Winter in Afrika

Morgen am Nil


Sonnenaufgang am Nil. Fotos: Friedrich Winter
Seit fünf Monaten arbeitet Pfarrer Friedrich Winter (zuletzt Pfarrer in Riesa) in Afrika. Im Norden Ugandas betreut er für den Jesuiten Flüchtlingsdienst Hilfsbedürftige. Heute berichtet er von einem Morgen am Nil.

Adjumani 2007-03-24

Wieder einmal hat es mich kurz nach Mitternacht aus dem Bett getrieben. Nach dem am Abend der Mond in seiner abgespeckten Variante zu sehen war und neben ihm ein hell leuchtender Stern und später der ganze Himmel in seiner ganzen Sternenschönheit strahlte, stand mein Entschluss fest, den inneren Schweinehund zu überwinden und den Weg von ca. 14 Kilometern in dunkler Nacht am frühen Morgen zu bewältigen. Der Mond war lägst verschwunden, um so schöner und klarer Strahlten die Sterne. Den Watchman hatte ich in seiner nächtlichen Ruhe wohl auch aufgeschreckt. Bereitwillig öffnete er mir das Tor und ich tauchte in das schlafende Adjumani ein. Keine Menschenseele war zu sehen und auch kein Hund war auf der Straße. Eine kleine Gruppe von Ziegen durchstreifte die Stadt. Für einen Motorradfahrer mit spärlichem Licht und schottriger Piste kann das eine richtige Herausforderung werden.

Die Nützlichkeit meine Integralhelmes bei einem nichtgeplanten Abflug möchte ich nicht testen, da ja andere Körperteile nicht geschützt sind und lange brauchen, bis sie abgeheilt sind. Da ich diesmal noch etwas zeitiger aufgestanden war als beim ersten Mal, konnte ich auch gemütlich dem Ziel entgegenfahren, ohne mich und andere in Gefahr zu bringen.

Zwischendurch habe ich auch einfach mal angehalten, den heulenden Motor zum Schweigen gebracht und einfach in die Stille gehört. Da ist es gar nicht so still. Krähende Hähne künden von allen Seiten den nahenden Morgen an. Vögel zwitschern verhalten. Noch sind keine Menschen unterwegs. Bei der dunklen Hautfarbe sind die Einheimischen auch ganz schlecht auszumachen. Und dann sind sie so nah, dass man bis ins Mark erschrickt.
Nahe der Straße finde ich einen herrlichen Platz, von dem aus ich über eine Ausbuchtung des Nils schauen kann. Ein schöner Platz, von dem aus ich auch die aufgehende Sonne sehen müsste. Diesmal bin ich der Erste. Noch ist niemand zu sehen oder zu hören, der auf dem Weg zum Fischen ist. Und relativ schnell wird der Horizont hell. Wolkenstreifen am Himmel heben sind vom rötlichen Hintergrund ab. Dann dauert es noch einige Momente. Die ersten Fischer huschen vorbei. Nicht alle nehmen mich wahr. Manche grüßen mit einem Winken, nachdem sie mich entdeckt haben und murmeln ein Good Morning. Dann ist die Sonne schon zu erahnen. Nach wenigen Augenblicken zeigt sich der obere Rand am Horizont. Sie hebt sich so rasend schnell, dass ich ein kurzes Video drehen kann, auf dem ich ihren Aufgang festhalten kann. Alles geht so rasend schnell, so dass ich am liebsten die Zeit anhalten möchte, um die Ereignisse zu genießen.

