Rückkehr an schicksalsträchtigen Ort

Prälat Hermann Scheipers predigte zum Hubertusfest in Hubertusburg


Prälat Hermann Scheipers.
Zum Hubertusfest hat Prälat Hermann Scheipers (94) in der Schlosskapelle der Hubertusburg in Wermsdorf gepredigt: dem Ort, an dem er als junger Priester verhaftet und ins KZ Dachau gebracht wurde. Wir dokumentieren Auszüge der Ansprache.

Auszug aus der Predigt von Prälat Hermann Scheipers am 3. und 4. November 2007 in der Pfarrkirche St. Hubertus zu Hubertusburg:

"Heute vor 283 Jahren wurde im neuen – durch August den Starken vergrößerten – Schloss Hubertusburg in diesem Gotteshaus das 1. Hubertusfest mit einem festlichen Gottesdienst begangen.

Vorher hatten etwa 700 italienische Künstler und Stuckateure, sächsische Maurer und Handwerker mit Hochdruck an der Fertigstellung des prächtigen Schlosses gearbeitet, welches das Schloss Versailles mit seinem berühmten Spiegelsaal noch übertreffen sollte.

August der Starke hatte nach seiner Konversion zur kath. Kirche das Bestreben, überall in seinem seit der Reformation protestantisch gewordenen Land wieder katholische Kirchen oder Kapellen zu errichten.
Das Glanzstück war die Hofkirche in Dresden, die – auch weithin nach außen sichtbar – durch die übergroßen Heiligenfiguren rings auf dem Dachsims verkündete: Hier ist katholischer Glaube an die Gemeinschaft der Heiligen lebendig.

Aber auch in den Schlössern Moritzburg und Pillnitz wurden schöne katholische Kapellen eingerichtet, ganz besonders aber diese große Schlosskirche im Jagdschloss Hubertusburg.

Es ist uns allen eine große Freude, dass wir jetzt aus Anlass der endlich vollendeten Restaurierung dieser Kirche wieder das Hubertusfest feiern dürfen durch das gestrige Konzert und die heutige Festmesse.

Wir danken der aus dem Münsterland angereisten Bläsergruppe für ihre Mitwirkung zu diesem Ereignis, ganz besonders aber auch der international besetzten großen Bläsergruppe aus Süddeutschland und anderen Regionen mit ihrem Benediktinermönch Nikolaus Geißler aus dem Kloster Niederaltaich bei Deggendorf.

Drei tödliche Gefahren drohten diesem schönen Gotteshaus in den folgenden Jahrhunderten. Im 7jährigen Krieg zwischen Preußen und Österreich hatte Friedrich II. von Preußen 1761 die totale Plünderung des Schlosses befohlen.

Es ist das Verdienst des ehemaligen ersten Pfarrers von Hubertusburg, dem Jesuiten Norbert Schubert, dass diese Kirche gerettet wurde. Er begab sich nach Dahlen ins Feldlager Friedrich II., tat einen Kniefall vor dem König und bat um Schonung der Kirche, die dieser dann auch gewährte.

Die zweite Gefahr drohte 1813 in den Befreiungskriegen, als Notlazarette für französische und sächsische Verwundete in Wermsdorf improvisiert wurden. Dann kamen noch russische Verwundete dazu, für die in Wermsdorf kein Platz war, und die sollten nun in der Schlosskirche untergebracht werden. Der Protest des damaligen Pfarrers gegen die Benutzung der Kirche als Lazarett war vergeblich.

Aber der Küster hat die Kirche gerettet. Vor Inspektion der Kirche durch die russischen Offiziere zündete er sämtliche Kerzen, die aus Anlass des Allerseelentages sehr zahlreich waren, schnell in der Kirche an und die Offiziere waren so beeindruckt von der Schönheit der im Kerzenschein strahlenden Kirche, dass sie auf die Nutzung verzichteten und die Verwundeten anderweitig unterbrachten.

Die letzte große Gefahr kam 1940. Ich musste sie persönlich schmerzlich erleben. Unter dem Vorwand, die – aufgrund des Freundschaftsvertrages 1939 zwischen Hitler und Stalin - aus der Sowjetunion ausgesiedelten Wolhynien- und Bessarabien-Deutschen müssten im Hubertusburger Schloss kaserniert werden, um Kontakte mit den Deutschen zu vermeiden, wurden Kirche und Pfarrhaus zwangsweise geschlossen. Warum eigentlich, denn die Aussiedler waren Deutsche?

