Liebe und Schmerz

Fastenhirtenwort 2006 von Bischof Joachim Reinelt


In seinem Fastenhirtenwort 2006 spricht Bischof Joachim Reinelt über die Liebe zwischen Menschen und zwischen Gott und Mensch sowie über den untrennbar zur Liebe dazugehörenden Schmerz.

Liebe Schwestern und Brüder!

1. Wenn unsere Eheleute sich an den Anfang ihres gemeinsamen Weges erinnern, dann steht fast immer am Beginn die Entdeckung: Er, sie liebt mich. Der Geliebte antwortet darauf spontan mit Liebe.
Ähnlich ist es mit der Liebe zwischen Gott und Mensch. Gott liebt den Menschen zuerst. Wenn das einem Gläubigen in der Tiefe der Gottesbeziehung aufgeleuchtet ist, dann antwortet er spontan mit Liebe zu Gott. Ein Gebot der Liebe wird dann fast überflüssig. Wem klar wird, dass er gar nicht leben würde, wenn Gott ihn nicht gewollt hätte, kann sich dem liebenden Schöpfer nur dankbar zuwenden. Wie bei erotischer Liebe zwischen Mann und Frau am Anfang berauschende Verliebtheit steht, so kann es auch ähnlich am Anfang eine berauschende Begeisterung für Gott geben. Liebe muss aber wachsen und reifen. Sie muss aufsteigen zur endgültigen Entscheidung: Ich liebe nur dich, und zwar für immer. Wenn Liebe so gereinigt ist von allem Egoismus, wenn Liebe nicht mehr nur die Trunkenheit des eigenen Glücks sucht, sondern zuerst das Beste für den Geliebten will, dann findet der Mensch in Wahrheit den Partner, sich selbst und schließlich auch Gott. Liebe wächst im Sich-Schenken. Liebe gibt sich hin, auch wenn das Opfer und Verzicht kostet. Jesu Liebe war am Höhepunkt, als er sein Leben für uns am Kreuz dahingab. Dieser Liebe glauben wir. (vgl. Enzyklika "Deus caritas est") Deshalb flieht wahre Liebe nicht vor Schmerz und Leid. Liebe und Schmerz sind ein Paar. Sie gehören zusammen.

2. Das Leben jedes Menschen kennt den Schmerz. Leiblicher und seelischer Schmerz belasten uns immer wieder. Gott hat den Schmerz offensichtlich nicht von dieser Erde verbannt. Wir fragen uns, wie die Liebe Gottes uns in den dunklen, schmerzvollen Tagen trägt.

Wenn wir jetzt in der Fastenzeit den Kreuzweg beten, führen wir uns vor Augen, wie der Sohn Gottes selbst Leid und Schmerz auf sich nahm. Wenn der Schrei Jesu "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen" (vgl. Mk 15.33) zum Höhepunkt der rettenden Tat Jesu am Kreuz gehört, können wir erkennen, dass offenbar der Schmerz in den Augen Gottes einen viel höheren Wert hat, als wir Menschen zunächst vermuten. Wir können wohl den Sinn unseres Leidens nur vom gekreuzigten Christus her verstehen. Wenn wir am Karfreitag unsere Knie vor dem Kreuz beugen, bekennen wir uns zum Gekreuzigten, der jeden Schmerz und alles Dunkel der Sünde auf sich genommen hat. Deshalb ist seit Golgota aller Schmerz in IHM. Wo immer wir einer Not begegnen, treffen wir auf IHN mit seiner unendlichen Liebe. Deshalb hat der leidende Mitmensch für den Christen gewissermaßen Anziehungskraft. Wo der Bruder, die Schwester in Not ist, da ist der Gekreuzigte mit seiner Liebe schon vor uns da. Für uns ist Jesu Wort: "Wer mein Jünger sein will, nehme täglich sein Kreuz auf sich, und so folge er mir nach" (Lk 9,23) eine Berufung. Christliches Leben ohne Kreuztragen ist ein Widerspruch in sich.

