Für die empfangenen Wohltaten danken!

Eine Predigt des Oratorianers Dr. Siegfried Hübner


Der Oratorianer Dr. Siegfried Hübner plädiert dafür, Gott zu danken - für "alles, was wir als Menschen erlebt und erlitten haben". Wir dokumentieren seine Predigt anlässlich seines 85. Geburtstages im Januar.

Die Feier der Eucharistie ist - nach einem Wort des Konzils - "Gipfel" und "Quelle" allen christlichen Lebens. In ihr findet alles, was hinter uns liegt, einen abschließenden Höhepunkt. Aber aus ihr geht auch hervor, was in dem Leben, das vor uns liegt, im Geist und in der Gnade, wie Gott sie schenkt, weiterhin zu tun und zu bestehen ist.

Ich möchte hier an den großen "Aufbruch" erinnern, wie er in jeder Feier der Eucharistie geschehen soll: "Lasset uns danken dem Herrn, unserm Gott!" Dazu sollten wir unsere Herzen erheben. Aber ist das so geschehen, wie es angebracht wäre?

Im Exerzitienbuch des heiligen Ignatius von Loyola steht als Punkt Nr. 1 einer "Allgemeinen Erforschung", die den anderen Geistlichen Übungen vorausgehen soll, die Weisung: "Gott, unserem Herrn, für die empfangenen Wohltaten danken." Dabei denkt aber Ignatius nicht nur an das, was uns einfällt, wenn wir das lesen. Ihm geht es dabei um alles, was wir als Mensch erlebt und erlitten haben. Alles - also auch alles, was für uns auf den ersten Blick keineswegs Glück und Segen, sondern im Gegenteil Unglück und Missgeschick ist, sollen wir auf seinen tiefsten und geheimnisvollen "Grund" durchschauen, so lange und so tief, bis uns aufgeht, dass auch dies alles letztlich "Wohltat" war, uns gegeben und zugemutet um unseres endgültigen Heiles willen. In diesem Punkt Nr. 1 sollen wir uns darin üben, "Gott zu finden in allen Dingen", so zu finden, dass wir für alles von Herzen Dank sagen können. Als einer seiner Freunde zu Ignatius kam und an den Exerzitien teilnehmen wollte, fragte Ignatius ihn, ob er sich schon um diesen Punkt 1 bemüht habe. Als dieser das verneinen musste, hat er seine Bitte abgelehnt. Er solle es zuerst einmal mit dieser Übung versuchen. Erst dann könnten ihm die anderen Geistlichen Übungen weiterhelfen.

Wenn ich das bedenke, dann wird die Feier der Eucharistie mit dem Aufruf „Lasset uns danken dem Herrn, unserm Gott!“ zu einer "Quelle", die nicht versiegt, wenn wir mit dem Segen Gottes den Gottesdienstraum verlassen. Denn dann muss ich mich doch - so, wie Gottes Geist mich dazu bewegt - weiterhin darum bemühen, Gott für die empfangenen Wohltaten zu danken, - auch für alles Verhängnisvolle und Dunkle in meinem langen Leben: für die verlorenen Jahre des Krieges mit ihren entsetzlichen Erlebnissen, für schwere Erkrankungen mit ihren bleibenden Folgen, für das Scheitern eigener Pläne und Erwartungen, zum Beispiel auch dafür, dass damals unsere Dienste als Oratorium des heiligen Philipp Neri in dieser Pfarrgemeinde so schnell und beklagenswert wieder aufgegeben worden sind. Dann muss ich danken können auch für das dunkle Kapitel eigenen Versagens, eigener Verfehlung und Schuld, das ich - wie jeder Mensch - gern streichen würde aus dem eigenen Lebenslauf... - Weil der Gott, an den wir als Christen glauben, auch auf allen solchen "krummen Zeilen" immer "gerade schreibt"; weil er alles, was wir erlebt und erlitten haben, selbst unsere bösen Gedanken und Taten, zum Guten, auf eine endgültige glückliche Vollendung unseres Lebens hinlenkt, die wir uns nicht vorstellen können, von der wir aber - im Blick auf Jesus, den Gekreuzigten und Auferstandenen - hoffen dürfen, dann werde Gott als Geheimnis immer noch größerer Liebe, als wir sie uns ausdenken könnten, "alles und in allem" sein (1 Kor 15,28).

Das sage ich, weil ich diesen Punkt 1 einer "Allgemeinen Erforschung", wie sie uns als Christen aufgegeben ist, längst noch nicht "abhaken" kann und dankbar dafür bin, dass Gott mir noch Zeit gewährt, in der ich das vielleicht noch lernen und fertig bringen werde. Aber vor allem erinnere ich daran, weil ich meine, dass dieser Punkt 1 für uns als Christen in der Welt von heute eine Be�deutung bekommt, die der heilige Ignatius wohl noch nicht ahnen konnte: weil uns damit in unserer heutigen Zeit einer großen "Gotteskrise" ein Weg gewiesen wird, Gott "von neuem" zu finden, Gott, nicht wie wir Menschen uns ihn denken, sondern als den, der er in Wirklichkeit ist: als Geheimnis unbegreiflicher Liebe. "Wir wissen, dass denen, die Gott lieben, alles zum Guten gereicht" (Röm 8,28). So konnte der heilige Paulus schreiben, dem die "Existenz" Gottes kein Problem war. Wir müssen vielleicht sagen: Wenn wir felsenfest vertrauen, dass alles, auch unbegreifliches "Schicksal" und namenloses Leid, sogar unser Sterben, letztlich einen guten Sinn haben wird, dann dürfen wir hoffen, in solchem Vertrauen auch Gott zu finden - ihn als den zu finden und zu lieben, der er in Wahrheit ist.

Zwei Worte lohnen sich, in diesem Zusammenhang bedacht zu werden:
"Wenn du etwas begreifst, ist es bestimmt nicht Gott." (Augustinus)
"Das Leid ist unbegreiflich. Aber eben durch diese
Unbegreiflichkeit ohne Antwort kommt der Mensch, wenn er sie als letztlich doch sinnvoll annimmt, in das richtige Verhältnis zu Gott." (Karl Rahner)

"Der Leib Christi!" - Mit diesem Wort wird uns die Eucharistie gereicht. Dazu sagen wir "Amen". Mit dem heiligen Augustinus dürfen wir das so verstehen, dass uns damit "unser eigenes Geheimnis" gezeigt wird. Denn als Gemeinschaft Glaubender sind wir selbst "wirklich" Christi Leib. Unser "Amen" heißt also: "Ich will ein gutes, lebendiges Glied am Leibe Christi sein!" Damit sagen wir alle auch zueinander: Wir wollen füreinander da sein und leben, füreinander eintreten und uns gegenseitig helfen, nicht nur in unseren irdischen Bedürfnissen, sondern auch auf unserem Weg des Glaubens, zur Vollendung unseres Lebens im Geheimnis Gottes. - Wie wäre es, wenn wir alle, ein jeder von uns, diesen Punkt 1 einer "Allgemeinen Erforschung" als Lebensaufgabe mitnehmen würden und versuchten, in unserem Alltag einen Schritt in diese Richtung zu gehen? - Wir würden damit füreinander das Größte und Wichtigste in unserem Leben als Menschen und Christen tun.

Siegfried Hübner

(Predigt am 9. Januar 2008 in der Pfarrkirche St. Kunigunde zu Pirna, anlässlich seines 85. Geburtstages)


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