Beichte ist eine tiefe Begegnung des Menschen mit Gott

Interview mit Bischof Reinelt zum Jahresthema „Sakramentale Versöhnung“


Will die Beichte wieder stärker in den Blick rücken: Bischof Reinelt.
"Wie oft sitzen denn Sie, Herr Bischof, als Beichtvater im Beichtstuhl?" - Hat Rafael Ledschbor vom Katolski Posol Bischof Reinelt im Interview gefragt. Die Antwort und das ganze Interview lesen Sie hier...

Frage: Wie oft sitzen denn Sie, Herr Bischof, als Beichtvater im Beichtstuhl?

Bischof Reinelt: Das ist relativ selten. Ich glaube, dass es für manche nicht so sehr ermutigend ist.

Warum das?

Da spielt natürlich die bischöfliche Autorität eine Rolle. Es ist sicher für diejenigen leichter, bei mir zu beichten, die mich eher als Bruder kennen. Das ist natürlich für Menschen, die nicht täglich Umgang mit mir haben, nicht so einfach.

Aber viele kennen doch den Beichtvater nicht, der im Beichtstuhl sitzt.

Das ist ja gerade das Problem. Das große Erschrecken kommt ja erst, wenn sie merken, dass ich da sitze.

Und umgekehrt – wie oft sind Sie denn selbst Beichtender?

Monatlich.

Aber Sie haben doch sicher keine schwere Schuld auf sich geladen. Warum soll man denn beichten gehen, obwohl man keine schwere Schuld auf sich geladen hat?

Weil Gott uns einlädt, dass wir seine Güte und Barmherzigkeit spürbar, erfahrbar annehmen. Es ist eigentlich komisch zu fragen, wie oft muss ich zur Beichte gehen und wann ist es unbedingt erforderlich. Ich gehe nicht, weil es unbedingt sein muss, sondern weil Gott mich einlädt.

Oft wird behauptet, dass heutzutage weniger gebeichtet wird als früher.

Ja, das ist bedauerlich, aber leider wahr. Es gibt allerdings auch sehr viele Treue, die längst entdeckt haben, wie kostbar die Beichte ist.

Woran liegt es, dass immer weniger Menschen immer seltener den Weg zum Beichtvater suchen?

Das hängt sicher sehr mit dem modernen Selbstverständnis zusammen. Viele meinen, dass sie alle persönlichen Dinge nur mit sich selbst und mit Gott klar machen können. Sie erleben es nicht, was eigentlich Prinzip der Kirche ist: Jedes Sakrament hat Gott Menschen anvertraut. Man kann sich nicht selber taufen, man kann sich nicht selber firmen, man kann sich auch nicht selber die Lossprechung geben.

Kann es auch damit zusammenhängen, dass Menschen sich schwer tun, sich untereinander und schließlich mit Gott zu versöhnen?

Das spielt natürlich auch eine Rolle. Das heißt, viele können gar nicht mehr erkennen, dass sie sündigen. Sie denken, dass alles, was sie machen, korrekt wäre – und wozu brauche ich da überhaupt noch einen Gott, der mir vergibt? Da heißt es ganz einfach bei Johannes: Wer das sagt, macht Gott zum Lügner (vgl. 1 Joh 1,10).

Da stellt sich die Frage: Was ist denn Sünde?

Eben – wer sagt „Ich sündige nicht“, macht Gott zum Lügner. Und sündigen ist: viel zu viel an sich selbst denken, viel zu wenig begeisterte Liebe dem anderen schenken, viel zu wenig Aufmerksamkeit für andere haben, viel zu sehr um sich selbst kreisen in allen Fragen des Lebens, viel zu wenig Solidarität üben und denen nicht helfen, die mich brauchen. Es gibt tausende Dinge. Im Grunde genommen ist der beste Beichtspiegel das Evangelium.