Dann steige ich auf mein knatterndes Motorrad, drehe eine Rund und suche mir noch einen anderen Platz in dem Areal, das sich nahe der Fähre befindet. Ich stoppe und mache den Motor aus, denn eine Gruppe von Affen habe ich erblickt. Acht bis zehn ausgewachsene und ganz kleine Affen haben einen riesigen Stein in Beschlag genommen. Die angrenzenden Bäume sind ein ideales Revier, all seine Künste zu zeigen und immer wieder zu üben. Die Jungen sind ganz unbekümmert. Ein alter Affe sitz ganz weit oben und beobachtet die Szene von seinem Aussichtspunkt genau. Und er möchte die Begegnung wohl aussitzen. Aber ich habe Zeit und beobachte die Jungen und das Treiben der Affenbande. Mit meinem kleinen Fernglas habe ich fast einen Augen-Blick. Fotos gibt es keine, da der Kontrast zu den Steinen so gering ist, wäre auch nicht viel zu sehen. Nach und nach ziehen sich die Affen zurück. Ich schleiche um den riesigen Stein herum und habe noch mal einen Blick auf die Gesellen. Dann entdecke ich auch zwei andere Tiere, die ich nicht kenne. Sie sehen einer riesigen Bisamratte ähnlich und sind sehr scheu. So kann man sich vielleicht eine kleine Vorstellung machen.

Um keinen Lärm zu machen schiebe ich das Motorrad ein Stück weiter. Nach einem kurzen Weg stelle ich es ab. Das Zwitschern der Vögel und die unterschiedlichsten Laute sind die Geräuschkulisse. Und ich habe keine Ahnung, welches Tier sich hinter den Lauten verbirgt und noch weniger verstehe ich, was diese Laute zu bedeuten haben.
In einem mitgebrachten Buch vertiefe ich mich. Ich höre, dass sich hinter meinem Rücken etwas tut. In einem großen Baum ist leben. Ich werde beobachtet. Erst mal so tun, als merke ich es nicht. Und da ist jemand neugierig. Im Schutz von Zeigen und Bäumen nähert sich jemand. Wer ist da so neugierig? Mit hellen Augen werde ich beguckt. Als ich mein Gesicht in seine Richtung drehe und unsere Blicke sich kreuzen, siegt die Neugier über die Angst.

Selbstbewusst schaut er mir in die Augen. Sein dunkles Gesicht hebt sich von dem grauen Umfeld sichtbar ab. Leider habe ich meine Camera nicht in meiner Nähe und greifbar. Auch in dem großen Baum hinter mir blicken mich nun dutzende von Augen an. Sie fühlten sich nicht bedroht und machten das Spiel mit. Der mir am nächsten war, kletterte zurück zu den anderen Affen. Als ich aufstand, schwangen sie sich von Ast zu Ast und ließen mich allein zurück. Allein war ich trotzdem nicht. Eine Anzahl von Geräuschen und Vogelschreien war zu hören, andere als noch eine Stunde zuvor. Mit einem Stück mitgebrachten Brotes und Wasser stillte ich meinen Hunger und meinen Durst.
Ich konnte den Ausgang aus dem Busch sehr schnell finden und merke mir die Stelle, um vielleicht noch mal hierher zu kommen. Es ist gar nicht so einfach, den Ausgang zu finden bzw. eine Stelle wieder zu finden, da alles erst einmal gleich aussieht. Aber ich habe einen Orientierungspunkt, der es mir leicht macht. Ein Schwarzer kam mir entgegen. Auf dem Kopf ein Bündel Brennholz. Dann entdeckte ich noch den Kadaver einer Kuh. Da hatten die Tiere der Savanne ein gutes, reichliches Stück.

Pfarrer Winter (rechts) nach einem Gottesdienst in Ibibioworo.


Gern fahre ich dann noch gern den kleinen Berg hinab zur Fähre. Da ist Leben, da sind Menschen, da ist was zu sehen. Als ich mein Bike abstellen möchte, kommt jemand auf mich zu und zeigt mir, dass ein Dornenast an meiner Fußraste hängen geblieben ist. Er nimmt ihn ab und schaut mich an und sagt, dass ich wohl aus dem Busch käme, womit er ja recht hatte.

Die Fähre ist auf der anderen Seite. Auf unserer Seite wartet ein "Nil Coach", einer der gewaltigen Busse, die in dieser Region den öffentlichen Verkehr bewältigen. Mit riesigen Geschwindigkeiten jagen sie über die Pisten und verursachen häufig auch Unfälle, die nicht so selten Tote zufolge haben. Ein Kleinbus und ein Pick up warten ebenfalls.

