Bischof Reinelt: "Ehe und Familie für alle Kulturen von zentralem Interesse"

Hirtenwort am Familiensonntag 2009


Bischof Joachim Reinelt
"Die Kostbarkeit der Familie muss von Kirche und Gesellschaft geschützt und gefördert werden. Darum darf es Armut mancher Familien in unserer Wohlstandsgesellschaft nicht geben", sagte Bischof Reinelt in seinem Hirtenwort.

Liebe Schwestern und Brüder im Bistum Dresden-Meißen,

heute, am Familiensonntag, eröffnen wir das neue Pastoraljahr mit dem Schwerpunkt Ehe und Familie. Ehe und Familie sind seit Beginn der Menschheit für alle Kulturen von zentralem Interesse. Das ist nach neuesten Umfragen auch bei der jungen Generation von heute noch so. Offensichtlich haben die allermeisten von uns positive Erfahrungen mit ihren Familien, aus denen sie stammen. Deshalb wollen wir zuerst der Generation der Großeltern unseren Dank erweisen. Ohne euer Ja zum Leben gäbe es uns nicht. Ohne eure Familienkultur hätten wir keine Vorbilder. In oft schweren Zeiten habt ihr für die Zukunft eurer Kinder gesorgt. Wir leben heute von der Aufopferung und Mühe eures Lebens. Gott gewähre euch Freude an euren Kindern und Enkeln. Wir danken für eure Liebe und Güte. Betet, dass es weiterhin gut geht in den jüngeren Ehen und Familien.

Liebe Schwestern und Brüder,

schon im ersten Kapitel der Heiligen Schrift wird unser Menschenbild und Eheverständnis grundgelegt. „Gott schuf den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie" (Gen 1,27). Das ist die Magna Charta der christlichen Sicht vom Menschen und seiner Ehe. An jedem Menschen lässt sich also etwas von Gott ablesen. Wie der Dreifaltige Gott nicht einsam und alleinstehend ist, so soll der Mensch nicht einsam und allein dastehen. Der Mensch ist Gottes Ebenbild als Mann und als Frau. Wie in Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist ganz unterschiedlich sind, jedoch ein einziger Gott ist, so sind vergleichbar Mann und Frau sehr unterschiedlich, aber in ihrem Menschsein doch völlig gleich. Gleichheit und Unterschiedlichkeit müssen verstanden, gewürdigt und geachtet werden, damit aus dem Abbild Gottes nicht ein Zerrbild menschlicher Kurzsichtigkeit wird.

Frauen dürfen anders sein als Männer. Und Männer dürfen anders sein als Frauen. Die natürliche Anziehungskraft zwischen beiden beruht auf dieser Polarität. Vor allem in der Ehe entwickelt sich daraus eine Beziehung zueinander, die einen lebenslangen Prozess des gegenseitigen Erkennens bewirkt. Niemals wird ein Partner fertig sein mit der Entdeckung des Anderen. Immer wird es in der Ehe Neues, oft Überraschendes geben. Das kann erfreuen, aber auch irritieren. Die Bemerkung, so kannte ich sie noch gar nicht, so kannte ich ihn noch gar nicht, kennen wir aus dem Alltag einer Ehe. Wer auf diese Neuentdeckungen nicht vorbereitet ist, kann daraus eine richtige Krise entwickeln. Eheleute sollten aber in solchen Wachstumsprozessen eher eine Chance sehen, sich tiefer zu erkennen und zu verstehen, um intensiver zusammen zu wachsen. Grund zur Kapitulation besteht hier nicht. Viel eher bietet sich hier ein bisweilen mühsamer Aufstieg auf eine höhere Ebene des Miteinanders an.