Wer das Vaterunser betet, bittet Gott bereits um Vergebung. Auch zu Beginn jeder heiligen Messe steht das Schuldbekenntnis. Wozu ist dann noch der regelmäßige Gang zur Beichte notwendig?

Selbstverständlich vergibt Gott auch denen, die in der richtigen Reue und Bußhaltung neu anfangen wollen. Das wird auch zum Ausdruck gebracht durch das Sündenbekenntnis in der Eucharistiefeier, das ja nicht individuell, sondern gemeinschaftlich ist. Aber wie bei den anderen Sakramenten gibt es eine Vervollkommnung durch das Sakrament der Kirche. Und die Beichte ist eines dieser ganz kostbaren Geschenke Gottes an die Menschheit.

Sünden werden ja nicht nur in der Beichte vergeben. Wobei noch?

Wenn ich das Getane bereue und es mir leid tut, handelt Gott bereits an mir, weil er mich liebt. Er hält sich nicht zurück bis zur Beichte.

Sie haben vorhin gesagt, man sollte nicht fragen, wie oft man beichten gehen soll. Gibt es dennoch eine Faustregel?

Ich denke, dass das nun tatsächlich jeder für sich selbst entscheiden muss. Die Krise, die manche mit ihrer Beichte erleben, ist auch etwas Positives. Man hat vielleicht früher die Beichte etwas zu sehr gewohnheitsmäßig verrichtet. Das wurde erledigt, als wäre es sozusagen jetzt halt einfach dran. Heute gehen viele dann zum Bußsakrament, wenn sie sich sehr bewusst und sehr tiefgehend von ihrer Schuld reinigen lassen wollen. Und das ist tatsächlich auch ein sehr positiver Ansatz. Also, Beichte ist keine Sache, die man nebenbei erledigt, sondern eine Sache der tiefen Begegnung des Menschen mit Gott.

Es geht also nicht in erster Linie darum, wie oft man zur Beichte geht, sondern wie man geht?

Das ist eigentlich eine gute Formulierung. Nicht die Zahl macht es, sondern die Tiefe der Begegnung mit dem ganz Heiligen. Und ich denke, es ist nicht umsonst, dass die großen Heiligen in der Geschichte der Kirche immer wieder ganz besonders dem Bußsakrament verbunden waren.

Wie definieren Sie den Sinn der Beichte?

Der Sinn der Beichte ist ganz eindeutig die Offenheit Gott gegenüber, wie sie in Gott selbst auch existiert. Zwischen Gott Vater und Gott Sohn gibt es keine Geheimnisse. Da gibt es ganz große Offenheit. Gott erwartet, dass diese göttliche Wirklichkeit sich im menschlichen Leben widerspiegelt. Deswegen ist ja typisch: Adam ging ins Versteck. Das berühmte Feigenblatt ist ein sehr schönes Zeichen dafür, dass man in Deckung geht. Der Offene, der Christ geht ins Licht. Er möchte das Licht Gottes in jeden Winkel seines Lebens, seiner Existenz hineinleuchten lassen. Das ist genau das Gegenteil des Bildes aus der Sündenfallgeschichte.

Kann man die Beichte auch als Sakrament der offenen Arme Gottes bezeichnen?

Ja, sehr schön. Denn ganz eindeutig ist gerade das Gleichnis vom verlorenen Sohn und barmherzigen Vater ja ein Zeichen dafür. Der Vater geht dem verlorenen Sohn entgegen. Aber der verlorene Sohn muss auch tatsächlich zurückkommen. Es geht also um Begegnung.

Oft wird behauptet, dass es mehr Psychotherapeuten geben müsste, wenn es die Beichte nicht gäbe. Inwieweit unterstützen Sie diese These?

Das ist sicher ganz richtig. Denn der Beichtvater hat ja nicht ganz absolut die Rolle eines Richters, sondern eines Bruders, der versteht, der heilt, der hilft. Gott will heilen und retten und nicht verdammen.