Bei der Übergabe der Kirche habe ich damals auf die Verantwortung der Behörden für den besonderen Denkmalschutz der Kirche aufmerksam gemacht. Die Zwangsräumung betraf auch das Brühlsche Palais, meine Wohnung. Ich bezog die Wohnung im Gärtnerhaus, das dem Kinderheim gehörte, und der Gottesdienst war sonntags in der ev. Dorfkirche geplant. Aber die Schwestern machten lieber dafür einen Raum im Kinderheim frei.

Rückblickend kann ich sagen: Die kirchenfeindliche Politik der Nationalsozialisten führte zu dieser Katastrophe.
Hitler war entschlossen, den christlichen Glauben in Deutschland mit Stumpf und Stiel auszurotten. Bereits 1934 erklärte er in privatem Gespräch: „Man ist entweder ein Christ oder ein Deutscher, beides kann man nicht sein.“ Aber gemäß den Tagebuchaufzeichnungen seines Propagandaministers Goebbels (die man nach der Wende in Moskau aufgefunden hat) war das ein Fernziel:
Auf die Endlösung der Judenfrage, die auf der Wannsee-Konferenz 1942 beschlossen war, sollte erst nach dem Krieg auch die Endlösung der Christenfrage folgen.

Der Würgegriff auf die Kirche begann aber schon lange vorher. Vor allem benutzte Hitler den Krieg, um seine verbrecherischen Ziele, die mit den eigentlichen Kriegszielen überhaupt nichts zu tun hatten, unter dem Deckmantel der Kriegsführung durchzusetzen.
Daraus ist die riesige Zahl der KZ-Priester zu erklären. In Dachau waren es 3.000 Priesterhäftlinge, von denen etwa 1.000 ums Leben kamen. Nicht nur die Juden, sondern auch alle arbeitsunfähigen Invaliden der Konzentrationslager wurden systematisch ermordet. 1942 sind aus Dachau 3.166 Häftlinge in die nächstgelegene Vergasungsanstalt in Österreich transportiert worden (weil die Dachauer Gaskammer erst im Bau war), davon 336 Priester. Ich wäre der 337. gewesen, wenn meine Zwillingsschwester durch ihre mutige Intervention in der „Höhle des Löwen“ beim Reichssicherheitshauptamt – Berlin mich nicht gerettet hätte.

Auch im Bezirk Leipzig versuchte man das Wirken der Kirche zu behindern oder völlig auszuschalten. Zuerst suchte man das Kinderheim aufzulösen. Alle 4 Ordensschwestern wurden am 01.09.1939 nach Dahlen transportiert, um sie der Wehrmacht als Krankenschwestern zur Verfügung zu stellen.
Der Weiterbetrieb des Kinderheimes blieb aber gewährleistet durch die mutigen Angestellten. Nach wenigen Tagen kamen die Schwestern wieder zurück, weil alle nicht als Krankenschwestern ausgebildet waren. Außerdem konnte man das Kinderheim nicht auflösen, weil es eine Stiftung war.

Dann bot sich für die Nationalsozialisten eine günstige Gelegenheit, diese Kirche samt Pfarrhaus zu beschlagnahmen, unter dem Vorwand, ausgesiedelte Deutsche aus Wolhynien und Bessarabien im Schloss unterbringen zu müssen.

Schließlich begann der Angriff auf den Pfarrer von Hubertusburg selbst, dessen Wirken ihnen ein Dorn im Auge war. Es fing damit an, dass am 01.09.1939 sofort mein Auto, das ich für die 150 Ortschaften in meiner Pfarrei dringend brauchte, zwangsweise als nicht lebenswichtig still gelegt wurde. Nachdem mein Protest beim Kreis Oschatz abgewiesen wurde, beschwerte ich mich beim Bezirk Leipzig. Diese Behörde gab mir schriftlich einen Ablehnungsbescheid: „Der Fahrzeughalter benutzt das Fahrzeug, um eine dem Nationalsozialismus widersprechende Weltanschauung zu verbreiten.“ Weil ich inzwischen „Standortpfarrer“ von Oschatz (Fliegerhorst, Infanterie, Remonteschule) geworden war, lautete meine Entgegnung: „Ist etwa meine offizielle seelsorgliche Tätigkeit für unsere deutschen Soldaten die Verbreitung einer dem Nationalsozialismus widersprechenden Weltanschauung?“ Auf diese Beschwerde bekam ich keine Antwort mehr. Sie landete bei der Gestapo Leipzig, die beschloss: „Dieser freche Mensch muss aus dem Verkehr gezogen werden“, und gab der Partei in Hubertusburg den Auftrag, nach einem Anlass zu meiner Verhaftung zu suchen.
Dieser fand sich dann durch meine Seelsorge an den polnischen Zwangsarbeitern, die auf den 150 Ortschaften meiner Pfarrei untergebracht waren. Sie waren diskriminiert, besuchten sonntags die hl. Messe in Hubertusburg, und das wurde ihnen eines Tages verboten. Daraufhin plante ich einen Sondergottesdienst nur für Polen, und das war mein Verbrechen in den Augen der Nazis. Auf meinem Schutzhaftbefehl formulierte die Gestapo: „Scheipers gefährdet den Bestand und die Sicherheit des Volkes und Staates, indem er in freundschaftlicher Weise mit Angehörigen feindlichen Volkstums verkehrt.“ Die Seelsorge an den Zwangsarbeitern war aber offiziell nicht verboten, weil man dadurch eine Förderung der Arbeitsmoral erhoffte. Deswegen war meine ganze 4 1/2 jährige Haft nur eine polizeiliche Maßnahme der Gestapo. Ich war also nie vor Gericht und konnte mich nicht verteidigen.

