Ansprache Bischof Reinelt und Landesbischof Bohl zur Urnenüberführung

Die Redetexte vom 5. Februar jetzt zum Nachlesen

Predigt von Bischof Joachim Reinelt am 5. Februar 2011

in der Kathedrale Ss. Trinitatis zu Dresden

aus Anlass der Urnenüberführung vom Polizeipräsidium Dresden in die Kathedrale

von Kaplan Alojs Andritzki, Pfr. Aloys Scholze, Pfr. Bernhard Wensch

 

 Bischof Joachim Reinelt

Bischof Reinelt - hier bei der Eröffnung der Urnenprozession vor dem Dresdner Polizeipräsidium. 

 

Liebe Schwestern und Brüder,

 

ganz besonders: liebe leibliche Schwester von Alojs Andritzki, Frau Hantusch, Sie sind die jüngste, die er hatte und die noch bei uns ist.

 

Sie ist mitten unter uns mit ihrem Ehemann, der den Mantel von Alojs Andritzki trägt. In diesen Mantel hat Alojs ein wunderhübsches Monogramm einsticken lassen – jeder kann sich’s nachher ansehen, weil sein Schwager gern bereit ist, es zu zeigen. An diesem Mantel sehen wir: dass Alojs noch bis vor kurzem unter uns gelebt hat. Das ist nicht eine lang zurückliegende Geschichte, derer wir heute gedenken.

 

Als wir bei diesem Einzug einen Moment an der Pforte standen, ergab sich für mich ein wunderbares Bild: Die Urnen sah man gerade unmittelbar vor dem Bild des in den Himmel aufsteigenden Jesus Christus im Altarbild. Asche und Ewiges Leben sind hier eins! Der Auferstandene ist es, der Alojs und Bernhard Wensch und Alois Scholze an sein Herz gezogen hat. Durch IHN sind sie Sieger. Deshalb unsere frohe Prozession, die an der Stadt nicht einfach vorübergegangen sein wird. Man sieht, was wir zeigen wollen: Die Märtyrer, die alles gegeben haben: Eucharistie für die anderen, für die Jugend besonders, für die Kapellknaben, für die Ministranten. Für die ganze junge Generation haben sie geglüht und wie der Pfarrer von Leutersdorf, für die kriegsgefangenen Franzosen und für einen Verfolgten haben sie ihr Leben gegeben.

 

Liebe junge Christen besonders, ich will euch zunächst einmal ganz kurz sagen: Was haben diese Menschen denn gelitten? Was war denn los in einem solchen KZ?

 

Bei der Ankunft im Lager bekamen alle sofort Prügel. Dann wurden sie erniedrigt. Der Kopf wurde kahlgeschoren. Dann erfolgte in brutalem Ton die Zuordnung zu Arbeitskommandos. Besonders schwer war dabei eine Arbeit, die man sich heute gar nicht mehr vorstellen kann: heiße, kaum anfassbare Suppenkübel von 2 Zentnern und die mussten besonders die Priester in die verschiedenen Baracken tragen, man wollte den Priestern „Arbeit“ beibringen! Arbeit? Quälerei. Viele Priester zogen sich dabei schwere Verbrennungen zu und diese Arbeit – so sagt uns der noch immer lebende Pfarrer von Schirgiswalde, Herrmann Scheipers – war gar keine Arbeit bei den Nazis, wer die Kübel schleppen musste, bekam an diesem Tag kein Brot, gar keins. Sie bekamen nur die gehaltlose Krautsuppe, da waren normalerweise auch keine Kartoffeln drin. 1942 kommt es so zu einer fürchterlichen Hungerkatastrophe, denn bei all dem mussten sie ja Schwerstarbeit leisten. Allein in diesem Jahr sind im KZ Dachau 730 Priester gestorben. Unvorstellbar, wie man mit Menschen umgegangen ist. Verschleppte Erkältung, Lungenentzündung, Hungertod - das war das Schicksal. Man hat sie fertig gemacht aus Hass gegen Jesus Christus. Trotz der erbärmlichen

 

Ernährung musste Schwerstarbeit in der Kiesgrube geleistet werden oder auf dem Feld, bei jedem Wetter, ohne vernünftige Kleidung. Beim Abendappell standen sie dann stundenlang im eiskalten Regen. Am nächsten Morgen musste die nasse Kleidung einfach wieder angezogen werden.

