Winter in Afrika

Pfarrer Winter (zuletzt Riesa) berichtet über das Pfingstfest in Uganda


Pfarrer Winter zu Pfingsten 2007 mit Täuflingen und Ihren Müttern.
Pfarrer Winter (zuletzt Riesa) berichtet von seiner Tätigkeit für den Jesuiten-Flüchtlingshilfsdienst aus Uganda. Thema diesmal: Das Pfingstfest 2007 in Rhino Camp.


















Good bye LENIN

Ich bin noch ganz in Gedanken versunken. Kaum zu glauben. Die Vergangenheit hat mich wieder mal eingeholt, und zwar in einer Art, wie ich es hier im Herzen Afrikas nicht für möglich gehalten hätte. Für einen Außenstehenden mag das jetzt unverständlich klingen und völlig aus dem Zusammenhang gerissen. Deshalb der Reihe nach und in aller Ausführlichkeit.

Im Rhino Camp habe ich mir einen ruhigen Tag gemacht. Dieses Camp ist nahe dem Nil im "Westnile"-Gebiet von Uganda gelegen. Ende des 19.Jahrhunderten landete in dieser Gegend Afrikas britische Truppen. Am Ufer hatten sie Nashörner gesichtet. So nannten sie diesen Ort Rhino und schlugen ihr Camp am Nil auf. Die Siedlung "Rhino Camp" ist auf jeder ordentlichen Karte von Uganda zu finden. Der Ort selber ist eher unscheinbar und unbedeutend, schlichte Steinhäuser mit Blech bedeckt, ein kleiner Hafen für die Kajaks der Eingeborenen, kaum aufzufinden. Ein kleiner Fischmarkt, an dem an den Markttagen stark riechender Fisch, geräuchert oder nicht, verkauft wird. Ein Tourist findet den Platz nie, da er verborgen hinter einer Spinnerei liegt.

Rhino Camp meint aber auch etwas ganz anderes. Seit Ende des 20.Jahrhunderts gibt es neben den einheimischen, ugandischen Bevölkerung auch ebenso viele Flüchtlinge aus dem Sudan und wenige aus dem Kongo. Rhino Camp ist nicht ein umzäuntes Gelände, in dem unter Plastikplanen Tausende von Menschen hausen. Es ist ein Gebiet, in dem es Siedlungen der Ugander und der Flüchtlinge gibt. Die Flüchtlinge haben einen Flecken zum Besiedeln erhalten und ein Stück Land zum Bewirtschaften. Ihre schlichten Hütten haben sie aus Lehm oder aus gebrannten Steinen gebaut. Meistens sind sie rund und mit Gras bedeckt. Einige haben sie mit den unterschiedlichen Farben des Erdbodens verschönert. Diese Siedlungen befinden sich im Umkreis von 25 Kilometern. Auf sandigen und steinigen Wegen sind sie über unzählige Schlaglöchern zu erreichen. Für die Bewohner heißt das: nach langen Fußmärschen in oft unerbittlicher Hitze erreichen sie ihre kleine Siedlung des Flüchtlingslagers, an deren Ende sich auch das Gelände des Jesuitenflüchtlingsdienstes befindet. Wenige Häuser zum Wohnen und Arbeiten sind von einem Zaun umgeben. Seit mehr als zehn Jahren wird von hier aus das Rhino Camp betreut. Zahlreiche Seelsorger und Laienmitarbeiten haben inzwischen ihren Dienst an den Menschen getan.

Vor wenigen Tagen bin ich hier im Rhino Camp angekommen. Nach mehr als viereinhalb Stunden Fahrt durch das Gebiet des WESTNILE habe ich meinen Arbeitsort über Pfingsten 2007 erreicht. Langsam legte sich der Staub über die hinteren Sitzbänke und den Koffer, der meine Habseligkeiten beinhaltete. Das Tukul in der Mitte der Siedlung war bezugsfertig. Im Moment ist es unbewohnt. Seit der Rückkehr von Mark Tibedeaux, eines Jesuiten aus den USA, in seine Heimat ist die Stelle unbesetzt. Aus diesem Grunde bin ich für einige Tage zur Aushilfe im Rhino Camp.