Auch das Ja zu Schwächen und Versagen des Anderen gehört in den Alltag der Ehe. Die Ehe und die Familie leben von der Bereitschaft zu vergeben. Das Versagen eines geliebten Menschen in der Familie schmerzt natürlich viel mehr als die Sünde eines Fremden. Gerade aber in belastenden Situationen, mit der Schuld des Partners oder der eigenen Schuld umzugehen, können wir Christen im Vertrauen auf die Barmherzigkeit Gottes Lösungen finden, die ohne unseren Glauben nicht gefunden würden. Versagen und Schwäche führen geradewegs in die Arme dessen, der sie für uns am Kreuz ausgebreitet hat. Wenn er uns am Kreuz trotz unserer Schuld so liebevoll umarmt, sollten wir uns dann nicht am Abend eines nicht so guten Tages die Umarmung der Vergebung schenken?

Es ist bedauerlich, dass so viele bei dunklen Erfahrungen sehr schnell kapitulieren. Man verfällt dem Trugschluss, mit einem anderen Partner könnte alles besser gehen. Da ist die nächste Enttäuschung schon vorprogrammiert. Es gibt keine fehlerlosen Menschen. Es gibt aber für jede Krise eine Chance. Es ist oft hilfreich, sich von erfahrenen Eheberatern, von anderen Eheleuten oder auch von unseren Priestern helfen zu lassen.

Wer diesen Weg nicht gegangen ist, sondern nach Scheidung und Wiederheirat in einer Situation lebt, die mit dem christlichen Eheverständnis nicht konform ist, wird trotzdem nicht aus der Gemeinschaft der Kirche ausgeschlossen. Die Kommunion mit Christus in seinem Wort und durch den Heiligen Geist in der Gemeinschaft der Kirche bleibt bestehen. Der Verzicht auf die eucharistische Kommunion soll bezeugen, dass der Betroffene trotz seiner Entscheidung zur Unverletzlichkeit einer von Gott und den Menschen geschlossenen Ehe steht. Wir wissen, wie schwer manche am Kreuz der zerbrochenen Ehe leiden und wollen nie einen Stein auf sie werfen. Beten wir weiter miteinander um die Barmherzigkeit Gottes. Maßgebend für uns alle ist das Wort Jesu Christi: „Was Gott verbunden hat, darf der Mensch nicht trennen". Dieses Wort macht Mut. Es verspricht ja, dass Gott die Ehepartner verbindet. Gott ist stark. Gott hat verbunden. Sein Handeln im Sakrament der Ehe hat eine Kraft, die Berge versetzen kann. Allerdings übt Gott keinen Zwang aus. Die Freiheit des Menschen tastet Gott nicht an.

Die Auffassungen unserer Umgebung von Ehe und Familie unterscheiden sich leider immer mehr von der Botschaft des Evangeliums. Deshalb wird vielen guten Eheleuten das Leben in Treue und Beständigkeit durch das Denken der modernen Gesellschaft erschwert. Viele Leute sind in unseren Tagen vor allem darauf aus, alles mitzunehmen, was das Leben geradeso anbietet. Viele sind nur darauf aus, nichts zu verpassen. Manche sind total genusssüchtig. Wer sich von dieser Geistlosigkeit gefangen nehmen lässt, der ist eigentlich eheunfähig. Aber man kann sich aus diesem Gefängnis des Egoismus befreien. Die Liebe schafft das. Die Liebe wendet sich dem Anderen zu. Sie findet Zeit für den Partner. Liebe lässt schenken ohne zu fragen, was man zurück erhält. Liebe fordert nicht dauernd und zwingt niemanden. Die Liebe fragt nicht immerfort, wie geht es mir. Sie fragt, wie geht es dem Anderen. Wilhelm Busch schrieb: „Nicht, wie glücklich man lebt, ist entscheidend, sondern wie beglückend". Liebe vermag sogar den anderen höher einzuschätzen als sich selbst.

Das ist die Lebensart des neuen Menschen, in der Vertrauen wächst. Ehe braucht Vertrauen. Vertrauen ist aber nicht möglich ohne Bindung aneinander. Deshalb ist das zuverlässige Bündnis für die Ehe unverzichtbar. Eine Ehe auf Probe ist ein Widerspruch in sich selbst, denn dahinter steckt Misstrauen. Auf Misstrauen wächst nichts Gutes. Wagnis ist gefragt. Ihr jungen Leute, habt Mut zur Bindung in der Kraft des Sakramentes der Ehe. Verbunden in Christus gibt es kein blindes Wagnis.

