Angehörige psychisch Kranker sind mit ihrer Not oft allein

Interview mit dem katholischen Krankenhausseelsorger Matthias Mader


Psychische Krankheiten in der Familie werden in der Öffentlichkeit immer noch verdrängt. Die "Woche für das Leben" will aufmerksam machen auf die Not der Betroffenen und ihrer Angehörigen. Ein Interview mit dem Krankenhausseelsorger Matthias Mader.

Psychische Krankheiten in der Familie werden in der Öffentlichkeit immer noch verdrängt. Und das, obwohl in Deutschland 20 Prozent aller Kinder und Jugendlichen als psychisch auffällig gelten, über 1,5 Millionen Mädchen und Jungen mit psychisch kranken Eltern leben und nahezu jede und jeder von Fällen psychischer Erkrankungen im Freundes- und Bekanntenkreis weiß. In Dresden wurde am Montag, 20. April, vor Journalisten auf die „Woche für das Leben“ hingewiesen. Das Thema lautete „Total normal!? Psychische Krankheit in der Familie“. Einer der Gesprächspartner war Matthias Mader, seit zwölf Jahren Seelsorger im St.-Marien-Krankenhaus in Dresden-Klotzsche, einem Fachkrankenhaus für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie. Im Interview für den Katolski Posol, der sorbischen katholischen Kirchenzeitung, erklärt er, wie wichtig dieses Thema ist. Im Jahr 2009 steht die „Woche für das Leben“ unter dem Motto „Gemeinsam mit Grenzen leben“. Die Aktion wird von der Deutschen Bischofskonferenz und dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland gemeinsam getragen.

Warum ist es denn nicht total normal, mit psychisch Kranken zu leben?

Ich denke, das ist deshalb, weil wir diese Krankheit oft aus unserem Blickfeld verdrängen. Das hat sicher damit zu tun, dass wir mehr oder weniger psychisch gesunden Menschen Angst haben vor solchen Erkrankungen, die ja den ganzen Menschen betreffen, ihn niederdrücken und von seinem sonstigen Alltagsempfinden entfremden. Das wollen wir dann oft nicht an uns heranlassen. Und trotzdem kann jeder auch selbst psychisch krank werden. Jederzeit!

Warum müssen denn die beiden großen Kirchen auf psychische Erkrankungen hinweisen?

Ich denke, die Kirchen haben von ihrem Grundauftrag her, vom Evangelium her, in der Nachfolge Jesu Christi eine besondere Nähe zu den Kranken. Sie wissen sich von Jesus Christus her in die Sorge zu den Kranken gerufen. Psychische Erkrankungen betreffen noch viel mehr als andere Erkrankungen den ganzen Menschen. Da sind die Kirchen besonders gefragt, auch diese Menschen anzusprechen, ihnen die Hand auszustrecken, mit ihnen hilfreich umzugehen.

Das haben doch die Kirchen bisher auch schon getan!

Ja sicher. Wir haben aber nach wie vor eine gewisse Stigmatisierung psychischer Erkrankungen beziehungsweise psychisch Kranker. Und gerade in der Nachfolge Jesu Christi geht es ja um dieses grenzüberschreitende Zugehen auf andere. Es geht darum, dass jeder mitgenommen wird, auch der, der am Rande steht, der sich am Rande fühlt. Gerade Menschen mit psychischen Erkrankungen fühlen sich ja auch subjektiv sehr an den Rand gestellt, auch wenn es objektiv nicht immer so ist. Da braucht es Aufklärung und Information, da müssen die Kirchen auch anwaltschaftlich Position beziehen und sagen, dass diese Menschen genauso dazu gehören.

Nun geht es aber beim diesjährigen Thema nicht nur um die psychisch Kranken, sondern auch um deren Angehörige. Inwieweit hatte die Kirche und auch die Gesellschaft die Angehörigen bisher übersehen?

In der Kirche ist ja der Blick auf die Familie als die Urzelle der Gesellschaft immer schon ein großes Thema gewesen. Insofern können die Kirchen dieses soziale Anliegen auch gut in die Gesellschaft einbringen. Gerade Menschen mit chronischen Erkrankungen und auch chronisch psychisch Kranke sind viel zu wenig im Blick. Hier kann die Kirche heute auch ein Sprachrohr sein für Menschen, die zu wenig selbst eine Stimme haben.

Welche Erwartungen haben mit dieser „Woche für das Leben“ Sie zum Beispiel im Hinblick auf Krankenkassen und auf die Politik?

Generell wäre es notwendig, dass man die psychisch Kranken und deren Angehörige mehr in den Blick bekommt. Außerdem sollten solchen Familien zum Beispiel spezielle Urlaubsangebote gemacht werden. Wichtig ist dann natürlich auch der ganze Bereich Arbeit und Beschäftigung. Hier braucht es gerade für chronisch psychisch Kranke mehr Möglichkeiten, wenigstens stundenweise tätig sein zu können. Ambulante Ergotherapie ist da oft wichtig, aber kein wirklich ausreichender Ersatz.

Die Caritas bietet unter anderem auch in Kamenz Treffen für Angehörige psychisch Kranker an. Wie wichtig ist denn dieser Erfahrungsaustausch für die Angehörigen?

Ich denke, es ein ganz wichtiger Bereich, der in den vergangenen Jahren gewachsen ist. Damit wird Angehörigen ein Gesprächsforum gegeben, um ihnen eine Entlastung anzubieten. Die Begleitung psychisch kranker Angehöriger – manchmal über viele Jahre hinweg – ist auch eine enorme Anforderung, die sehr kräftezehrend sein kann. Deshalb sind solche Treffen für Angehörige auch ungeheuer wichtig. Sie brauchen auch eigene Möglichkeiten, sich gegenseitig zu stärken.

Sie als Krankenhaus-Seelsorger sind in erster Linie für die Kranken zuständig. Inwieweit sehen Sie denn Ihre Aufgabe auch für die Angehörigen?

Ich habe immer wieder Kontakt mit den Angehörigen. Im Vordergrund steht natürlich der Patient. Er muss auch zustimmen, dass ich mit seinen Angehörigen sprechen darf. Das ergibt sich sehr oft, wenn ich Patienten besuche und dabei Angehörige treffe. Da kommen natürlich auch Fragen, wie sie zu Hause damit zurechtkommen. Bereits vor dem Krankenhausaufenthalt haben die Familien meist schon über Monate hinweg mit dem Problem der Krankheit gekämpft. Da versuche ich auch, wertschätzend mit den Angehörigen zu reden, ihnen zu zeigen, dass sie auch schon Großes geleistet haben und jetzt auch ein Stück an die Klinik und an die Therapeuten abgeben können und nun für sich selber auch ein Stück Ruhe suchen sollten. Das bespreche ich mit den Angehörigen und mit dem Patienten gemeinsam. Besonders wichtig sind die Kontakte zu Angehörigen zum Beispiel bei einer fortgeschrittenen Demenzerkrankung. Die stehen ja mit ihrer Not allein da. Sie sind durch die Betreuung ihres kranken Angehörigen schon sehr erschöpft. Da ist Seelsorge für die Angehörigen schon notwendig.

(Fragen: Rafael Ledschbor)


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