Nun versuchte man mich durch eine überlange Polizeihaft zu zermürben und „weich zukochen“ (wie dieser schreckliche Ausdruck aus der Folterpraxis der Nazis hieß). Das gelang aber nicht, wie der letzte Test der Gestapo offenbarte: Ein SS-Mann der Gestapo machte die letzte Vernehmung und erklärte mir: „Ihr Beruf hat doch heutzutage keine Zukunft mehr, Sie könnten Ingenieur oder gar Offizier sein. Und dann der Zölibat. Der ist für mich völlig unverständlich. Können Sie mir mal erklären, was das eigentlich soll?“ Ich antwortete spontan: „Sie als SS-Mann müssten das doch gerade verstehen. Wenn ein Mensch wie Sie, sich einer Aufgabe ganz hingibt, muss er auf vieles andere verzichten. In unserem Falle verzichten wir auf Ehe und Familie. Schauen Sie doch auf den Führer, der gibt sich ganz dem deutschen Volke hin und ist auch nicht verheiratet.“
Diese kühne Erklärung war mein Todesurteil. Am nächsten Tag bekam ich die Quittung: „Fertigmachen, morgen früh geht�s ab nach Dachau.“
Ich hatte zunächst Angst vor dem KZ, aber Gott schenkte mir als Kalfaktor des Gefängnisses einen illegalen Einblick in meine Akten. Ich bin heute noch Gott dankbar, dass ich dort den eigentlichen Grund meiner Haft sogar schriftlich sehen konnte. In einem Schreiben an das Reichssicherheitshauptamt begründete man meine KZ-Haft: „Da Scheipers ein fanatischer Verfechter der Kirche ist und deswegen geeignet ist, Unruhe in die Bevölkerung zu tragen, veranlassen wir KZ-Haft in Dachau.

Das war für mich ein AHA-Erlebnis: Jetzt wusste ich, du kommst ganz allein wegen deiner Glaubensverkündigung als Priester ins KZ. Statt der Angst vor dem KZ kam nun eine große Ruhe über mich durch die Erkenntnis: Wenn ich nur wegen dem Herrgott ins KZ komme, hat Gott auch die Verantwortung für alles, was auf mich zukommen wird. Von Guardini stammt das schöne Wort: „Geborgenheit im Letzten, gibt Gelassenheit im Vorletzten.“ Ich danke Gott heute immer wieder dafür, dass ich diese Gelassenheit die ganze KZ-Zeit hindurch durchhalten konnte, selbst in den Tagen auf dem Invalidenblock, wo ich jederzeit das Kommando erwarten musste, den Lastwagen zu besteigen, der mich in die Gaskammer transportiert hätte.

Es war für mich eine große Freude als ich 1947 die Kirche wieder öffnen konnte für den Gottesdienst der Gemeinde.

Wenn man Hubertusburg in Richtung Sachsendorf verlässt, kann man rückblickend noch kilometerweit die Wetterfahne auf dem Turm des Schlosses sehen. Diese Wetterfahne ist ein springender fliehender gejagter Hirsch. Jedes Mal, wenn ich nach Hubertusburg komme, ist mir dieser gejagte fliehende Hirsch wie ein Symbol für mein Lebensschicksal unter den Diktaturen des Nationalsozialismus und des Kommunismus."

Hermann Scheipers


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