Am Freitag sind wir früh nach Arua gefahren. 60 Kilometer westlich gelegen, ist sie die Hauptstadt der Region, Einkaufsstätte und auch kirchliches Zentrum der Diözese Arua. Wir haben den Projektdirektor Raymond abgeholt, der von einer Reise nach Wau im Sudan zurückgekehrt war, um dort mit Fr. Vitus zusammen zu treffen, der 4 Jahre in Rhino Camp das Projekt geleitet hatte. Es gab verschiedene Dinge einzukaufen und zu organisieren. Ein kleiner Bummel über den größten Markt der Region weit und breit und ein gutes Mahl im indischen Restaurant rundeten den Besuch ab.

Pfingstsamstag und -sonntag waren dann vollgepackt mit Gottesdiensten und Spendung von Sakramenten. Pro Gottesdienst wurden dann bis zu 40 Taufen gespendet. Bis zu 20 Kinder gingen das erste Mal zur feierlichen Erstkommunion. Vorher empfingen sie das Bußsakrament und den Erwachsenen wurde das Sakrament der Firmung gespendet. Die Kinder und Erwachsenen waren durch die Katecheten gründlich vorbereitet worden. Die Feierlichkeit dieses Tages war an der Ernsthaftigkeit ihres Tuns zu spüren. Das Fehlend er Festlichen Kleidung spielt dabei keine Rolle. Die allermeisten kommen in abgetragener, aber saubere Kleidung, barfuß oder mit Gummilatschen. Die Gottesdienste finden in den kleinen od. größeren Kapellen statt. Oft suchen wir uns aber auch einen schattigen Platz unter den Bäumen, der angenehmer und frischer ist.

In einem Ort wurden wir von den Kezitos schon weit vor der Kapelle empfangen. Wir stiegen aus dem Auto aus und setzten den Weg zur Kapelle zu Fuß fort. Singend und tanzend wurden wir geleitet. Unter einem Baum stand eine kleine Band, die uns mit traditioneller Musik empfing. Schnell einigten wir uns über den Ablauf des Gottesdienstes. Die Lesungen werden in verschiedenen Sprachen vorgetragen. Immer findet sich jemand, der meine Predigt aus dem Englischen übersetzt. Ich versuche sehr bildhaft und einfach zu predigen. Und kurz sollte es sein, da auch vielerorts zwei Übersetzungen nötig sind. Die Liturgie ist dann auch vielsprachig. Besonders schön war diese Mehrsprachigkeit zu Pfingsten, die uns dem Ursprung der Kirche sehr nahe brachte. Inzwischen habe ich mich auch an die vielen Taufen gewöhnt und Freude daran gefunden. Besonders schön sind auch die Bezeichnung mit dem Kreuzzeichen, die Salbung mit Chrisam oder die Überreichung der Kerze. Ich habe mir auch angewöhnt, die Täuflinge vorher zu begrüßen und mit ihnen zusprechen, besonders mit den Kinder, damit sie keine Angst vor dem "weißen Mann" haben müssen. Meistens gelingt mir das auch, ihnen die möglicherweise vorhandene Angst zu nehmen.

Am Abend, wenn wir nach zehn Stunden in unsere Siedlung zurückkehren, spüre ich, was ich den ganzen Tag gemacht habe. Wundervoll war der Himmel. Die untergehende Sonne erleuchtet die Wolken wie auf einem Gemälde der Romantik...


Sonnenuntergang an Pfingsten.


Nach unserer Rückkehr gibt es etwas warmes zum Essen, wir reden noch ein wenig miteinander. Draußen steht der fast volle Mond am Himmel. Bäume und der eigene Körper werfen einen gut sichtbaren Schatten. In der Ferne dudelt eine Disco mit afrikanischen Klängen. In der Nähe brüllt ein Ochse.

Eine Verbindung über ein Funktelefon ermöglicht den Emailverkehr. Das Empfangen und Senden von SMS oder das Telefonieren ist schon schwieriger, da dazu ein bestimmter Punkt unter einem Baum nahe des Grundstückes aufgesucht werden muß, was auch nicht immer einen Kontakt zur Welt ermöglicht.

