„Warten auf den, der da kommen soll“

Bischof Reinelt predigte am 3.12.06 im ZDF-Fernsehgottesdienst in Aue


Bischof Joachim Reinelt predigte beim ZDF-Fernsehgottesdienst am 3. Dezember in Aue im Erzgebirge. Hier können Sie seine Worte nachlesen...

Liebe Schwestern und Brüder,

ich stand in London auf dem Flughafen. Jemand wollte mich abholen, aber er war nicht gekommen. Unglücklicherweise hatte ich mir weder seine Adresse, noch seine Telefonnummer mitgenommen. Ich war erstmal hilflos. Es half nur eins: geduldig warten. Schließlich kam er doch.

Wer hat nicht schon irgendwann im Leben auf jemanden warten müssen?

„Warten auf den, der da kommen soll“ - ist das Thema des Advents. Warten auf Christus, der gesagt hat, dass er wiederkommt.

Hier in Aue wissen besonders die Bergmannsfamilien, was warten heißt. Jeden Tag wurde das Wiederkommen des Vaters oder des Sohnes aus der dunklen Tiefe der Schächte erwartet. Und wenn es nicht pünktlich geschah, stand die Frage im Raum: Es wird doch nichts passiert sein? Warten auf das Wiederkommen. Vielleicht hat deshalb die Adventszeit im Erzgebirge einen besonderen Charakter.
Das tragische Grubenunglück in Oberschlesien vor wenigen Tagen lässt uns nachfühlen, wie bedrängend das Warten sein kann.

Im heutigen Adventsevangelium steht die Erwartung freilich in einer anderen Spannung: in einer ganz positiven. Christus wird kommen. Das ist sicher. Die Frage ist: Sind wir darauf gespannt oder sind wir im Zweifel, ob er wiederkommen wird? Sind wir eher damit befasst, alles mitzunehmen, was uns diese Tage bieten, falls doch der große Tag Christi nicht käme. In dieser Verfassung wäre die Spannung auf ihn hin abgeflaut. Da wäre nichts mehr mit: „Erhobenen Hauptes ihm entgegen gehen, denn die Erlösung naht.“ In dieser spannungslosen Haltung wird alles fade, abgeschmackt. Die Würze des Lebens fehlt. Deshalb ist Advent die Zeit des Neuaufbaus der inneren Spannung auf ihn hin. Immer wieder berichten Menschen, wie Gott sie mitreißt. Paul Claudel, der Diplomat und Schriftsteller erlebte als 18-jähriger eine Verwandlung, nachdem er gespürt hatte, dass ihn das positivistisch-materialische Klima seiner Zeit abstieß. Die geistige Elite Frankreichs interessierte sich nur für Macht, Aufstieg, Erfolg, Reichtum, Genuss.

Am 25. Dezember 1886 besuchte er das Weihnachtshochamt in Notre Dame zu Paris. Eigentlich erwartete er von der katholischen Liturgie nur ein paar Anregungen für literarische Übungen. Die Gottesdienst feiernde Menge drückte ich. Es war sehr eng. Dann berichtete er: „Ich stand in der Menge in der Nähe des zweiten Pfeilers am Choraufgang. Da nun vollzog sich das Ereignis, das für mein ganzes Leben bestimmend sein sollte. In einem Nu wurde mein Herz ergriffen, ich glaubte. Ich glaubte mit einer so mächtigen inneren Zustimmung, mein ganzes Sein wurde geradezu gewaltsam empor gerissen. Ich glaubte mit einer so starken Überzeugung, mit solch unbeschreiblicher Gewissheit, dass keinerlei Platz auch nur für den leisesten Zweifel offen blieb, dass von diesem Tag an alle Bücher, alles Klügeln, alle Zufälle eines bewegten Lebens meinen Glauben nicht zu erschüttern, ja auch nur anzutasten vermochten. Bei dem Versuch, die Minuten zu rekonstruieren, die diesem außergewöhnlichen Augenblick folgten, stoße ich auf eine Reihe von Elementen, die indessen nur einen einzigen Blitz bildeten, dessen die Vorsehung sich bediente, um endlich das Herz eines armen, verzweifelten Kindes zu treffen und sich Zugang zu ihm zu verschaffen: Wie glücklich doch Menschen sind, die einen Glauben haben! Wenn es wirklich wahr wäre? Es ist wahr! Gott existiert. Er ist da. Er ist jemand, er ist ein ebenso persönliches Wesen wie ich. Er liebt mich, er ruft mich.“

Soweit Claudel, der bis zu seinem Tod 1955 großartige Bühnenwerke wie „Die Stadt“, „Der seidene Schuh“ und andere schuf, die diese innere Spannung auf Ihn, der das Omega der Geschichte ist, darstellen.

„Vor den Menschensohn hintreten können“, das ist die Zielvorgabe des heutigen Adventsevangeliums. Dieses Hintreten vor ihn ist nur dem möglich, der sich vom Rausch des Lebens nicht betören und von den Sorgen des Alltags nicht erdrücken lässt. Deshalb ist das Warten auf den wiederkommenden Christus eine befreiende Kraft.
Die ständige Konzentration auf die Probleme der Zeit machen den Menschen zu „einem armen, verzweifelten Kind“, wie Claudel sagte. Wie glücklich sind dagegen Menschen, die glauben: Er liebt mich. Er ruft mich. Diese Gewissheit macht wach und macht das Beten zum Herzensbedürfnis. Diese gespannte Erwartung auf sein Kommen lässt wachsen „in der Liebe zueinander“ und das Herz gefestigt und geheiligt werden, damit „ihr ohne Tadel seid, wenn Jesus, unser Herr, mit allen seinen Heiligen kommt“.

Amen.

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