Ökumenischer Gottesdienst zum 13. Februar in Dresden

In der Kathedrale zum Gedenken an die Zerstörung der Stadt 1945


Vier Kerzen für Synagoge, Kreuz-, Frauenkirche und Kathedrale.
In der Kathedrale gedachten Christen der Zerstörung der Stadt vor 64 Jahren. Pfarrer Oestreicher (Sussex) predigte zum Thema Feindesliebe. Vier Kerzen aus dem Gottesdienst wurden in die Gedächtniskapelle, in Synagoge, Frauen- und Kreuzkirche gebracht.

Dresden, 16.02.09 (KPI): In der Dresdner Kathedrale haben am Abend des 13. Februar Dresdnerinnen und Dresdner der Zerstörung der Stadt vor 64 Jahren gedacht. Pfarrer Dr. Paul Oestreicher, Sussex, der ehemalige Leiter des Internationalen Versöhnungszentrums Coventry, predigte zum Thema Feindesliebe (Predigttext im Wortlaut im Anschluss). Dr. Christopher Cocksworth, Lord Bischop of Coventry, würdigte in einem Grußwort die Versöhnungsarbeit der Städte Coventry und Dresden. Der 13. Februar stand in diesem Jahr besonders unter dem feierlichen Rückblick auf 50 Jahre gemeinsame Städtepartnerschaft zwischen Dresden und Coventry.

Grußwort aus Coventry: Bischof Dr. Christopher Cocksworth.

Vier brennende Kerzen wurden im Anschluss an die ökumenische Feier in die Gedächntiskapelle der Kathedrale, in Synagoge, Frauen- und Kreuzkirche gebracht. Hier leuchteten sie am 13. und 14. Februar zu den Friedensgebeten und zum Schabbatgottesdienst. Zur Erinnerung an die nächtliche Bombardierung Dresdens läuteten ab 21.40 Uhr alle Kirchen der Stadt ihre Glocken.

An den Gedenkveranstaltungen beteiligte sich auch Bischof Joachim Reinelt, der unter anderem am Abend des 13. Februar am Gedächtnisabend vor der Frauenkirche, am 14. Februar am Schabbatgottesdienst in der Synagoge und am Gedenkzug vom Neumarkt zum Altmarkt teilnahm.

Predigttext von Pfarrer Dr. Paul Oestreicher zum ökumenischen Gottesdienst am 13. Februar 2009:

Heiliger Geist der Freiheit, sprich zu uns, dass wir mutiger leben und freudiger lieben.

In der Bergpredigt, so wie Matthäus sie berichtet, sagt Jesus zu den versammelten Menschen:
Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder eures Vaters im Himmel werdet; denn er lässt seine Sonne aufgehen über die Bösen und die Guten, und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Wenn ihr nur die liebt, die euch lieben, welchen Lohn könnt ihr dafür erwarten? Tun das nicht auch die Zöllner? Und wenn ihr nur eure Verwandschaft grüsst, was tut ihr damit besonderes? Tun das nicht auch die Heiden?
Ihr sollt also vollkommen sein, so wie es euer himmlischer Vater ist.

[Matthäus 5: 43-48]

Habe ich recht gehört? Wir sollen so vollkommen wie Gott sein. Kann das ernst gemeint sein, wo wir so weit davon entfernt sind? Schauen wir uns selbst und unsere Mitmenschen an. Vollkommen, grenzenlos Freund und Feind lieben? Ist das nicht jenseits aller Vernunft? Irgendwo steht�s doch in der Bibel, die Liebe sei höher als alle Vernunft. Höher jedenfalls als unsere Vernunft ist die Liebe wirklich.

Käme es nur auf diese Vernunft an, dann müssten wir resignieren. Der Sieg der Liebe, die Fähigkeit, um mit Paulus zu sprechen, Böses mit Gutem zu besiegen, muss aber für uns möglich sein, sonst ist Gott hilflos. Auf dieser Welt jedenfalls hat er nur uns, ist er auf uns angewiesen. Sind wir restlos dazu unfähig, dann gibt es für unsere Welt eigentlich keine Hoffnung. Wenn der Geist Gottes – und damit meine ich die wahre Liebe - in uns lebt, natürlich nicht nur in uns Christen, sondern in allen Menschen, Atheisten eingeschlossen, denn kein lebendes Wesen ist gottlos, dann sieht alles schon besser aus, dann wird das scheinbar Unmögliche vielleicht doch möglich.

