Bischof Joachim Reinelt zum Fest Allerheiligen

Predigt am 1. November 2008 in St. Marienstern


"Das Fest Allerheiligen lässt uns fragen, wo ist der Weg zum guten Menschen? Wie können wir unsere schwachen Seiten hinter uns lassen? Wo geht es lang?
Vor uns haben schon viele Menschen diesen Weg gefunden und haben das Ziel geschafft..."

Frau Äbtissin, liebe Schwestern vom Zisterzienserinnenkloster Marienstern, Schwestern und Brüder!

Das Fest Allerheiligen lässt uns fragen, wo ist der Weg zum guten Menschen? Wie können wir unsere schwachen Seiten hinter uns lassen? Wo geht es lang?
Vor uns haben schon viele Menschen diesen Weg gefunden und haben das Ziel geschafft, nicht aus eigenem Können, sondern getragen von dem, der uns am Kreuz an sich gezogen hat.
Wenn das früheren Zeiten geschenkt wurde, worauf uns die Figuren von Heiligen in dieser Klosterkirche hinweisen, dann wird der Herr diese Heiligkeit auch unseren Zeiten schenken.
Die fantastische Sammlung der Jesusworte in der Bergpredigt zeigt uns, wie es geht. Selig, glücklich, die arm sind vor Gott. Alle, die Familien in armen Ländern besucht haben, stellen fest: diese Armen strahlen oft eine Freude aus, die man in den reichen Ländern selten antrifft. Arm sein lässt die kleinen Dinge schätzen, für die Reiche keinen Blick mehr haben. Arme sind oft eher zum Teilen bereit als Reiche. Arme haben mehr Fähigkeiten über die Grenzen des Materiellen hinaus zu schauen und so gehört ihnen schon jetzt ein Stück Himmelreich.

Selig die Trauernden, weil der Schmerz und die Tränen den Menschen dem gekreuzigten Herrn ganz nahe bringen. Der Mensch, der gerade Bitteres zu verkraften hat, versteht mehr vom Leben, weil er erahnen kann, welch göttliche Liebe in der Annahme des Kreuzes durch Christus verborgen ist. Trauer gehört zum Menschsein. Trauer gründet in der ehrlichen Erkenntnis, dass unsere Welt unvollkommen ist.

Selig, die keine Gewalt anwenden; denn sie werden das Land erben. 1989 war ich in Dresden in einer Demonstration, in der junge Christinnen immer wieder riefen: keine Gewalt, keine Gewalt! Die Volkspolizei setzte Gewalt ein und hat alles verloren. Die Gewaltlosen konnten das Land in die Hand nehmen. Ja, die Bergpredigt beweist ihre Wahrheit auch schon jetzt und im kommenden Leben.

Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden satt werden. Das scheint mir ein neues, hoffnungsvolles Zeichen unserer Tage zu sein: Immer mehr Menschen suchen nach Antworten auf die Grundfragen menschlichen Daseins. Woher komme ich? Wohin gehe ich? Bin ich nur ein Zufallsprodukt der Evolution? Oder gibt es einen tieferen Sinn für mein Leben? Lange Zeit hatte man diese Fragen verdrängt. Jetzt fragen und suchen viele ganz intensiv. Das ist gut für die Gesellschaft und für den Einzelnen. Hunger und Durst nach Erkenntnis. Das macht den Menschen menschlicher. Wer diesen Hunger nicht hat, sucht Absättigung bei Surrogaten, bei Ersatz. Darin aber liegt Enttäuschung.
Gott sei Dank, lässt man den Durst nach Wahrheit wieder zu. Die Finanz- und Wirtschaftskrise kann uns helfen zu begreifen, dass die Sicherheit unseres Lebens nicht allein in den Dingen zu finden ist. Das kann eine große Lehre für die ganze Menschheit sein.

Selig die Barmherzigen; denn sie werden Erbarmen finden. In unserer Leistungsgesellschaft hat die unbarmherzige Herausforderung des einzelnen oberste Priorität. Von klein auf wird Leistung gefordert und eingeklagt. Perfektion, Pünktlichkeit, Exaktheit, Spitzenleistung. Wer nicht mitkommt, hat für immer verloren. Das ist unmenschlich. Gott sieht das anders. Bei ihm gibt es keine hoffnungslosen Fälle. Jesus hat sich auf die Seite der Schwächlinge gestellt. Das hat schon damals Ärger gegeben. Trotzdem blieb der Herr bei diesem göttlichen Prinzip. Sogar wenn es um die Sünde ging, hat er klar bekannt: „Ich bin gesandt die Sünder zu rufen, nicht die Gerechten.“ (Mk 2,16) Deshalb sind wir auch heute gerufen, eine Welt der Barmherzigkeit zu bauen. Kein Mensch ist perfekt. Wir sind auf Barmherzigkeit angewiesen. Schuld einander vergeben, ist die einzige Möglichkeit zum Frieden in der Gesellschaft und zum Frieden mit Gott.

