Im Spannungsfeld zwischen Wirklichkeit und Sendezeit

ARD-Korrespondentin Claudia Nothelle im Kathedralforum Dresden


ARD-Korrespondentin Claudia Nothelle
Dresden, 03.03.05 (KPI): „Wir sind Horrorszenarien in Radio und Fernsehen gewöhnt - das härtet ab!“, so beschreibt Claudia Nothelle, ARD-Hauptstadtkorrespondentin, unsere heutigen Reaktionen auf Nachrichtensendungen. Doch die Anschläge am 11. September 2001 veränderten trotz allem unsere westliche Welt. Die verschiedensten Fernsehsender brachten ununterbrochen Sondersendungen – und ermöglichten damit den Terroristen höchste Aufmerksamkeit, die sie sich wahrscheinlich nie so erträumt hätten. Rund 2800 Menschen starben. Eine lokale Katastrophe mit globalem Ausmaß.

Claudia Nothelle, ARD-Hauptstadtkorrespondentin, reiste wenige Tage nach diesen Ereignissen nach Islamabad in Pakistan, denn in Afghanistan durften sich keine Ausländer mehr aufhalten. Sie sprach am 01. März 2005 im Kathedralforum in Dresden zu dem Thema „Die Taliban und die Tagesschau“. Darin erläuterte sie die Problematik, in einen anderthalb-minütigen Tagesschaubeitrag Eindrücke und Reaktionen eines Landes zu komprimieren.

„Wir sind erst Moslems und dann Menschen“

Nothelle berichtet von Koranschulen bei Peshawar, einer pakistanischen Stadt nahe der Grenze zu Afghanistan, in welcher etwa eine Million Afghanen wohnen. Hier werden Muslime aus aller Welt ausgebildet. „Taliban“ meint ursprünglich Koranschüler, Religionsstudent. Die ARD-Korrespondentin fand oftmals eine extreme Form des Islam vor, die die Menschen in zwei Kategorien einteilt: Moslems und alle anderen. In Diskussionen wurde sie mit Zitaten wie „Wir sind erst Moslems und dann Menschen“ konfrontiert.

Die Taliban bauten während ihrer Regierungszeit (1996 – 2001) eine Schreckensherrschaft in Afghanistan auf. Mädchen war es untersagt, Schulen zu besuchen. Nur fünf Prozent der afghanischen Frauen können heute lesen und schreiben. Auf Fernsehen stand die Todesstrafe. Nach dem 11. September herrscht in der Bevölkerung die Meinung, „die Juden“ hätten die Attentate ausgeführt. Somit fühlen sich die Moslems als Opfer, denn der Rest der Welt bekämpfe sie grundlos. Doch es gebe auch andere Ansichten, die etwa die Aussagen Papst Johannes Paul II., der die Angriffe der USA auf Afghanistan deutlich verurteilte, wahrgenommen haben. Dadurch würden sie, nach Aussage der ARD–Korrespondentin, dazu gezwungen, den „Westen“ und das Christentum nicht gleichzusetzen.

„Komplizierte Zusammenhängen haben kaum Platz“

Wie verpackt man solche Eindrücke in wenige Minuten Sendezeit, um dem deutschen Volk einen möglichst realitätsgetreuen Eindruck von diesem Land, seinem Volk und dessen Meinungen zu vermitteln? Nothelle erzählt, dass die deutschen Nachrichtenredaktionen oftmals eine andere Vorstellung von der Lage in Afghanistan hätten, als die Realität sie ihr vermittelte. Oft würden Stereotypen gezeigt, Bilder, die man in der westlichen Welt sehen will: Demonstrationen, die zeigen, wie der Erfolg der Anschläge gefeiert wird - doch an denen nahm nur ein Bruchteil der Bevölkerung teil. Die meisten Afghanen verurteilen die Anschläge. Claudia Nothelle kommt zu der Erkenntnis: „Medien machen Stereotypen, komplizierte Zusammenhänge haben kaum Platz.“

Nachrichten als globales Produkt

Aber die Nachrichten seien auch ein globales Produkt. Die großen Sender CNN (Atlanta) und BBC (London) würden entscheiden, was gezeigt wird. Es herrsche ein internationaler Austausch an Informationen, Bildern, etc. Die kleineren Sender aller Welt würden sich an Atlanta und London orientieren. „Die Welt sieht aber durch die Londoner Brille anders aus als durch die in Islamabad“, kritisiert Nothelle. Sie selber setzte und setzt sich für Randthemen ein, weil sie sieht, dass die Journalisten die Verantwortung dafür tragen, was die Bevölkerung wahrnimmt oder nicht.

Besonders beeindruckt zeigt sich die Korrespondentin von der Gastfreundschaft der Afghanen, die trotz ihrer Armut und schwierigen Situation alles dafür tun, dass es ihren Gästen gut geht. Dazu kommt, dass etwa 95 Prozent der Afghanen pro-westlich eingestellt seien, weil viele deutsche Hilfsorganisationen im Land Gutes tun – auch wenn die restlichen fünf Prozent der Bevölkerung dafür sorgen, dass der Terror nicht abschwillt.

Luzia Neubert


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