Mit dieser Frage ringt Berthold Brecht in seinem dramatischen Gleichnis vom Guten Menschen von Szechuan. Immer wieder wird der Mensch, der das Gute will, durch die Ungerechigkeit der Welt frustriert. Schen Te, die gute Hure, von den Göttern mit einem anständigen Laden belohnt, muss sich in den gerissenen Herrn Schui Ta verwandeln, um in der korrupten Geschäftswelt, die wir nun tagtäglich in den Schlagzeilen erleben, nicht bankrott zu gehen. Brecht resigniert nicht. Er wendet sich an uns, sein Publikum:

Was könnt die Lösung sein? Wir konnten keine finden, nicht einmal für Geld. Soll es ein anderer Mensch sein, oder eine andere Welt? Vielleicht nur andere Götter? Oder keine?... Der einzige Ausweg aus diesem Ungemach: Sie selber dächten auf der Stelle nach, auf welche Weis dem guten Menschen man zu einem guten Ende helfen kann. Verehrtes Publikum, los, such dir selbst den Schluss: es muss ein guter da sein, muss, muss, muss...

Diejenigen unter uns, die glauben, Jesus von Nazareth begegnet zu sein, meinen, dass sie in Gottes grenzenloser Liebe dieses gute Ende erkannt und sogar erlebt haben. Dass nur Christen zu dieser Liebe fähig sind, glaube ich zwar überhaupt nicht. Das kann ich leicht aus eigener Erfahrung bezeugen. Gott sei Dank ist der Heilige Geist nicht auf unsere unvollkommene Christenheit angewiesen. Keine Konfession, keine Religion ist alleiniger Verwalter dieser göttlichen Liebe. Diese Liebe ist vogelfrei, sie wird durch kein Religionspatent geschützt. Sie ist uns geschenkt worden; wir haben nichts Wertvolleres, was wir anderen verschenken könnten.

Pfarrer Dr. Paul Oestreicher predigte in der Kathedrale.

Große Lehrer menschlicher Weisheit gibt es viele. Die Feindesliebe ist das ganz besondere Geschenk Jesu an die Menschheit, eine Art Liebe, die Jesus aber nicht nur gelehrt hat, sondern auch gelebt hat. Diese Feindesliebe ist, meiner Meinung nach, der Schlüssel, der Weg zu der neuen Welt, die Jesus das Himmelreich nennt. Diese Form der Liebe stellt eine radikale Absage am Zeitgeist der Christenheit seit der Zeit des römischen Kaisers Konstantin dar. Im Zeichen des Kreuzes wurden die Feinde des Kaiserreichs mit gutem Gewissen geschlachtet. Die Kirchen aller Konfessionen - mit der Ausnahme kleiner Minderheiten – haben die Feindesliebe damit zur irdischen Unmöglichkeit erklärt. Sogenannte gerechte, sogar oft als heilige Kriege bezeichnet, ermutigten die christlichen Ritter im Namen Gottes tausendfach Muslime zu schlachten, Religionskriege auch gegen vermeintlich falschgläubige Christen zu führen und in jüngster Zeit unter der Etikette „deutsche Christen“ Juden millionenfach ermorden zu lassen. Letzte Ironie der Geschichte ist es, dass all dies im Namen des Rabbiners Jesus von Nazareth geschah.
Es muss nicht so sein. Domprobst Howard predigte sechs Wochen nach der Zerstörung der Stadt Coventry zu Weihnachten, in der Ruine seiner Kathedrale: „Obwohl es uns schwer fällt, sagen wir nein zur Vergeltung und ja zur Vergebung“. Diese Aussage signalisierte eine radikale Abkehr von bestehenden Normen. Das war das erneuerte Denken, zu dem Paulus in seinem Brief an die Gemeinde in Rom aufrief. Möglich war�s aber zu keiner Zeit; so glaubten jedenfalls die herrschenden Mächte niemals an die Möglichkeit eines solchen Bewusstseinswandels.

Keine Vergeltung? England und Amerika, die sich natürlich schon immer für christliche Nationen gehalten haben, antworteten darauf mit mit der Ermordung von etwa 25 000 Menschen hier in Dresden und mit der Einäscherung in einer höllischen Sekunde von 100 000 Menschen in Hiroshima.
Die anderen Kulturvölker stehen uns darin nicht weit nach. Ein tiefgläubiges Islam rächt sich nun in einem heiligen Krieg an dem Westen. Nach zweitausendjähriger christlicher Verfolgung weiß der Staat Israel nichts Besseres zu tun, als seinen Feinden mit Staatsterror zu entgegnen.

