Der gute Mensch von Saratow

Reportage über Bischof Pickel am 14. Mai um 20.15 Uhr im MDR Fernsehen

Dresden/Saratow, 08.05.03: „In russischen Dörfern heißt der liebe Gott Wodka“, sagt der
junge Bischof, aber er klingt nicht resigniert dabei. Clemens Pickel aus dem
sächsischen Colditz hat im Süden Russlands seine Berufung gefunden. Fernab seiner
Heimat, zwischen Don und Wolga, praktiziert der Priester Nächstenliebe und Seelsorge. Das
Gebiet, in dem er arbeitet, ist vier Mal so groß wie Deutschland, hat aber nur 35.000
katholische Gläubige. In der weiten russischen Steppe hat der Sachse mit vielen
Widrigkeiten zu kämpfen. Mit Willkür der Bürokratie und Misstrauen der vorherrschenden
orthodoxen Kirche.

Doch theologischer Streit interessiert den sächsischen Bischof in Russland überhaupt nicht,
denn er will den Menschen nicht einfach nur den Glauben bringen, sondern praktisch helfen.
Die Reportage begleitet Clemens Pickel auf dem langen Weg in das unwirtliche Mordawien
nach Leplej - in die Strafkolonie 22. Dort warten Drogenschmuggler auf ihn - in der einzigen
Gefängniskirche Russlands. Dort inmitten der Einöde singt er mit den Gefangenen
Gospellieder.

Trostlosigkeit überall wo er hin kommt. Steppendörfer, in denen Alkohol und Prostitution zum Alltag gehören. Pickel kann daran nichts ändern, aber er versucht den Menschen wieder ein Stück Hoffnung zu geben, Kraft, sich selbst aus dem Elend zu holen.

Der Bischof wartet nicht auf seine Gläubigen, er ist unterwegs zu ihnen. Stundenlang über russische Strassen. Ohne den deutschen VW – eine der vielen Spenden aus Deutschland - wäre die Ochsentour nicht machbar. Auch nicht die nach Marx, in die Gemeinde, wo Pickel sechs Jahre lang als Priester arbeitete und wo er 1992 die erste katholische Kirche nach der Oktoberrevolution baute. Nach Kasan, die Hauptstadt der tatarischen Republik, führt ihn dann eine Notmission in eigener Sache. Widrig ist das Leben nicht nur für die einfachen Menschen in Russland. Auch der Bischof muss für sich und seine 40 Priester jeden Tag neu kämpfen. Russische Bürokratie macht krank. Erst recht, wenn es, wie in Kasan, auch noch um Politik geht. Der Papst will kommen – im August. In dem orthodoxen Russland für alle eine heikle Angelegenheit. Für die Politiker, für die orthodoxe Kirche und für Bischof Pickel.

Seit fünf Jahren ist der Colditzer Clemens Pickel Bischof. Doch von den üblichen Insignien keine Spur. Wer zur Bischofskanzlei will, muss in den 6. Stock eines Neubaublocks in Saratow. Auf der gleichen Etage die bischöfliche Wohnung: anderthalb Zimmer. Verstanden haben ihn zu Hause nur wenige. Nicht das Abenteuer reizte ihn, nicht das ferne Land, sondern die tiefe Religiosität der Menschen, die hier leben. Er wollte ihnen ihre Würde zurückgeben. Würde, die sie im Laufe der Jahrzehnte unter Stalin, Breschnew und den Machthabern der neuen Zeit verloren hatten.

Der Film zeigt einen Mann umgeben von widrigen Umständen, aber voller Kraft, Hoffnung und Charisma, einen Bischof, der ganz Priester und Helfer geblieben ist, einen Deutschen, der bei den Menschen in Russland eine zweite Heimat gefunden hat: Das Porträt eines faszinierenden Mannes, die Reportage über ein uns bedrückend fremdes Leben, den Bericht über einen Aufbruch, dessen Wurzeln in Deutschland liegen.

Die Reportage über Bischof Clemens Pickel zeigt der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) am 14. Mai um 20.15 Uhr (Redaktion: Adina Hänel, Kameramann: Henrik Flemming, Kamera-Assistent: Thomas Fiedler; Cutter: Mario Krüger).


Zur Biographie von Bischof Clemens Pickel

Clemens Pickel wurde am 17. August 1961 in Colditz bei Leipzig (Sachsen) geboren. Er hat vier Brüder. Nach der Schulausbildung studierte Pickel am einzigen Priesterseminar der ehemaligen DDR in Erfurt. 1988 empfing er in Dresden die Priesterweihe. Nach seiner Kaplanstätigkeit in Kamenz wurde er 1990 für die Seelsorge in der damaligen Sowjetunion freigestellt und kam für ein Jahr als Kaplan nach Dushanbe in Tadshikistan. 1991 wurde er Pfarrer von Marx an der Wolga. Marx, das Zentrum der Wolgadeutschen, hat etwa 35.000 Einwohner. Hier beendete Pickel unter anderem im Jahr 1993 den Bau der ersten katholischen Pfarrkirche in Russland nach der Oktoberrevolution von 1917. Die Christ-König-Kirche liegt am Ortseingang von Marx.

Papst Johannes Paul II. ernannte Pickel am 23. März 1998 zum Weihbischof. Zum Bischof weihte ihn am 7. Juni 1998 in Marx der Apostolische Nuntius in Russland, Erzbischof John Bukowski. Zunächst war er als Weihbischof zuständig für den südlichen Teil der Apostolischen Administratur in Moskau für die Katholiken. Am 23. November 1999 hat Papst Johannes Paul ll. diese südliche Region des europäischen Teils von Russland zur selbständigen Apostolischen Administratur erhoben und zugleich Bischof Pickel zum neuen Apostolischen Administrator dieses Jurisdiktionsbezirks ernannt.



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