 

Es gab eine kleine Verbesserung, als der Apostolische Nuntius in Berlin, also der Vertreter des Papstes, bei der Reichsregierung gegen die Behandlung der Priester in den KZs protestiert hat, da wurde ihnen etwas erlaubt, was für die Priester überlebenswichtig war: Sie durften die heilige Messe feiern. Für einige Zeit gab es sogar Arbeitsbefreiung. Aber das war nur äußerlich, denn man hatte sich sofort andere Quälereien ausgedacht: sogenannte „Turnübungen“ – kriechen im Dreck, Froschhüpfen nannte man das damals und das von Männern, die alt waren, die kaum noch laufen konnten; „im Laufschritt Marsch“ und das mit völlig entkräfteten Körpern, herumschreiendes Wachpersonal, stinkende Desinfektionsmittel am eigenen Leib und ständige Erniedrigung. Liebe junge Christen, das musste ertragen werden und für mich ist jetzt das Große, was dort gezeigt worden ist: Das viele von ihnen, Alojs Andritzki aber in einer ganz besonderen Weise, nie geklagt haben. Das geht fast gar nicht. Aber von Alojs ist es bezeugt, er hat nie geklagt. Von Bernhard Wensch ist es bezeugt. Er hat nicht geklagt. Wie geht das?

 

Pater Maurus, ein Benediktiner aus Trier, der mit ihm gefangen gewesen ist, hat 1948 an die Eltern Andritzki in einem Brief geschrieben – er war übrigens der Beichtvater von Alojs Andritzki, hatte also ganz nahe Beziehungen zu ihm – er schreibt: „… Ich habe selten einen so innerlich tiefen und feinen Menschen kennengelernt wie ihn, den Alojs, und verehre ihn wie einen Heiligen. …“ Dieser Pater Maurus lebt inzwischen auch nicht mehr. Er hat das geschrieben, als wir noch nicht wussten, dass Alojs wenige Jahrzehnte später selig gesprochen wird. „… Ich verehre ihn als einen Heiligen. Gestern an Allerheiligen habe ich wieder richtig innig zu ihm gebetet.“ Das ist Gemeinschaft der Glaubenden, liebe Schwestern und Brüder. Da unterscheiden wir uns ein bisschen von den Evangelischen, - heute hat der Landesbischof uns ja wirklich etwas Wunderschönes mit auf den Weg gege-ben, - wir aber rufen die Heiligen an: Betet für uns. Wir wollen so sein wie ihr, so werden wie ihr, ein wenig so werden wie ihr. Das tun wir, weil wir glauben, dass wir eine Gemeinschaft sind.

 

Übrigens, im KZ hat Alojs auch gerade den Kontakt zu den evangelischen Pfarrern gesucht. Es waren nicht viele dort, aber es war wichtig, dass unter den katholischen Priestern einer da war, den Kontakt zu knüpfen, die Gemeinschaft aufzubauen.

 

Alojs war ein großer Beter. Eine Jugendleiterin hat ein Mädchen der Jugendgruppe beobachtet, die sah wie Alojs im Hof des Pfarrhauses den Rosenkranz betete und dieses Mädchen zu ihm sagte: Ist doch langweilig. Darauf hat Alojs geantwortet: „Was man liebt, damit beschäftigt man sich gern.“ Von dem Tag an betete die Jugendgruppe zum Schluss jeder Jugendstunde ein Gesätz Rosenkranz. So wirkt Vorbild, Liebe zum Gebet.

 

Eine andere hat ihn hier in der Kathedrale predigen gehört – damals gab es noch keine Lautsprecher, da hat Alojs dort von dieser Kanzel gepredigt, das kenne ich auch noch, als ich hier Kaplan war, da gab’s noch keine Verstärkeranlage – dort oben hat er gepredigt und da saß eine in der Kirche, die gar nicht in der Kirche war. Sie war so beeindruckt von der Predigt von Alojs, dass sie hinterher gesagt hat: Das vergesse ich nie. Wenige Tage darauf hörte sie, dass Alojs verhaftet worden ist. Dies war für sie der Anstoß zu sagen: Jetzt trete ich in die katholische Kirche ein. So hat der erste Schritt seines Leidens sofort Frucht getragen.

 

Dann war er einmal bei einem dramatischen Moment dabei, wie eine Jüdin verhaftet wurde. Eine Jugendliche stand dabei und Alojs sagte zu der Jugendlichen: Für die musst du sehr beten. Darauf hat diese Jugendliche gesagt: Aber nicht für die drei Männer, die sind ja so böse, die sie verhaftet haben. Da hat Alojs erwidert: Für die musst du besonders beten, die wissen nicht einmal was sie tun. Nicht Hass, sondern Liebe - auch zu den Feinden.