Wir alle nennen sowas Verteidigung dessen, was Unser ist, auf Kosten des vermeintlichen Feindes. Ein Teufelskreis der Gewalt. Ich meine damit uns, uns in England, euch in Deutschland, und all die anderen reichen Völker, die Milliarden an Rüstung verschwenden, und angeblich keine Mittel haben, um den tausendfachen Tod von Kindern zu verhindern, die kein reines Wasser haben. Das bedeutet Massentöten auch bei Waffenruhe.

Viel politische Prominenz war unter den Gästen des ökumenischen Gottesdienstes.

All diese Gewalt, all dieses Töten, stellt eine Absage an der Vernunft, ein Außer-Kraft-Setzen der Liebe dar. Jedoch ist diese Liebe, diese vernünftige Feindesliebe möglich. Sie muss, wenn wir das erkannt haben, bei uns selber, bei uns zuhause, beginnen. Heute. Heute in Dresden.

Wenn die verblendeten, hasserfüllten Faschisten Europas durch diese Stadt marschieren wollen, ist uns das zuwider. Wir verabscheuen ihr Gedankengut. Ein seltsames Wort, denn sie haben keine guten Gedanken. Sie sind tatsächlich Feinde der Menschlichkeit. Also müssen wir uns fragen: Wie können wir ihren Irrsinn, ihren Unsinn mit Liebe besiegen? Das ist die Aufgabe, die uns Jesus gibt. Wir werden erst beginnen, diese Aufgabe zu erfüllen, wenn wir verstanden haben, warum dise Menschen so sind, wie sie sind. Ist es wirklich nur ihre Schuld? Eine Gegendemo: ja wir müssten dabei sein, aber damit ist das Böse noch lang nicht mit Gutem besiegt. „Was könnt die Lösung sein?“. Eine Menschengruppe zu verteufeln, ist die Lösung bestimmt nicht.

Ähnlich steht�s mit Christen, bei denen der Wahnsinn des Antisemitismus noch in den Knochen steckt, wie z.B. die jüngst irrsinnigeweise vom Vatikan rehabilitierte Sekte von Rechtsextremisten, die nichts aus der Geschichte gelernt haben. Ein katholisches Problem? Nein, ein Problem für alle Christen. Martin Luther war�s, der das Leuchtfeuer der brennenden Synagogen anzündete. Lutherjahr, einfach so? Eben nicht so einfach, wenn auch gut für den Tourismus. Was heisst hier gelebte Feindesliebe, wenn die Feinde unter uns sind?

Wenn ich mir zuhöre, laufe ich Gefahr, mich davon zu überzeugen, es wäre vielleicht besser, mit der Religion, jeder Art von Religion, Schluss zu machen. Die, die das denken, sind nicht unbedingt die Feinde der Liebe. Aber so denke ich nicht. Die Beweise für tätige Feindesliebe in all den grossen Religionen der Welt sind mannigfaltig. Fur jeden der hasst, gibt es eine andere – ja, es sind öfters Frauen – die mit offenen Händen und Herzen auf den Feind zugeht. In diesem Gottesdienst haben wir die Gelegenheit, uns mit einer solchen jüdischen Gruppe solidarisch zu erklären. Die Vereinigung „Ärzte für Menschenrechte in Israel“ ist heute aktiv im Einsatz, um der palästinensischen Bevölkerung Gazas dringend notwendige Hilfe zu gewähren. Das ist praktizierte Feindesliebe, tätige Liebe, aktive Wiedergutmachung, die die Feindschaft durchkreuzt. Wir können uns daran, durch die Gottesdienstkollekte mit hoffentlich viel mehr als dem symbolischen Groschen beteiligen.

Feindesliebe. Der Feind ist immer unser Ebenbild.Wir haben nicht nur Feinde, sondern sind selber Feinde und nicht selten Feinde Gottes, die immer wieder Vergebung brauchen – und erfahren. Das Wort Sünde ist zwar nicht in Mode, nicht ganz zu Unrecht, denn die Kirche hat viel zu viele Menschen als Sünder verschreckt und abgewiesen. Erkennen wir aber, dass wir einzeln und gemeinsam in Sachen Liebe noch viel nachzuholen haben, dann ist das Ziel der Vollkommenheit nicht ausser Reichweite.

Durch die Dunkelheit der Massengräber hier und an vielen Orten unserer gefährdeten Erde scheint das Licht der vergebenden Liebe Gottes.

Haben wir Angst vor der scheinbar unmöglichen Herausforderung, dass wir das Böse mit Gutem besiegen sollen, den Teufelskreis der Gewalt brechen, dann nimmt uns Jesus bei der Hand. „Fürchte dich nicht, du kleine Herde“, sagt er „der Vater will dir das Himmelreich schenken.“

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