Noch bevor die Fähre Fahrt auf das Ufer nimmt, beobachte ich eine sehr junge Frau, die ein Kind auf dem Rücken trägt. Sie steigt die lehmige Böschung hinunter, ihren Jeansrock etwas angehoben. In der Hand hält sie eine große leere Coca Cola Flasche. Ihre Gummilatschen hat sie oben ausgezogen. Nun reinigt sie mit einer Bewegung die Oberfläche und taucht die Flasche ein, um sie zu füllen. Das macht sie mehrere Male. Inzwischen hat sie auch ein wenig die Erde aufgewirbelt, so dass das Wasser milchig wird. Sie wartet eine Weile, taucht die Flasche in schon beschriebener Weise ein und führt sie anschließend zum Mund und trinkt daraus. Die Fähre näher sich. Schnell nimmt sie das Kind vom Rücken, an einem Arm haltend, und stellt es ins Wasser und schöpft mit der Hand Wasser und lässt es über das Kind rieseln. Ein schrei im ersten Moment, dann scheint es die Wohltätigkeit zu genießen. Ein dazu gekommener junger Mann hat ihr die Flasche abgenommen und nimmt auch einen kräftigen Schluck daraus. Das Kind wird mit dem Tuch wieder gewickelt und findet seinen Platz auf dem Rücken der Mutter.

LKW am Nil.


Die Fähre kommt behäbig, beladen mit einem großen LKW und zwei kleinen Fahrzeugen, sowie mit zahlreichen Passagieren und Radfahrern. Die Anlegestelle ist ausgefahren. Von der Fähre zum Ufer ist oft eine große, tiefe Lücke. Die Erde ist aufgeweicht und schmierig. Irgendwie schaffen es die Autos immer, hinsehen darf man aber nicht. Beim Befahren hat der Bus keine Probleme. Bevor der Kleinbus entgültig fahren kann, müssen noch dreihandvoll Erde und zwei Steine her. Dann kracht er drüber. Geschafft! Es hat nur die Halterung des Ersatzrades abgerissen. Auch der Pick-up schafft es, obwohl er überladen ist. Die Radfahrer versuchen auch ihr Glück. Am besten, man zieht die Gummilatschen aus. An den Schuhen klebt der schmierige Brei, der sich auch nicht so einfach von den Sandalen entfernen lässt. Da nur ein Motor arbeitet, setzt sich die Fähre nur langsam in Bewegung. Das Wasser wird durch den Rotor in Wallung gebracht, die zahlreichen schwimmenden Pflanzen werden in Bewegung gebracht. Keiner scheint knapp die Fähre verpasst zu haben. Es ist ruhig geworden. Getränke und Fisch werden an kleinen Kiosken verkauft. Es wird nicht lange dauern, dann sammeln sich wieder Menschen, die Fähre legt an und bringt die Menschen von einem Ufer zum anderen. Die Überfahrt ist kostenlos. Der UNHCR betreibt die Fähre und zahlt den Diesel. Am Ende eines Tages kann es schon mal passieren, dass neuer Diesel geholt werden muss. Dann warten die Leute geduldig. Es gibt einen Fahrplan. Sicher scheint mir nur die Fähre um 7.30 Uhr zu sein, alles andere geht dann seinen natürlichen Gang. Dadurch habe ich auch schon mal einen herrlichen Sonnenuntergang erlebt. Wir nennen das wohl ENT-schleunigung des Lebens.

Gemütlich und vorsichtig fahre ich nach Adjumani zurück. Zu keiner Minute habe ich bereut, so früh auf die Beine gekommen zu sein. Fotos werden mir helfen, diesen Morgen am Nil in Erinnerung zu behalten.

Blumen am Nil.

Ein Beitrag von Pfarrer Friedrich Winter.

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