 

Seine Wege waren immer von seinen göttlichen Überzeugungen, die Gott in sein Herz gegossen hat, von der Vorsehung und von den Menschen ganz besonders gewidmet geprägt.

 

Er sagt: „… Wir werden zu Ihm gelangen, ja wir müssen zu Ihm gelangen, weil alles, was Er für uns bestimmt, uns hilft, in jeder Lebenslage ‚Danke’ zu sagen.“ Könnt ihr euch das vorstellen, dass man Danke sagt, im KZ zu sein? Wer das kann, ist ein Heiliger. Das geht gar nicht anders. Er ist so erfüllt vom gekreuzigten Jesus Christus, dass er so etwas sagen kann. Übrigens, als sein eigener Bruder Alfons im Krieg gefallen war und Bernhard Wensch, mit dem er zusammen im KZ gewesen ist, - er war der Jugendseelsorger der Diözese und Alojs war Jugendseelsorger für das ganze Dresdener Gebiet, - als die beiden gestorben waren, schrieb er in einem Brief, und das ist das Letzte, was ich euch mitgeben will, damit wir verstehen, was Seligsprechung am 13. Juni eigentlich bedeutet, er schrieb: „… wie herrlich lebt jetzt mein lieber Bruder Alfons, wie freut sich jetzt Bernhard, der tapfer und schweigend alles getragen hat - Vorbild für unsere Jugend -, dass er den guten Kampf kämpfte und jetzt schon die Krone der Herrlichkeit tragen darf. Alfons und Bernhard und all die anderen, die beim Herrn sind, sind unsere Helfer und Fürsprecher. …“ Ist das nicht ein wunderbarer Brief, der uns am Schluss dieser großen Feier der Übertragung der Asche, das letzte Zeichen, das wir von ihnen irdisch haben, daran erinnert: Sie sind Helfer und Fürsprecher. Wir sind nicht getrennt von ihnen. In Jesus Christus bleiben wir ganz tief und fest zusammen. Alojs und auch die anderen beiden, aber besonders Alojs, weil wir den in unserem ganzen Bistum hoch ehren dürfen, können wir gemeinsam anrufen, dass dieses Land, diese Welt, diese Zeit, diese Herrlichkeit des Himmels, die er hier bejubelt als er noch nicht wusste, dass auch er dort sterben wird, erlebe, erfahre und glücklich auf diese Zukunft gemeinsam zugehen kann.

 

‚Herrlichkeit des Himmels’ – das ist die Überschrift über diese Feier. Ja, das war kein Begräbnis, sondern wir haben sie aus dem Grab herausgeholt und wir werden die Urnen draußen lassen, gewissermaßen berührbar, denn sie leben! Und jeder der glaubt und liebt wie sie wird leben in Ewigkeit.

 

Amen.

 

 

 

 

Ansprache von Landesbischof Bohl

vor der Frauenkirche Dresden, 5. Februar 2011

 

 Landesbischof Bohl vor der Frauenkirche.

Landesbischof Bohl vor der Dresdner Frauenkirche.

 

Liebe Schwestern und Brüder,

 

wir sind hier zusammengekommen, um an einen Menschen zu erinnern, der für seinen christlichen Glauben gestorben ist: Alojs Andritzki. Wir leben heute in einer Zeit, die solche Erinnerung nötig hat, denn leider richten viele Menschen ihr Leben auf den momentan jeweils größten persönlichen Vorteil aus und passen sich darum an jede Situation an. Ein Sterben aus religiöser Überzeugung, sollten sie denn darüber nachdenken, würden sie wohl für töricht und dumm halten.

 

Alojs Andritzki erinnert uns daran, dass es Höheres gibt als das Interesse am eigenen Wohlergehen. Er hat seinen christlichen Glauben bewahrt, auch als er von den nationalsozialistischen Machthabern ins Konzentrationslager verschleppt wurde. Seine Ehrlichkeit erlaubte es ihm nicht, vor der Macht zu heucheln. Er bekannte sich mutig zu Gott, und nannte das Unrecht, das die Nazis begingen, offen beim Namen. Dafür wurde er gefangen genommen und ermordet, zum Märtyrer.

