Waldkapelle als Vorzeigeobjekt

Alter Lokschuppen wurde vor 50 Jahren fortschrittlichste Kapelle in der DDR


Vor 50 Jahren entstand aus einem alten Lokschuppen die fortschrittlichste Kapelle in der DDR. Der damalige Bischof von Meißen Otto Spülbeck zeigte den anderen Bischöfen beim Zweiten Vatikanischen Konzil in Rom stolz Fotos dieser Kapelle.

Kamenz/Oßling, 04.09.2007: „Im bischöflichen Ordinariat hat wohl keiner damit gerechnet, dass wir die Kapelle wirklich bauen“, erinnert sich Pfarrer Gerold Schneider heute. „Denn wir hatten ja kein Geld beantragt.“ Trotzdem ist aus einem alten Lokschuppen eine Waldkapelle entstanden, deren Foto der damalige Bischof von Meißen Otto Spülbeck den anderen Bischöfen beim Zweiten Vatikanischen Konzil in Rom stolz gezeigt hat. Zur Weihe der Kapelle am 15. September vor 50 Jahren war er allerdings nicht persönlich erschienen.

Angesteckt

Gerold Schneider war vor 50 Jahren Kaplan in Kamenz. Er hat sich an seiner ersten Stelle als Priester anstecken lassen von einer Idee, die ihm der damals schon ältere Lehrer Josef Neugebauer aus Oßling mehrmals unterbreitet hat. In diesem Dorf gute zehn Kilometer nördlich von Kamenz und weiteren Dörfern der Umgebung lebten nach dem Zweiten Weltkrieg etwa 400 Katholiken. Die meisten davon waren aus Schlesien gekommen. Für sie war es nicht leicht, bei Wind und Wetter in die Kreisstadt zum Gottesdienst zu kommen. Autos gab es damals wenige. Deswegen wollte Lehrer Neugebauer gern in der Nähe eine Kapelle errichten. Und er hatte einen genauen Plan.

Im Wald zwischen Oßling und Scheckthal stand ein alter Schuppen, in dem früher Loks der nahe gelegenen Grauwacke-Steinbrüche der Firma Metzner repariert worden waren. Diesen wollte er gern zu einer Kapelle umbauen. Als er Kaplan Schneider auf seiner Seite hatte, war auch schon ein Künstler gefunden, der den alten Lokschuppen zu einer Kirche umgestalten sollte – Gottfried Zawadzki, der selbst zur katholischen Pfarrgemeinde Kamenz gehörte und bis heute mit dem damaligen Kaplan befreundet ist.



Der Künstler Gottfried Zawadzki



Altar in der Mitte

Zawadzki schaute sich mit Kaplan Schneider das langsam zerfallende Gebäude im Wald an. Und bald war beiden klar: Hier können wir den Altar nur in die Mitte des Raumes stellen.

Das war damals in der katholischen Kirche überhaupt nicht üblich. Kaplan Schneider kannte aber einzelne Kirchen aus dem Westen Deutschlands, in denen der Priester schon damals die Messe zum Volk zugewandt feierte. Auf dem Gebiet der DDR gab es aber so etwas noch nicht. Er spürte damals auch: „Es lag schon in der Luft, dass es bald zu einer Änderung in der Kirche kommen wird.“ Als Schneider und Zawadzki Mitte der 1950er Jahre „ihren“ Kirchbau zu planen anfingen, war aber ein Konzil noch nicht in Sicht. Das wurde erst 1959 einberufen und fand von 1962 bis 1965 im Vatikan statt.

Richtige Wortwahl

In der DDR ein neues Kirchengebäude zu errichten, das theologisch seiner Zeit auch noch ein Stück voraus sein sollte, das war natürlich nicht ohne Widerstände möglich. Denn für einen Kirchbau musste man sich vom Staat eine Genehmigung besorgen. Diese hätte die Kirchenleitung erstens beantragen und zweitens genehmigt bekommen müssen. Das wurde von der atheistischen Regierung nur sehr selten erlaubt.

Und gäbe es einen solchen Antrag, müsste die Kirchenleitung ja den eigenen kirchlichen Bauherren auch eindeutig erlauben müssen, dass der Altar in der Mitte stehen darf. Geldmittel hätte das Bistum dann wohl auch noch dafür frei haben müssen.

