Mauern der Angst überwinden 

Der Dresdner Jesuitenpater Markus Franz ging zu Fuß nach Jerusalem

Jerusalem

Blick auf Jerusalem vom Ölberg aus.


Rund tausend Kilometer legte der Jesuitenpater Markus Franz, Leiter des Exerzitienhauses Haus HohenEichen, ab Ende März zwischen Tarsus und Jerusalem größtenteils zu Fuß zurück. Der Jesuit, der vor wenigen Tagen nach Dresden zurückgekehrt ist, erzählt von seinen Eindrücken.

Gestärkt mit vielen guten Wünschen und begleitet vom Gebet und dem Pilgersegen durch Bischof Joachim Reinelt war er am 25. März nach Adana/südliche Türkei geflogen, wo ihn Wolfgang und Brigitte Zecher (Würzburg) in Empfang nahmen. Diese waren schon von Deutschland aus zu Fuß unterwegs und auf ihrer zweiten Etappe auf dem Weg nach Jerusalem. Am 26. März besuchten sie Tarsus, den Geburtsort des Heiligen Paulus. Von dort ging es zu Fuß durch Syrien und Jordanien bis ins Heilige Land. Dort, am Ziel ihres großen Pilgerwegs, kamen sie am 9. Mai an.

Eine Auszeit von drei Monaten machte es P. Franz möglich, diesen Pilgerweg zu verwirklichen. Anstoß gaben ihm dazu frühere Jakobspilger und die Liebe zum Heiligen Land, das so zerrissen ist. Berichte und Bilder haben die Pilger während ihrer Reise auf einer eigenen Homepage eingestellt. Sie können aufgerufen werden unter www.jerusalempilger.de

Eine besondere Auszeit

Am Anfang stand ein Pilgerbericht: Ein Mann aus Nürnberg hatte sich einen Traum erfüllt und war von Le Puy bis Santiago de Compostela gepilgert. Das war vor 1990 für die meisten Menschen unvorstellbar. Er erzählte lebhaft, wie er sich auf die Reise vorbereitet hatte und schließlich als Rentner den ganzen Weg gegangen ist: "Jeder kann so einen weiten Weg gehen; vorausgesetzt er nimmt sich genügend Zeit", erklärte er den verdutzten Zuhörern. Inzwischen sind Tausende den Weg nach Santiago gegangen und haben ihre ganz persönlichen Erfahrungen mit dem Pilgern gemacht. Darüber gibt es ja viele Bücher.

Ein zweiter Impuls kam aus Jerusalem. Schon mehrmals war ich im Heiligen Land gewesen, hatte das Land und seine reiche Geschichte lieben gelernt, aber auch die tödlichen Konflikte erlebt. Diese waren 2002 zu einem neuen Höhepunkt gekommen, als dort eine Mauer errichtet wurde. Sie erinnerte mich an die dunkle Geschichte der Teilung unseres Landes, die 1989 glücklich überwunden war. Und jetzt stand wieder eine Mauer! Man müsste etwas tun, das Mauern überwinden kann. Da entstand der Gedanke: "Eine Fußwallfahrt - wäre das das nicht ein Zeichen unserer Zeit, das Grenzen überwindet und auch Religionen verbindet?" Ursprünglich wollte ich den ganzen Weg mitgehen, doch eine so lange Auszeit konnte ich nicht nehmen, und so musste ich mich mit einem Teil der Strecke begnügen: den Weg von Tarsus nach Jerusalem.

Ein Arzt, dem ich von meinem Vorhaben erzählte, fragte mich spontan: "Wissen Sie, wie ein Sprenggürtel aussieht?" Ja, ich hatte Angst, musste ich zugeben. Die fremden Länder, die ich noch nie bereist hatte, die täglichen Berichte von Bomben und Gewalt; die hygienischen Verhältnisse - ein ganzes Bündel von Vorurteilen trieb mich um. Aber gerade deshalb wollte ich das Pilgern wagen - um hinter diese Mauer der Angst zu schauen und die Menschen und besonders auch die Christen zu besuchen, die in diesen Ländern leben.

So hielt ich Ausschau nach Verbündeten und fand ein Ehepaar aus Würzburg, das sich eine Sabbatzeit nehmen wollte und schon Erfahrungen mit der Wallfahrt nach Santiago hatte - sie waren bereit, den Weg zu gehen. Eine weitere Vorbereitung bestand im Auffinden von sicheren Orten in den uns fremden Ländern. Die Jesuitengemeinschaften, die am Weg lagen, und andere Ordensgemeinschaften boten sich an - besonders gefreut hat uns die Verbindung zur GCL in Syrien, die wir in Aleppo und Damaskus antrafen. So entstand bald ein Netz von Anlaufpunkten, die über den ganzen Weg verteilt waren.