 

Darin wird er uns ein Vorbild bleiben: Sein Vertrauen auf Gott hat ihn befreit von der Sorge um das eigene Leben. So konnte er, obwohl selbst in größter Not und Bedrängnis, doch anderen Trost und Hoffnung geben. Als Christen glauben wir, dass der Tod nicht das Ende, sondern der Anfang eines neuen Lebens bei Gott ist. So sind wir davon überzeugt, dass Alojs Andritzki – wie auch alle anderen, die im Vertrauen auf Gottes Gnade gestorben sind – jetzt die Herrlichkeit Gottes schauen kann. So ist er bereits ein Seliger und diese Überzeugung soll am Pfingstmontag offiziell verkündet werden.

 

Heilige sind nach evangelischem Verständnis Vorbilder des Glaubens. In ihnen sehen wir Menschen, die ganz normale Menschen waren und es auch geblieben sind. Heilige sind keine Übermenschen. Auch sie waren in Sünde und Schuld verstrickt, auch sie erlebten Freud und Leid. Aber Heilige sind Menschen, an deren Leben wir besonders deutlich sehen können, wie Gott an Menschen handelt. Dies gibt auch uns, die wir heute leben, Kraft und neuen Glaubensmut. Wir können sehen, wie in der Not, die auch Alojs Andritzki nicht erspart blieb, sein Glaube dennoch gestärkt wurde. Er hat in dem großen Leid, das ihm angetan wurde, an Gott festgehalten.

 

Daran erinnern wir in Dankbarkeit für sein Zeugnis. Wir erinnern uns auch an die Umstände seines Todes. Er wurde verhaftet, weil er als Jugendseelsorger in seinen Unterweisungen die Kriegspolitik des nationalsozialistischen Staates kritisierte. In unserem Land waren Menschen an die Macht gekommen, die einen „nationalen Sozialismus“ propagierten. Sie versprachen den Menschen Arbeit und Wohlstand. Sie redeten von der besonderen Rolle und Überlegenheit des deutschen Volkes und terrorisierten zugleich alle, die nach ihrer Meinung nicht dazu passten oder sich nicht widerspruchslos einfügten.

 

Die Anklageschrift von 1941 wirft Alojs Andritzki insbesondere vor, dass er die nationalsozialistische Rassenideologie kritisierte, die den Juden und der jüdischen Religion feindselig gegenübersteht. Er hatte erkannt, dass dieses Denken nicht nur falsch, sondern gegen die Grundlagen des christlichen Glaubens gerichtet ist. An den kommenden beiden Wochenenden haben tausende Neonazis angekündigt, nach Dresden kommen zu wollen, um in Demonstrationen die Ideologie von damals wieder aufleben zu lassen. Wiederum werden mit der Vermischung von religiösen, kulturellen und ethnischen Faktoren Feindbilder geschürt.

 

Es gibt in unserem Lande eine wachsende ausländerfeindliche Stimmung, die einen neuen Rassismus nährt. Wenn wir das Andenken von Alojs Andritzki in aufrichtiger Weise begehen wollen, dann sollten wir uns von ihm ermahnen lassen, in unserer Umgebung aufmerksam zu bleiben. Dann sollten wir uns von ihm ermutigen lassen, ebenso wie er es getan hat deutlich und unüberhörbar für unseren christlichen Glauben einzutreten – mit allen Konsequenzen.

 

Andritzki war kein politischer Aktivist. Er hat keine Flugblätter gedruckt und verteilt, er hat keinen Widerstand im Untergrund organisiert. Aber er hat dort, wo er lebte und arbeitete, sich klar und deutlich zu seiner Überzeugung bekannt. Er hat die Menschen in seiner Umgebung nicht im Unklaren darüber gelassen, wie er über die nationalsozialistische Ideologie dachte und dass sein christlicher Glaube ihn zu dieser Erkenntnis geführt hat. Das ist heute ebenso nötig wie 1941.

 

Liebe Schwestern und Brüder,

 

in dem Augsburger Bekenntnis von 1530 – einer wichtigen Bekenntnisschrift der evangelisch-lutherischen Kirche – steht, es sei aus der Bibel nicht zu beweisen, „dass man die Heiligen anrufen…soll“. Wohl aber heißt es dort, und das verbindet unsere Konfessionen, „dass man der Heiligen gedenken soll, damit wir unseren Glauben stärken, wenn wir sehen, wie ihnen Gnade widerfahren und auch wie ihnen durch den Glauben geholfen worden ist; außerdem soll man sich an ihren guten Werken ein Beispiel nehmen, ein jeder in seinem Beruf.“ (CA 21)

 

Dazu helfe uns Gott auch heute.

 



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