Aber Kaplan Schneider fand einen Weg, dies alles zu umgehen. Bauingenieur Georg Witt gab ihm den Tipp, nicht vom „Bau“, sondern vom „Einrichten“ einer Kapelle zu reden, wofür logischerweise keine Baugenehmigung benötigt wird. Außerdem konnte er ja auch sagen, dass er damit zur Werterhaltung der alten Bausubstanz beitrage.

Beim Baureferenten des Bistums Meißen, Domdekan Gustav Palm, legte Kaplan Schneider seine Pläne vor. Der war zwar skeptisch, äußerte sich aber weder für noch gegen den Bau. Und da niemand Geld beantragte, glaubte er wohl nicht daran, dass dieses Vorhaben wirklich durchgeführt wird. Kaplan Schneider verstand es für sich so: „Die mündliche Nicht-Ablehnung durch Domdekan Palm wertete ich schließlich als Zustimmung.“



Pfarrer Gerold Schneider



Kirchbau mit dem ABV

Gebaut wurde dann zwar ohne Genehmigung, aber Kaplan Schneider machte sich deswegen wenig Sorgen. Ihm war bewusst, dass die neue Kapelle an der ehemaligen Bezirksgrenze Dresden-Cottbus und zugleich Kreisgrenze Kamenz-Hoyerswerda lag und dass deswegen die Baumaßnahmen nicht so schnell bemerkt werden konnten. Außerdem brauchte er nicht zu fürchten, dass der Abschnittsbevollmächtigte (ABV) ihn anzeigen würde. Denn der half mit. Das erste Mal sogar in Uniform. Kaplan Schneider hat zum Spaß dem vorbeifahrenden Polizisten zugerufen, dass er doch auch helfen kommen solle. Der stieg vom Fahrrad und fragte: „Wo hast�n �ne Schippe?“ Später kam er ohne Uniform arbeiten.

Als Kaplan Schneider wirklich erst nach knapp einem Jahr auf das Kreisbauamt einbestellt wurde, konnte er in aller Ruhe sagen: „Wir haben doch nur einen seit Jahrzehnten leer stehenden Gewerberaum generalrepariert und nur anders eingerichtet.“ Denn die Bauarbeiten waren so gut wie fertig. Weil niemandem auf dem Amt der vorherige Zustand des Gebäudes bekannt war, konnte auch niemand verbindlich beteuern, dass es einer Baugenehmigung bedurft hätte.

Für Gottes Lohn

Kaplan Schneider hatte beim Bistum keine Zuschüsse beantragt. „Ich kam damals nicht einmal auf die Idee. Hätte es mir jemand gesagt, würde ich wohl auch den Bischof um Geld bitten.“

Dafür war die Aussage aus der eigenen Pfarrei klarer. Obwohl der damalige Kamenzer Pfarrer Karl Franze nicht direkt gegen den Bau der Kapelle bei Oßling war, konnte er nicht so richtig an die Errichtung glauben und unterstützte das Vorhaben nicht tatkräftig. Und der für die Gelder der Pfarrgemeinde zuständige Rendant äußerte eindeutig: „Keinen Pfennig aus der Kirchkasse für ein so windiges Objekt.“

Vielleicht haben sich gerade deswegen Männer der Gemeinde und vor allem Jugendliche für diese Idee begeistern lassen. Es war eine echte Aufbruchstimmung, erinnert sich Pfarrer Schneider heute.

Mit 70 Mark der DDR auf dem Baukonto, das der Kaplan gesondert einrichten musste, ging es los. Auch Katholiken aus anderen Pfarrgemeinden haben geholfen, selbst Leute, die mit der Kirche nichts zu tun hatten – natürlich alle für „Vergelt�s Gott“. Andere haben Geld gespendet.

Dem Ort entsprechend

Künstler Zawadzki hat die Kapelle so gestaltet, dass sie ihrem Ort entsprach. Den ehemaligen Industriebau wollte er als solchen erkennbar lassen. Außerdem sollte die Armut der Menschen zum Ausdruck gebracht werden, die die Kapelle errichtet haben: in erster Linie Vertriebene der Orte rund um Oßling. Deswegen entschied sich Zawadzki für schlichtes Material, das er dort vorfand.

Ziel war auch, dass dieses im Wald stehende Kirchlein täglich geöffnet ist und damit zum Beten einlädt. Das wurde auch viele Jahre durchgehalten. Erst nachdem die Polizei verlangte, dass diese kleine Kirche außerhalb jeder Ortschaft geschlossen bleiben soll, hat dies Pfarrer Josef Kuschnik später veranlasst.