Am Rand der Wüste in Syrien

P. Markus Franz und Brigitte Zecher (l.) am Rand der Wüste (in Syrien).

Von Tarsus nach Jerusalem

Das war eben der Weg, den der junge Paulus ging, um in Jerusalem Schüler des Rabbi Gamaliel zu werden. Von Tarsus bis Jerusalem, das ist eine Strecke von knapp 1000 km - zwei Drittel davon gingen wir zu Fuß, ein Drittel der Strecke fuhren wir mit Bussen oder Taxis, um gefährliche Abschnitte oder zu weite Entfernungen zur nächsten Unterkunft zu überwinden. Wir wanderten - nicht wie in Deutschland auf Wanderwegen, sondern meist an Schnellstraßen entlang, in Syrien entlang der großen Autobahn, die vom Norden nach Süden führt. Das bedeutete oft Lärm und Gefahr durch den Verkehr, aber auch Sicherheit. Denn nur dort gab es Straßenschilder, die wir lesen konnten, und waren wir auch sonst sicherer als auf kleinen Straßen.

Die ersten zwei Wochen durchquerten wir den Süden der Türkei. Vom ersten Tag an bis nach Jerusalem begleitete uns täglich der regelmäßige Ruf des Muezzims, der uns ans Gebet und daran erinnerte, dass die Mehrheit in diesem Land Muslime sind. In der südlichen Türkei leben einige christliche Gemeinden: Wir trafen sie in Adana, Iskenderun und Antakia, dem alten Antiochia. In Adana erlebten wir einen engagierten indischen Priester, der nach Jahren des Niedergangs wieder die Christen der Stadt sammelt.

In Iskenderun waren wir Gäste vom Bischof Luigi Padovese, mit dem wir das Osterfest feierten. Bischof Luigi ist ein Mann der Verständigung und des Dialogs weit über die katholische Kirche hinaus: So überraschte uns in der Osternacht der Oberbürgermeister der Stadt Iskenderun, der - selber ein Moslem - mit seiner ganzen Familie der �Zeremonie' beiwohnte und hinterher beim Empfang uns Gäste aus Deutschland persönlich begrüßte.

bei Bischof Luigi Padovese

Zu Gast bei Bischof Luigi Padovese (2. v.r.) und seiner Sekretärin (r.).

In Antakya (Antiochia), der Stadt der ersten großen christlichen Gemeinde unter der Leitung des heiligen Petrus, erlebten wir das mutige Engagement von Barbara Kallasch, einer Frau, die sich seit über dreißig Jahren für ein friedliches Miteinander der verschiedenen Religionen einsetzt. Sie kam gerade aus Paris, wo sie mit einem großen Chor aus den verschiedenen Religionsgemeinschaften zu einem Konzert eingeladen worden war. Ihr Chor, so sagte sie stolz, repräsentiere nicht nur Antakia, sondern das Selbstverständnis der Türkei, ein Land der Vermittlung und Verständigung zwischen Ost und West, zwischen Europa und dem Nahen Osten, zwischen dem Islam und anderen Religionen sein zu wollen.

In allen Orten der Türkei erlebten wir Tag für Tag die Freundlichkeit und Gastfreundschaft der Türken. Oft wanderten wir entlang von großen Schnellstraßen und suchten den Schatten der Tankstellen auf, um ein wenig zu verschnaufen. Immer wieder begegneten wir einem Tankwart, der uns selbstverständlich zum Tee einlud. Einmal war es der Autowäscher, der uns, als wir müde am Randstein saßen, eine ganze Tüte Fruchtsaft schenkte, für die er weit mehr als eine Stunde arbeiten musste.

Gastfreundschaft

Gastfreundschaft - spontane Einladung einer Familie in Syrien.

Syrien - Klöster zwischen Highway und Wüste

Von der Türkei nach Syrien, das ist noch mehr Vorderer Orient: arabische Buchstaben und Zahlen und eine neue Sprache, helle Kalksteinbauten wie Schachteln, Wüsten- und Felslandschaften und ein unglaublich vielseitiges kulturelles Erbe: Aleppo, Hama, Homs und Damaskus, das sind die großen Zentren, die wir durchwandern und wo überall auch sehr rege Christengemeinden leben.