Wenn sich Braut und Bräutigam das Sakrament der Ehe gegenseitig spenden, dann ist wahrhaftig Hoch-Zeit. Aus diesem Hoch-zeitserlebnis erwächst durch das lebenslange Wirken Christi eine Kraft, die wir selbst niemals aufbringen können. In diesem sakramentalen Lebensraum, der von Gott durchdrungen und von Vertrauen getragen ist, lässt sich Ehe glücklich gestalten. Auch Erotik und Sexualität finden in einer so geglückten Ehe ihre Erfüllung. Nach dem Willen Gottes ist die gegenseitige Hingabe in der Ehe ein heiliges Geschehen. Es verlangt deshalb ganzheitliche Hingabe, weil wahre Liebe keine Einschränkung verträgt. Voller Liebe offen sein für einander und offen für die Kinder, die Gott schenken will. Aus diesem vollendeten Glück erwächst Familie.

Wer empfindet nicht eine große Freude angesichts einer glücklichen Familie. Wenn erkennbar ist, dass eine Familie im Geist des Evangeliums lebt, hat man oft den Eindruck, ein Stück Himmel auf Erden zu erleben. Da haben Eltern und Kinder Zeit füreinander. Da weiß man sich voneinander angenommen. Da sorgt sich einer um den anderen. Bisweilen erfährt man, was es heißt, ein Herz und eine Seele zu sein. Kinder lernen von den Eltern. Eltern lernen von den Kindern. Für gute Taten wird niemand bezahlt, und doch tut man sie. Alles wird miteinander geteilt: Freude und Leid, Ruhe und Arbeit, Sonntag und Woche, Stärke und Schwäche. Vor allem das Fest hat einen guten Platz in der Familie. - Die Vielfalt einer Familie lässt sich kaum in Worte fassen. Jedenfalls ist Familie dort, wo trotz vieler Pflichten für einander dem einzelnen viel Freiheit bleibt.

Familie kann so schön sein. Deshalb muss die Kostbarkeit der Familie von Kirche und Gesellschaft geschützt und gefördert werden. Darum darf es Armut mancher Familien in unserer Wohlstandsgesellschaft nicht geben. Auch müssen wir dafür Sorge tragen, dass Kinder beim eigenen Vater und der eigenen Mutter groß werden können. Elternlose Kinder sollen von guten Eltern adoptiert werden. Behinderte Kinder sollen liebevolle Aufnahme finden, denn auch sie sind selbstverständlich mit der Würde des Menschen ausgestattet. Unsere Gesellschaft soll endlich genauso leidenschaftlich wie die Kirche ja sagen zu jedem Menschenkind vom ersten Augenblick der Befruchtung bis zum letzten Atemzug. Auch fordern wir für unsere Familien ausreichend Zeit für ihr Zusammenleben. Arbeit und Schule dürfen Familie nicht an den letzten Platz drängen. Was nützen unserem Land rastlose Arbeitnehmer und schlaue Kinder, wenn die Seele aus dem Gleichgewicht gekommen ist? Das Erziehungsrecht der Eltern muss den ersten Platz behalten.
Der Wert der Familie lässt sich zwar nicht berechnen, aber von einem Denkenden lässt er sich erkennen und anerkennen.

Die Zukunft der Völker wird von gesunden Familien abhängen. Gesunde Familien verlangen nach guten Ehen.

So wollen wir in diesem pastoralen Jahr die Kostbarkeit unserer Ehen und Familien tiefer entdecken, aus der Kraft des Ehesakramentes leben und für unsere Familien beten. Gemeinden im Aufbruch werden unsere Familien begleiten und unterstützen.

Gott segne und behüte euch. Er lasse sein Angesicht über euch leuchten und sei stets in eurer Mitte.

Joachim Reinelt
Bischof von Dresden-Meißen

Dresden, Dezember 2008

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