Ohne Bischof

Zur Weihe der Kapelle am 15. September 1957 kamen zwar mehr als eintausend Katholiken, aber nicht der Bischof. Warum, darüber kann man nur mutmaßen. Ob er wirklich aus terminlichen Gründen nicht konnte, was er als Grund angab, ist genau so möglich wie die Vermutung, dass er sich wegen des in der Mitte stehenden Altares von der Weihe fernhielt. Letzteres scheint aber unwahrscheinlich, da er ja sonst kaum einen Beauftragten in Person des Baureferenten Domdekan Palm schicken würde. Und er würde wohl kaum einige Jahre später stolz in Rom seinen Mitbrüdern ein Foto gezeigt haben mit der Bemerkung: „Schaut, wir haben schon vor dem Konzil so gebaut.“



Die Waldkapelle von innen - vor 50 Jahren der fortschrittlichste Kirchenbau: Der Priester konnte dem Volk zugewandt die Hl. Messe feiern.



Auch die oftmals geäußerte Vermutung, dass der Bischof Kaplan Schneider zwei Monate nach der Kapellenweihe strafversetzt hätte, ist eher unwahrscheinlich. Nach drei Jahren an der ersten Stelle, wie es in diesem Fall war, werden die meisten Kapläne versetzt. Außerdem wurde ihm nicht einmal ein Jahr später die Verantwortung für den Bau der Kirche in Seifhennersdorf übertragen. Und einige Jahre später wurde er sogar Baureferent des Bistums. Und schließlich sieht Pfarrer Schneider seine damalige Versetzung selbst nicht als Strafe an.

Umgestaltung

Anfang der 1990er Jahre hat nach mehr als 30 Jahren Pfarrer Josef Kuschnik die Kapelle sanieren lassen. Dabei hat er die inzwischen veränderten Bedürfnisse der Gottesdienstbesucher beachtet und die Kapelle dadurch zum Beispiel mit Strom für elektrisches Licht und Heizung versorgt. Vorher gab�s nur Kerzenlicht. Auch baulich hat er das Eine und Andere verändern lassen. Das missfällt allerdings den geistigen Vätern der Kapelle: dem in Kamenz lebenden Künstler Gottfried Zawadzki und Pfarrer Gerold Schneider, der seinen Ruhestand in Jena verbringt. Trotz allem hat sich Zawadzki bei der Renovierung zum 50. Jahrestag der Weihe eingebracht. Der Kreuzweg, den er damals gestaltete, musste restauriert werden. Und Pfarrer Schneider kommt trotz seiner Kritik zum Jubiläumsgottesdienst am Sonntag, 9. September, nach Oßling.

Beliebte Kapläne

Der heutige Kamenzer Pfarrer Dr. Michael Kleiner hat aber nicht nur ihn, sondern alle noch lebenden ehemaligen Geistlichen der Gemeinde eingeladen, auch alle ehemaligen Kapläne. Das hängt nicht damit zusammen, dass zwei von ihnen inzwischen Bischöfe sind – Georg Weinhold Weihbischof im Bistum Dresden-Meißen und Clemens Pickel Bischof im russischen Saratov –, sondern weil die Kapläne die Kapelle in Oßling mit den dortigen Gläubigen immer ein Stück als ihre Domäne angesehen haben. Schließlich ist ja mit der Bezeichnung Kaplan auch der einer Kapelle zugeordnete Kleriker gemeint. Meist jedoch wird es als Titel für Priester gebraucht, die in den ersten Jahren nach der Priesterweihe einem Pfarrer unterstellt sind und noch keine Alleinverantwortung für eine Pfarrei tragen.

Auf der anderen Seite haben auch die Gläubigen in Oßling ihre Kapläne gern gehabt und fast als ihre eigenen Pfarrer angesehen. Das ist aber seit zwei Jahren anders. Denn die Pfarrgemeinde hat nur noch einen Pfarrer als ständigen Geistlichen, dem sein Vorgänger im Amt nun als Ruheständler gern hilfreich zur Seite steht und unter anderem meist die Gottesdienste am Sonntag in Oßling übernimmt. Trotzdem musste Pfarrer Dr. Kleiner die Gottesdienstzeiten auch in Oßling ändern. Dies hat sich negativ auf die Kirchgängerzahl ausgewirkt. Trotzdem ist und bleibt die Waldkapelle in Oßling ein fester Bestandteil der Kamenzer Kirchgemeinde.

R. Ledschbor


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