Fastenhirtenwort 2003

von Bischof Joachim Reinelt, Bischof von Dresden-Meißen

„Ehe und Familie stehen unter besonderem Schutz der staatlichen Ordnung“ – so heißt es im Artikel 6 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Ehe und Familie stehen in der Kirche nicht nur unter besonderem Schutz, sondern haben bei uns höchsten Stellenwert. Die Ehe hat in unserer Kirche die Würde eines Sakramentes. Christus will in der Mitte der Eheleute wirken. Sie sollen fähig werden, eine Familie als Hauskirche zu bauen. Glücklich die Kinder, die in Familien groß werden, in denen Gott wohnt. Der Ehe-bund ist Grundlage einer solchen Familie.


1. Eine Ehe nach dem Willen Gottes

Die Ehe nach Gottes Willen setzt ein neues, vertieftes Gottesverständnis voraus. Die Vor-stellung von einem Gott, der uns Angst einjagen will, wurde durch Jesus überwunden. „Fürchtet euch nicht“, hat er gerufen (Mk 6,50). „Fürchte dich nicht, ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige“ (Offb 1,17). „Unser Herr Jesus Christus und Gott, unser Vater, hat uns geliebt. Er hat uns Trost und gute Hoffnung als Gnadengeschenk gegeben“ (2Thess. 2,16).
Gott liebt uns weit mehr, als wir uns vorstellen können. Er hat nicht nur Liebe, „Gott ist die Liebe. Wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott, und Gott bleibt in ihm“ (1Joh 4,16b). „Furcht gibt es in der Liebe nicht, sondern die vollkommene Liebe vertreibt die Furcht“ (1Joh 4,18). Die Konsequenz heißt: „Wenn Gott uns so geliebt hat, müssen auch wir einander lieben“ (1Joh 4,11).
Gott will, dass Mann und Frau in der Ehe durch Zuneigung und Hingabe einander glück-lich machen – auch dann, wenn einer der Partner ein Tief durchleidet und seine Grenzen zeigt. Wir wollen Jesus nachahmen: Er hat sich gerade denen zugewandt, die schwach waren. „Ich bin nicht gekommen Gerechte zu rufen, sondern Sünder“ (Mt 9,13). Der Ruf Jesu war: „Barmherzigkeit will ich“ (Mt 9,13a). Diesen Ruf müssen wir uns zu eigen machen und uns gerade dann in Erinnerung rufen, wenn der Andere versagt hat: Barmherzigkeit will ich!



Wie jubelt doch der barmherzige Vater, der seinen verlorenen Sohn in die Arme schließt: „Er war verloren und ist wiedergefunden“ (Lk 15,24). So werden Krisen überwunden. Das ist die Art Gottes, mit Krisen umzugehen und deshalb auch der Weg des Christen, Ehe-probleme zu lösen. Nicht Türen verschließen, nicht verstoßen, nicht resignieren, sondern verzeihen und einander wieder annehmen! So macht es Gott. Er setzt nicht nur Norm und Gesetz, sondern sein Geist der Liebe bewegt das Herz. Deshalb können auch wir nur weiterkommen, wenn wir unser Herz vom Partner bewegen lassen und in der Kraft des Geistes Gottes das Herz des Partners in bitteren Stunden zum Guten bewegen. Das ist das göttliche Spiel einer Ehe. Da lassen sich zwei von Gott tragen über alle armseligen Grenzen hinweg, die nun mal ein jeder von uns hat. „Meine engen Grenzen - ... Herr, erbarme dich“, so singt unsere Jugend. Eine Ehe ohne Barmherzigkeit kann leicht an diesen Grenzen verbluten. Aber „Gott ist größer als unser Herz. Er weiß alles.“ (1 Joh. 3,20). Er kann verzeihen. Deshalb dürfen wir uns nicht dauernd unsere Fehler vor-halten. Versagen und Sünde von gestern sollen heute nicht mehr meinen Willen zum Guten abbremsen. Das Feuer des Heiligen Geistes soll heute mein Herz befähigen, mich von Neuem für den Partner einzusetzen. Wer Angst hat, dass er sich dabei selbst aufgibt, dem sei gesagt: Man verliert sich nicht, wenn man sich gibt, sondern wenn man sich fest-hält. Vertrauende Hingabe ist das Zeichen des wirkenden Gottes in einer Ehe. Sakrament! Da handelt einer nicht mehr nur um der Gebote oder Traditionen willen, sondern weil er sich von Gottes Erbarmen getragen weiß. Deshalb ist er selbst auch zur Vergebung bereit. So können Krisenzeiten sogar zu einer Vertiefung der ehelichen Gemeinschaft führen.

Allerdings kann es in einer Ehe auch zu seelischen Verletzungen kommen, die ein weiteres Zusammenleben unmöglich erscheinen lassen. Ehepaare, die dann nicht mehr gemeinsam leben können, verurteilt die Kirche nicht. Sie erinnert aber nachdrücklich an den Fortbestand des Bundes, der aus einem freien Willensentschluss und einem feierli-chen Versprechen vor Gott und Menschen hervorgegangen ist. Jesus sagt: „Was aber Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen“ (Mt 19.6). Hier geht es also um Gottes Wort und nicht nur um eine Sicht der Kirche. Auf keinen Fall ist Verlust der jugend-lichen Sympathie ein Trennungsgrund. Der Prophet Maleachi sagt: „Wenn einer seine Frau aus Abneigung verstößt, spricht der Herr, Israels Gott, dann besudelt er sich mit einer Gewalttat. Nehmt euch also um eures Lebens willen in acht und handelt nicht treu-los!“ (Mal 2,16).