In Izra

P. Markus Franz (2. v.r.) vor der Georgskirche in Izra (Syrien) im Gespräch mit Kindern.


In Aleppo trafen wir uns mit Vertretern der Gemeinschaft Christlichen Lebens (GCL), die uns von ihren Gruppen und dem Leben der Christen in Syrien berichteten. Sie führten uns durchs Christenviertel der Stadt, und wir bekamen einen Einblick in die Vielfalt der Kirchen des Ostens: Die Kirchen, die in ihrer Geschichte auf die Zeit vor dem Jahre 1000 zurückgehen, sind öffentlich anerkannt und geschätzt. Bewegend erlebten wir die Sonntagabendmesse in der Gemeinde der griechisch-unierten Gemeinde, ein Gottesdienst nach orthodoxem Ritus in arabischer Sprache. Auch wenn wir kein Wort verstanden - die freie Rede des 80-jährigen Priesters, der feierliche Ritus und der Ernst, mit dem im Gottesdienst einige Jugendliche ins Katechumenat aufgenommen wurden, bewegten uns.

Am Markt von Aleppo

P. Markus Franz beim Aufbruch aus Aleppo, vorbei am morgendlichen Treiben des Gemüsemarktes.

In Homs entführte uns P. Luigi nach "Al Ard", einem Sozialprojekt, das sich an Nomaden wendet, die westlich von Homs leben. Es umfasst mehrere Bereiche, die alle auf die dortige Bevölkerung abgestimmt sind: Arbeit und Leben mit behinderten Kindern und Jugendlichen, Frauenbildung, eine Keramik-Werkstatt für Frauen, ein Zentrum für Spiritualität und einen sehr professionell betriebenen Ackerbau und Weinbau. An all diesen Aktivitäten sind Muslime und Christen aktiv beteiligt. "Es geht beim Dialog der Religionen weniger um Theologie, sondern viel mehr um einen 'Dialog des Lebens'", erklärte uns P. Luigi.

Damaskus - die Paulusstadt

Damaskus ist eine tosende Millionenstadt mit einer bezaubernden Altstadt. Im Zentrum des berühmten Suk steht die Omajaden-Moschee, in der noch heute das Haupt Johannes des Täufers verehrt wird. Damaskus ist auch der Ort, an dem Paulus seine Bekehrung bzw. seine Berufung zum Apostel erfahren hat. Paulus, der Eiferer, hat wie kein anderer für die Reinheit seines Glaubens gekämpft und schließlich auf dem Weg nach Damaskus Jesus als den wahren Sohn Gottes erkannt. In einer kleinen Höhle - am Ort unserer Unterkunft bei den Franziskanern - wird an dieses Damaskus-Ereignis erinnert.

Kinder in Syrien

Auf dem Weg gab es immer wieder Begegnungen mit Kindern: für sie war ein "Gespräch" mit den fremden Pilgern ein besonderes Erlebnis.

In der zweiten Woche erreichten wir die Wüstenklöster Syriens. Schon die Landschaft war neu für uns: Soweit das Auge reichte, durchzogen wellenartig braune Bergrücken das Land. Kein Baum, kein Strauch, nur ab und zu einige grüne Flecken. Dorthin zogen sich im Altertum die Mönche zurück, um in der Einsamkeit Gott zu suchen, und gründeten Klöster. In der Blütezeit im 4. - 6. Jh. gab es davon sehr viele. Heute sind nur mehr wenige erhalten bzw. wieder bewohnt. Die bekanntesten sind Mar Jakob, Mar Musa, Mar Sarkis und Mar Thekla, Sadnaya. Diese Klöster sind Orte der Begegnung, der Glaubensvertiefung und der Besinnung. Besonders bekannt ist das Kloster Mar Musa, das ein Treffpunkt von Ost und West, von Moslems und Christen ist.

Aufsteig nach Mar Musa

Über unzählige Treppenstufen führt der Weg hinauf zum Kloster Mar Musa.

Südlich von Damaskus besuchten wir noch zwei gänzlich versteckte Kirchen: Mar Sarkis (Hl. Georg) und Mar Ilias (Hl. Elias). Beide Kirchen stammen aus dem 6. Jahrhundert und gehen auch auf vorchristliche Heiligtümer zurück. In St. Elias wurden wir von einem leibhaftigen Pater Elias durch die Kirche geführt, der bewegend von seinen jahrelangen Anstrengungen zur Renovierung der Kirche berichtete. Da sich diese Kirchen in einer militärischen Sicherheitszone befinden, wurden wir von der Polizei begleitet. "Kann ich Sie mit meinem Wagen zur Busstation bringen?", fragte am Ende der Führung unser "Begleiter". Nach drei Wochen Syrien nahmen wir dieses Angebot an und stiegen sogar ins Auto der Geheimpolizei.

im Georgskloster Malula

P. Markus Franz (l.) mit dem malekitischen Mönch P. Toufik Eid im Georgskloster in Malula.

Über den Jordan

Ein wenig aufgeatmet haben wir schon, als wir die jordanische Grenze passiert hatten: hier durften wir - anders als Syrien - sagen, wohin wir unterwegs sind, und nur noch eine Woche bis ins Heilige Land - das hat uns doch sehr beflügelt!