Aber zum einen kann der Psychotherapeut ja keine Sünden vergeben, und zum anderen sollte die Beichte ja keine Sprechstunde eines Mediziners sein.

Richtig. Aber wenn man heute davon ausgeht, dass jeder, der seelisch bedrückt ist, sofort Psychotherapie braucht, dann ist das ein großer Irrtum. Jeder Mensch erlebt fast täglich Erdrückendes. Und ich muss dann nicht gleich einen Therapeuten haben oder einen Mediziner einsetzen, sondern ich brauche jemanden, der mich stützt, der zu mir steht, der meine Versagen auch versteht und verzeiht. Ich denke, dass in den Beichtstühlen Jahrhunderte lang tatsächlich sehr, sehr viel Rettendes und Heilendes geschehen ist. Mir hat kürzlich ein bedeutsamer evangelischer Theologe die beiden Beichtstühle in der wieder errichteten Dresdner Frauenkirche gezeigt. Die meisten Leute wissen nicht, dass es die Beichte auch in der evangelischen Kirche gibt. Luther hat ja auch sein Leben lang gebeichtet.

Was erhoffen Sie sich durch dieses Jahr, das im Bistum Dresden-Meißen unter dem besonderen Akzent der Versöhnung im Beichtsakrament steht?

Wir haben im vergangenen Jahr das Thema Taufe gehabt. In der Geschichte der Theologie hat man die Beichte auch die zweite Taufe genannt. Da gibt es einen inneren Zusammenhang. Ich bin ja nach meiner Taufe nicht ständig mein Leben lang heilig. Ich bin als Mensch immer wieder in der Versuchung, meine Freiheit auszunutzen, auch schwach zu werden, sogar Böses zu tun. Deswegen spielt das Bußsakrament in der Kirche eine zentrale Rolle, damit der Mensch wieder in den Stand der Taufheiligkeit zurückgeholt wird. Man kann sagen – das will ich auch in meinem Hirtenwort zu diesem Jahresthema zum Ausdruck bringen –, dass im Augenblick der Lossprechung der Zustand der Taufgnade wieder erreicht ist.

Wie soll das in diesem Jahr praktisch aussehen?

Es wird in unseren Gemeinden über das Impuls-Hirtenwort gesprochen werden. Mir scheint, man muss mit den einzelnen Gemeindemitgliedern ins Gespräch kommen über die Fragen, die sie besonders bewegen, und vor allem auch helfen, das „Wie“ der Beichte zu kultivieren. Da sollte man die Leute nicht allein lassen. Es gibt natürlich auch die interessante Meldung von Beichtvätern, dass die Beichten besser, tiefer, ehrlicher geworden sind. Es ist schon ein Ziel, dass das weiter so geschieht.

Und wie soll das Beichten wieder alltäglicher werden?

Diesen Schritt muss der Einzelne tun. Das kann man niemandem diktieren. Das ist natürlich ein wichtiger katechetischer Prozess. Ich muss Erwachsenenkatechesen über dieses Thema halten, um zu erläutern, was eigentlich für uns zum Beispiel der Beichtspiegel bedeutet. Wo schaue ich hin, wenn ich sehen will, was ich richtig und was ich falsch mache? Ich schaue ins Evangelium. Und das ist natürlich eine neue Erschließung des Beichtspiegels durch das Wort des lebendigen Gottes.

Da können wir eigentlich nur hoffen, dass die Priester in der kommenden Zeit noch sehr viel Arbeit mehr bekommen.

Ich hoffe natürlich, dass das Wirkung zeigt. Aber man darf von solch einem Pastoraljahr nicht immer Explosionen erwarten. Es ist damit immer ein geduldiges Wachsen verknüpft. Wir schauen nicht in erster Linie auf die Beichtzahlen, sondern auf die Vertiefung.


Interview: Rafael Ledschbor
Das Interview ist erschienen im Katolski Posol.

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