Erbarmen finden, ist eine Glückserfahrung. Jeder braucht sie zum Überleben.

Selig, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott schauen. Das ist der Sinn des Klosters, aus dem wir diesen Gottesdienst übertragen. Gott schauen. Da ist eine menschliche Erfahrung, die man nicht beschreiben kann, wie ein physisches Experiment. Wir alle wissen aber, dass vieles im Leben nur durch Erfahrung erkannt werden kann. Gotteserfahrung geht aber nur, wenn der Mensch sich befreit von den 1000 Fesseln, die uns an uns selbst und an bloß Äußeres binden. Das ist gemeint mit „ein reines Herz haben“. Wer in diesem Sinn gewinnen will, muss auch verlieren können. Deshalb sind die drei Ordensgelübde nicht Verlust, sondern Gewinn. Gott schon jetzt in gewisser Weise schauen zu dürfen, ist eine Hochform menschlichen Daseins. Möge es vielen in unserer Zeit von Gott gewährt werden.

Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne Gottes genannt werden. Dieser Seligpreisung werden alle am spontansten zustimmen. Das hohe Gut des Friedens kommt nicht von selbst. Es muss bewirkt, gestiftet werden. Ich muss mich dafür einsetzen. Ich muss dafür glühen.
Friede unter den Völkern, Friede in der Gesellschaft, Friede in der Familie, Frieden mit sich selbst - das alles geht nur unter herzhaftem Einsatz. Ich muss als erster die Hand reichen. Überall dort, wo der erste Schritt vom Gegenüber erwartet wird, entsteht kein Friede. Friede wird auch nur dort, wo die Gerechtigkeit existiert. Friedensfähig ist, wer selbst in sich Frieden hat, Sohn Gottes ist.
Immer wieder in der Geschichte gab es Friedensstifter. Niklaus von der Flüe ist ein beeindruckender Mann des Friedens in der Schweiz geworden, als er in der Abgeschiedenheit der Ranft ganz im Frieden seiner Seele Gott gefunden hatte. Der Friedenspapst Johannes XXIII., der die Welt 1959 aufgefordert hat: kommen wir zusammen, machen wir den Spaltungen ein Ende, hat uns auch gesagt: der Friede verlangt viel Verständnis und Großmut. Denn auch wenn man einander gern hat, gibt es doch immer etwas, was dem einen oder anderen missfällt. Da ist die heilige Geduld, die Quelle des Glücks, nötig.
Frieden stiften, bedeutet also engagiert Geduld haben. Das gilt für Politik und für den kleinen Lebensraum gleicherweise.

Schließlich wollen wir noch schauen auf den Impuls der Bergpredigt, selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; selig seid ihr, wenn ihr um meinetwillen beschimpft und verfolgt und auf alle mögliche Weise verleumdet werdet: freut euch und jubelt, euer Lohn im Himmel wird groß sein.
In den letzten 100 Jahren sind so viele Christen zu Märtyrern geworden wie nie zuvor. Die Verachtung der Gläubigen ging jedoch einher mit dem größten Wachstum der Kirche wie nie zuvor. In den christlichen, freien Teilen Europas war der Gläubige geschützt und es ging eher zurück. Offenbar gibt es einen Zusammenhang zwischen Verfolgung und Wachstum. In der ehemaligen Sowjetunion, in der es bereits als staatsgefährdend galt, eine heilige Ikone in der Wohnung zu haben, hat sich nach der Wende die Hälfte der Bevölkerung zum orthodoxen Glauben bekehrt. Verfolgung und Verachtung tragen ihre Früchte. Das wird so bleiben. Und der Lohn für die Verfolgten wird im Himmel groß sein.
Die Bergpredigt ist das göttliche Versprechen, auf diesem Weg vollendeter Mensch, heilig, zu werden.
Auf diesem Weg findet jeder sein Glück. Johannes XXIII. hat gesagt: man kann mit einem Hirtenstab in der Hand heilig werden, aber ebenso gut mit einem Besen!


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