Vieles ist hier sehr einfach. Neben einem TC (Trockentoilette) gibt es auch eine Handdusche. Mit der Hand wird das kalte Wasser mittels einer großen Tasse über den Körper verteilt.

Wie sagte jemand: "In Deinem Tukul musst du davon ausgehen, dass du nicht allein bist." Irgendwo gibt es immer Ameisen, Eidechsen oder anderes Getier. Alle bleiben einem eigentlich vom Halse. Nur die Moskitos scheinen keinen Respekt vor uns menschlichen Wesen zu haben. Mit einem Netz kann man sich die aber auch ganz gut vom Leibe halten. Außerdem schützen wir uns durch die Einnahme von verschiedenen Tabletten, die uns auch nicht unverwundbar, aber weit weniger anfällig machen als die einheimischen Bürger.

Franziska ist die Köchin. Das Essen ist ausgezeichnet. Ich wundere mich immer, wie man unter so primitiven Bedingungen so schmackhaftes Essen produzieren kann. Die Spezialität ist das von ihr gebackene Brot. Manche behaupten, es sei das Beste in WESTNILE. Ich gehe noch weiter: Es ist das Beste in ganz Uganda - was ich gegessen habe. In einer Art von Metallschrank wird Holzkohlenfeuer entzündet, innen und außen. In kleinen Backformen erhält der Teig so eine umgehende Hitze. Mit gutem Blick und viel Erfahrung wird das gebackene Brot dem Ofen entnommen und mit Öl bestrichen. Es riecht und schmeckt fabelhaft. Wasser, Mehl, Zucker und wohl Backpulver mit viel Liebe zum Backen, ergeben dieses Brot.


Ofen zum Brotbacken


Diesen freien Tag habe ich mir also verdient und mit Lesen und Schreiben und mit dem Sehen eines Videofilmes vertrieben. Für mich allein habe ich den Film "Good bye Lenin" angesehen. In Deutschland war es mir nicht gelungen, ihn in einem Kino oder im Fernsehen zu erwischen. Die JRS-Leute haben Kontakt mit Deutschen in einem Krankenhaus in Arua und tauschen ab und an Videos aus. So konnte ich in aller Ruhe mir den deutschsprachigen Film mitten im afrikanischen Busch ansehen. Mein Computer mit dem großen Bildschirm machte mir das auch zu einem Erlebnis. Zwischendurch wurde ich von Kindern gestört. Die kleinen barfüßigen Schwarzen fragten nach einem Ball zum Fußballspielen. Ansonsten war es sehr ruhig. Unter den Bäumen summten die Insekten über den herabgefallenen Früchten der Neem-trees. Die sollen auch gegen Malaria gut sein. Eine Ochse brüllte vor dem Tor und zog dann von dannen. Die Hähne jagten die Hühner und die Sonne brennt mit ihrer ganzen Kraft unerbittlich. Wie eine Oase ist da jeder Flecken im Schatten.

Am Abend verließ ich für einige Zeit das Gelände des JRS. Das war notwendig, um zu telefonieren oder eine SMS zu verschicken. Auf einem kleinen, naheliegenden Hügel steht ein Baum. Der hellscheinende Fast-Vollmond, der fast senkrecht über mir steht, zeichnet einen klaren Schatten von der Baumkrone und von mir in den hellen Sand. Umherwandelnd suche ich einen Punkt, der mir das Senden eines Signals ermöglicht. Der Sternenhimmel breitet sich über mir aus. Es ist still und nur wenige Geräusche sind zu hören. Es ist wunderschön.

Da kommt eine Gestalt auf mich zu, bemerkt mich, bleibt stehen und bewegt sich nicht. Ich spreche sie in Englisch und in Madi an. Keine Ahnung, ob sie mich versteht. Aber jemanden anzusprechen kann nicht verkehrt sein. Keine Antwort. Langsam setzt sie sich in Bewegung. Ich erkenne ein Kind, das auf dem Kopf einen Wasserkanister trägt. Es gibt keine Antwort und geht in einiger Entfernung stumm an mir vorbei. Da bemerke ich, dass noch 3 weitere Personen der ersten folgen. Alles geht lautlos. Im Dunkeln sind die Mädchen oder Jungen nicht zu identifizieren. Dann verschwinden sie im mondlichtdurchfluteten Gelände.

