bisherigen Gegenübers hineinzuversetzen. „Der Rollenwechsel und das Reden machen vieles leichter", weiß der Berater.

Puppen, Seile und andere Hilfsmittel

Seit 15 Jahren arbeitet er in der Anlaufstelle in Dresden, halb so lang, wie es die Einrichtung gibt. Am Mittwoch dieser Woche feiert die Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstelle im Bistum Dresden-Meißen Jubiläum: Seit dreißig Jahren finden Menschen hier inzwischen Hilfe. Der Raum, in dem Christian Wiesmann mit seinen Klienten spricht, strahlt Gemütlichkeit aus. Die Wände sind in einem satten Grün gestrichen, viele Pflanzen stehen über das ganze Zimmer verteilt, in der Mitte gibt es ein paar rote, bequeme Lehnstühle.

Der Eheberater arbeitet gerne mit kleinen Hilfsmitteln, die das Sprechen leichter machen sollen. So liegen in einem Körbchen kleine Puppen bereit. „Damit kann man die Beziehungen innerhalb einer Familie nachstellen", sagt Wiesmann. Denn immer öfter sind die Familien heute nicht mehr so einfach zu durchschauen wie früher, etwa, wenn ein Partner Kinder aus früheren Beziehungen mit in die Familie bringt. Aber auch Probleme anderer Art können mit den Spielsachen anschaulich gemacht werden: Eine Puppe bekommt eine kleine Bierflasche in die Hand, eine andere sitzt vor einem Fernseher oder steht auf der Waage. Seile nutzt der Berater, um Verknotungen und Grenzen darzustellen. Es gibt eine große Tafel, Kisten mit Steinen und Holzklötzchen in seinem Beratungszimmer; wer seiner Wut freien Lauf lassen will, darf mit einem gepolsterten Schläger auf den Tisch hauen.

Die perfekte Partnerschaft

Den goldenen Tipp für die gelungene Partnerschaft? „Gibt es nicht", sagt Wiesmann. „Aber es gibt eine ganze Reihe Ratschläge, die helfen können, eine Beziehung stark und intakt zu halten." Miteinander reden, Zeit miteinander verbringen, es sich gemeinsam gut gehen lassen, Nähe, Zärtlichkeit und Zuwendung pflegen - das ist für den Berater Basis jeder funktionierenden Beziehung.

Jede zweite bis dritte Ehe ist heute von Scheidungsgedanken bedroht. Dazu kommt, dass traditionell nach der Geburt eines Kindes, zu Festzeiten oder auch im Urlaub - also immer dann, wenn die Familie eine besondere Situation durchlebt, viele Partnerschaften in die Brüche zu gehen drohen. Viel Arbeit für Wiesmann, seine fünf Kolleginnen und den Kollegen, die neben der Beratungsstelle auf der Bautzner Straße 49 in Dresden auch noch Außenstellen in Schirgiswalde und in Bautzen betreuen.

Und die Ehe-, Familien- und Lebensberater bieten ein breites Angebot. Neben den Gesprächen in den Beratungsräumen gibt es Seminare für Paare, die sich auf die Hochzeit vorbereiten, genauso wie für solche, die Silberne Hochzeit feiern oder einfach mal ihre zwischenmenschliche Kommunikation trainieren wollen. Beraten wird, ob es um Kontaktschwierigkeiten oder die Entscheidung für einen Partner geht, genauso, wie wenn eine Familie sich nichts mehr zu sagen hat oder unter Generationskonflikten leidet. Dass die Beratungsstelle dabei - finanziell unterstützt von Stadt und Land - von der katholischen Kirche getragen wird, erlebt Wiesmann als besondere Chance. „Viele kommen wohl gerade deshalb, weil sie mit Ehe, Familie und Kirche ein bestimmtes Wertebild verbinden. Und willkommen ist auch wirklich jeder. Wir beraten Konfessionslose genauso wie Christen."

Ob eine Beratung dabei eine Stunde oder zehn Sitzungen dauert - auf jedes Problem wird individuell reagiert. Dass über kein Gespräch ein Wort nach außen dringt, ist selbstverständlich. Doch auch wenn die Berater schon so manchen Erfolg auf ihre Fahnen schreiben konnten: Dass eine Beziehung nach einer Beratung hält, dafür kann auch Wiesmann keine Garantie geben.

Aber er erinnert sich gerne an besonders schöne Augenblicke während seiner Arbeit. Etwa an die Frau mit dem Tennisball in der Hand, die heute noch mit ihrem Mann zusammenlebt, und die zu ihrem letzten Beratungsgespräch für seine Materialsammlung ein Geschenk mitbrachte: Einen kleinen Ball aus Wolle, selbst gebastelt. „Nehmen sie den mal in die Hand, der ist weicher."

Übrigens: Katholische Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstellen gibt es im Bistum Dresden-Meißen auch in Altenburg, Chemnitz, Gera, Leipzig, Oschatz, Wechselburg und Zwickau. Michael Baudisch


link


Impressum