2. Gottes Liebe ist bleibende Liebe

Sakramentale, göttliche Liebe ist wesentlich bleibende Liebe. „Wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm“ (1 Joh 4,15b). Wenn Gott kommt, ist das nicht nur eine kurze Episode. Bleibende Liebe ist sein Kennzeichen. Beständigkeit. Er durchdringt wie Sauerteig das Ganze (vgl. Mt 13,33). Wo Gott zu Menschen kommt, bleibt und alles durchdringt, wird das Reich Gottes. Wenn zwei Eheleute in der Kraft Gottes zueinander finden und bleiben, entfaltet sich im Sakrament der Ehe das Geheimnis der Kirche. Das Bleiben, die Treue, die Verbundenheit bis zum Tod sind deshalb wesentlich. Darum werden Brautleute bei der Trauung nach der Bereitschaft zur Treue bis in den Tod gefragt. Wie Jesus bei Petrus bleibt, obwohl dieser ihn verleugnet, wie der Herr zu Paulus steht, obwohl dieser ihn verfolgt, so stehen christliche Ehepaare zueinander über die bösen Tage hinaus. Der Vermählungsspruch lautet: „Ich verspreche dir die Treue in guten und bösen Tagen, in Gesundheit und Krankheit, bis der Tod uns scheidet. Ich will dich lieben, achten und ehren alle Tage meines Lebens.“
Ohne dieses Bleiben bis zum Tod geht es nicht um die Liebe Jesu Christi. Da geht es dann mehr um das Eigene, und darin wurzelt auch die Neigung zur Spaltung.

3. Liebe und Hingabe sind immer mit Risiken verbunden

Wir leben nicht gerade in einer risikofreundlichen Zeit. Der wohlbehütete und gegen alle möglichen Schäden abgesicherte Mensch meidet das Riskante. Junge Leute durchbre-chen manchmal diese Starrheit der bürgerlichen Gesellschaft. Der Kick eines gefährlichen Bungee-Sprunges oder einer mörderischen Autoraserei wird bewusst gesucht. Wenn es aber um Entscheidungen geht, die für lange Zeit oder sogar lebenslänglich binden, schrecken auch diese jungen Leute vor dem Risiko zurück. Bindungsangst! Von dieser Bindungsangst möge Gott unsere jungen Menschen befreien. Wer anderen vertraut, auch wenn man sich bei keinem Menschen hundertprozentig sicher sein kann, der wächst über sich selbst hinaus. Wer aber aus Scheu vor dem Risiko ohne Eheversprechen und ohne Segen Gottes zusammenlebt, verzichtet leichtsinnig auf die tragende Kraft Gottes. Da fehlt das Fundament seines Hauses.

Habt Mut, nach ehrlicher Prüfung das bindende Ja des Eheversprechens zueinander zu sagen! So wird das Haus auf sicheren Grund gebaut. Ehesakrament bedeutet: Gott will euch tragen und zusammenhalten.
Nicht unbegrenzte Probezeiten sind Garantie für eine gelingende Ehe, sondern das Vertrauen auf den Ehebund in Gott kann helfen, „in guten und bösen Tagen“ einander
treu zu sein. Habt Mut euch zu binden, dann wird euch der Gott der Liebenden eine Freiheit füreinander geben, die euch vom Egoismus erlöst.
Auf dieses kostbare Geschenk muss man sich (wenigstens drei Monate) vor der Ehe-schließung gründlich vorbereiten. Bei Konfessions- oder Religionsverschiedenheit sind die Gewissenentscheidungen der Partner besonders zu beachten. Die gemeinsame Zukunftsgestaltung muss zumindest in Grundzügen abgesprochen werden. Für alle gilt: Überzieht nicht die Erwartungen an euren Partner! Es klingt banal, aber wir müssen es uns immer wieder sagen: Der Andere ist auch nur ein Mensch. Akzeptiert seine Eigen-heiten! Mit einer Dosis Humor können Eigenheiten manchmal sogar die Würze einer Ehe werden. Vor allem aber nehmt euch in dieser hektischen Epoche Zeit füreinander, viel Zeit! Dann werdet ihr Jahr um Jahr mehr spüren, dass die Ehe ein großes Geschenk Gottes ist.

4. Ehe verlangt hohe Kultur

Die Würde des Partners, die der Schöpfer den Menschen gegeben hat, ist eine ständige Herausforderung zur Hochachtung vor dem Anderen. Leider werden in der heutigen Gesellschaft oft die Werte ehelicher Kultur mit Füßen getreten. Aus Gewinnsucht und Genusssucht wird Sexualität zu Markte getragen. Sogar schon Kinder und Jugendliche werden Opfer verantwortungsloser Freizügigkeit und sexueller Abartigkeit. Wir wenden uns entschieden gegen jede Entwürdigung des Menschen. Allein die nach göttlicher Ordnung gestaltete Sexualität ist wahrhaft menschlich. Aus diesem Grund verlangt die geschlechtliche Beziehung nach der Geborgenheit der Lebenshingabe in der Ehe und der grundsätzlichen Offenheit für das Kind. Kinder sind die besondere Erfüllung der Ehe. Das gilt auch in einer sozialpolitisch weniger kinderfreundlichen Zeit. Unser Land ist trotz wirt-schaftlicher Probleme ein reiches Land und könnte viele glückliche Kinder haben. Gewäh-ren wir unseren Kindern die Geborgenheit der Eltern. Zeigen wir ihnen, durch eine vom Evangelium geprägte Ehe, wie kulturvolles Miteinander glücklich macht. So wird der Segen Gottes mit uns sein,
der Segen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Dresden, am Fest der Kathedra Petri 2003

Joachim Reinelt
Bischof von Dresden-Meißen


link


Impressum