Ich gehe zurück und schließe die großen Zauntüren hinter mir. Das Gelände ist uneben. Ich tappe im Dunkeln dahin, schüttle den Sand aus den Sandalen. Solarstrom gibt die Kraft für wenige Lampen. Ich wechsele noch ein paar Worte mit den anderen und verschwinde dann in meinem Tukul. Ich lasse das Moskitonetz herunter, gehe mir die Zähne putzen und wasche mir noch oberflächlich den Staub und den Schweiß von Gesicht, Hals und Oberkörper. Schnell schlafe ich ein.

Der nächste Tag wird der Rückreisetag nach Adjumani. Die vier Nähmaschinen werden auf dem Pick up verstaut. Über die staubigen Buschwege geht es zu einer Siedlung, die zweieinhalb Stunden entfernt liegt. An der Straße wird ab und an gearbeitet, das Gras aus den Seitenregionen herausgehackt. Dabei sind auch Frauen mit ihren kleinen Kinder auf dem Rücken. Sie verdienen damit ein wenig Geld, vielleicht einen Euro pro Tag? Andere Abschnitte sind nur im Schritttempo zu bewältigen. Auf den Felder wird Kasaba und auch Tabak angebaut. Ein amerikanischer Tabakkonzern soll den Grundstoff für die Zigarettenherstellung hier aus Uganda beziehen. In Uganda ist das Rauchen auf der Straße verboten und wird auch mit einer Geldstrafe belegt. So sieht man auf der Straße keine Leute rauchen. Manchmal säumen kleine Anpflanzungen von Eukalyptusbäumen den Straßenrand.

An unserem Zielpunkt warten schon einige Leute, meist Kinder. Die anderen werden durch das Anschlagen einer ausgedienten Autofelge gerufen. Das dauert einige Zeit. So bleibt für mich genügend Zeit, mich mit den anstehenden Aufgaben vertraut zu machen: Ablauf der Taufe, Erstkommunionen, vorher Beichte und Absprache, welche Teile des Gottesdienstes in welcher Sprache gesprochen werden und welche Teile nicht aus dem Englischen oder Deutschen übersetzt werden. Der Gottesdienst ist festlich und dauert wieder ca. 2 Stunden. Zur Gabenbereitung wird auch ein Huhn gebracht und in den großen Opferkorb gelegt. Vor dem Altar wollte es aber nicht bleiben. Es hatte sich befreit und suchte das Weite. Es ahnte wohl schon, das sich sein Hühnerleben dem Ende näherte. Es wurde dann wieder eingefangen und fand seinen Platz in unserem Auto. Nicht allen Hühnern geht es so. Viele werden mit zusammen-gebundenen Beinen über weite Strecken transportiert, den Kopf nach unten hängend.

Nach dem Gottesdienst gab es auch noch einen Imbiß: Kasaba und Reis, Bohnen und ein totes Huhn. (Das zum Altar gebrachte Huhn haben wir lebend mit nach Adjumani transportiert). Auch Stefan, der Jesuitenschüler, der mich begleitete, hat sich schon an das Mit-den-Fingern-Essen gewöhnt Danach schlürfen wir einen supersüßen Tee. Unser Auto aus Adjumani war inzwischen auch da. So luden wir die Nähmaschinen um und es ging in rasendem Tempo, über Stock und Stein, in Richtung Heimat. Dann erreichten wir auch rechtzeitig die Nilfähre. Ein Reifen war platt. Schnell und geübt wurde er gewechselt und wir flogen Adjumani entgegen.

Eindrückliche und interessante Tage am Nil. Jeden Monat wird einer von uns den Dienst in Rhino Camp übernehmen. Dieses Pfingstfest war besonders beieindruckend. Ein wenig kam ich mir vor wie in der Urkirche.

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