Jordanien zeigte sich grün und gepflegt: Große Felder, Plantagen und Wälder säumten die Berge. Der Weg führte entlang des Antilibanon, dessen Gipfel schneebedeckt waren; die Luft war frisch, und so erreichten wir bald Ajloun, eine alte Burg, und Jerash, das biblische Gerasa, das berühmt ist wegen der riesigen Ausgrabungen aus der Antike.

Amman, die Hauptstadt, ist jung und großzügig angelegt und vorletzte Station auf unserem Weg. Beim Hinabsteigen von Amman in den Jordangraben, schauten wir schon hinüber in das Heilige Land - ein wunderbares Erlebnis nach all den vielen Pilgertagen.

Gleichzeitig beschäftigte uns, wie Unfrieden und Konflikte über Generationen dieses Heilige Land immer wieder zu einem Pulverfass werden lassen. Unser Weg durch Syrien und Jordanien hat uns dafür noch einmal mehr sensibilisiert. Was würde uns erwarten, wenn wir endlich in Jerusalem ankommen.

In den knapp zwei Tagesetappen von der jordanischen Seite bis nach Jerusalem wurden wir sofort hautnah mit der Situation im Heiligen Land konfrontiert. Ein langwieriger Grenzübertritt von fast zwei Stunden zehrte an unseren Kräften: Taxifahrt durchs Grenzgebiet, Bustransfers zwischen den Grenzstationen an der Allenby-Brigde (King Hussein Bridge), Pass- und Gepäckkontrollen mit Befragungen, Warten neben schwerbewaffneten Sicherheitskräften. Dabei hatten wir mit unserem syrischen Visum im Pass mit noch mehr Schwierigkeiten an der Grenze gerechnet. Mit einem Bus ging es durch einen weiteren Checkpoint in das nur wenige Kilometer entfernte Jericho, das in palästinensischem Gebiet liegt.

"Ich hoffe, dass Sie irgendwann wieder einmal hierher kommen. Und dass dann endlich Frieden sein möge." Der Abschiedswunsch des alten Hotelchefs in Jericho klang müde, aber trotzdem aus tiefem Herzen. Seine Worte und sein Gesicht gingen auf der letzten Tagesetappe nach Jerusalem lange mit mir mit. Er muss die ganze Geschichte und Kriegsgeschichte Israels und Palästinas miterlebt haben im Laufe seines Lebens. Wie ganz Jericho hat sein Hotel einmal bessere Zeiten gesehen, nun waren wir die einzigen Gäste. Wie der ganzen Stadt haftet seinem Haus eine gewisse Trostlosigkeit an, die in den anderen palästinensischen Gebieten vermutlich noch stärker ist.

Ankunft in Jerusalem

Endlich in Jerusalem angekommen: P. Markus Franz SJ (l.) und das Ehepaar Zecher.

In Jerusalem wurden wir im päpstlichen Bibelinstitut sehr freundlich aufgenommen und versorgt. Wir genossen es, ein "normales" Leben führen zu dürfen: das Essen, das Wohnen, die Gespräche - alles war uns vertraut. Am Ziel angekommen fragten uns: was war jetzt?

Auch Jerusalem ist geprägt von Konflikten. Beim Besuch in Bethlehem passierten wir die "Mauer" und gleich daneben das Caritas-Baby-Hospital. Ein Krankenhaus für die Palästinenser, besonders die Frauen und die Kinder. Dunkel und Licht liegen hier so nah, dass es schmerzt. "Es kommt darauf an, der Dunkelheit nicht Recht zu geben, sondern dem Licht, das von der Verheißung kommt", sagte ein Teilnehmer am Ende einer Veranstaltung über die Situation in Israel. Das hat unsere Wallfahrt bestätigt. Unsere Medien berichten meistens von den schlimmen Ereignissen, die uns Angst machen. Die vielen Menschen an unserem Weg, die uns mit so viel Gastfreundlichkeit und Herzlichkeit aufgenommen haben, die vielen, die sich an ihrer Stelle für den Glauben und den Frieden einsetzen, die vielen nachdenklichen Menschen, die sich über unseren Weg gefreut haben, sie sind ein Zeichen dieses Lichtes, das von der Verheißung kommt.

Markus Franz SJ

Blick von "Dominus Flevit" auf Jerusalem

Blick von der Kirche "Dominus flevit" aus auf Jerusalem.  

Kontakt zu P. Markus Franz SJ



Zurück Impressum