3. Kreuztragen, Leidensfähigkeit, Hilfsbereitschaft sind auf dieser Erde lebensnotwendig. Blieben Menschen in Not auf sich selbst angewiesen, wäre das Leben für viele eine Hölle. 2000 Jahre christlicher Nächstenliebe haben eine Kultur der Hilfsbereitschaft für viele zur Selbstverständlichkeit werden lassen. Bei den Hochwasserfluten, dem Tsunami, den Wirbelstürmen, den Erdbeben-, Hunger- und Aidskatastrophen war und ist eine wirkungsvolle Hilfsbereitschaft zu erkennen. Hilfsaktionen für schwerkranke Kinder, Unterstützung für Opfer von Terror und Ausländerhass sind ermutigende Zeichen der Bereitschaft, die Last Anderer mit zu tragen. Bewusstes Bekenntnis zum Kreuz gibt es besonders in unserer Caritas mit einer halben Million Mitarbeitern und hunderttausenden Ehrenamtlichen.

Drückender aber wird das Kreuz, wenn Krankheit und Not uns selber treffen. Ist Christus auch in meinem Ernstfall gegenwärtig als der, der sich aus Liebe alles aufbürdet? Muss ich jetzt allein mit allem fertig werden?
Nichts ist sicherer als das: "Selbst wenn eine Mutter dich verlässt, ich verlasse dich nicht" (vgl. Jes 49,15) so spricht Gott, der Liebe ist.

Kreuztragen ist aber nicht nur eine Sache der Katastrophen. Es gilt auch das Kreuz des Alltags zu tragen. Wer trägt es?
Wer bereit ist, seine Schwächen und Grenzen zu ertragen.
Wer darunter leidet, dass manche Gott aus ihrem Leben ausklammern.
Wer den Verschleiß der Gesundheit trägt, wie er die jugendlichen Tage angenommen hat.
Wer zu seinen Sünden steht, weil er glaubt, dass die Liebe Gottes auch diese "schwarzen Löcher" mit dem Licht seiner Liebe ausfüllt.
Es gibt täglich viele Kreuze. Keines ist losgelöst vom Gekreuzigten. Kein Kreuz ist ohne Chance zur Auferstehung.

4. Die Heiligen haben zu allen Zeiten ein inniges, ganz persönliches Verhältnis zum gekreuzigten Jesus gehabt. Unser Bistumspatron Bischof Benno, dessen 900. Todestag wir am 10. Juni in Meißen feiern werden, hatte sicher eine besonders innige Liebe zum gekreuzigten Jesus. Er musste die Spannungen zwischen Papst und Kaiser im Investiturstreit ertragen. Er hatte politische Entscheidungen zu treffen, die ihn ins Gefängnis brachten. Er musste die Nöte eines verarmten Volkes sich zu eigen machen. Er verbrauchte seine Kräfte, um die Botschaft des Glaubens den Sorben zu bringen, die Christus noch nicht kannten. Das alles konnte Bischof Benno nur in der Kraft dessen tragen, der all die Last schon vorher auf sich genommen hat: der gekreuzigte Auferstandene.

Der Kreuzträger ist zu allen Zeiten der Kirche die tragende Kraft. Deshalb suchen wir das Antlitz des Schmerzenmannes in den Gesichtern der heute von Kreuzen Belasteten.

Lassen wir uns in der Eucharistiefeier von dem sich hingebenden Christus mitreißen in die Liebe zum Vater aller Menschen! Frucht dieser Liebe bis in den Schmerz wird die Einheit mit Gott und untereinander sein. Liebe bis in den Tod eint. Erst Liebe, die vor dem Schmerz nicht flieht, lässt Kirche glaubwürdig werden.

Das gewähre euch Gott, der die Liebe ist.

Joachim Reinelt
Bischof von Dresden-Meißen

Dresden, am Todestag von Alois Andritzky 2006


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