Zum Leben von Alojs Andritzki, Aloys Scholze und Bernhard Wensch

von Dr. Siegfried Seifert, Bautzen

Kaplan Alojs Andritzki

 

 Alojs Andritzki

 

Priester des Bistums [Dresden-] Meißen

* 2. Juli 1914 Radibor (Lkr. Bautzen) 

+  3. Februar 1943 KZ Dachau

 

Alojs Andritzki ist ein Sohn des sorbischen Volkes. Er wurde am 2.7.1914 in Radibor als Sohn des kath. Lehrers Johann A. und seiner Ehefrau Magdalena, geb. Ziesch, geboren. Er hatte fünf Geschwister, zwei Brüder, die wie er den Priesterberuf ergriffen, einen Bruder, der als Theologiestudent im Zweiten Weltkrieg gefallen ist, und zwei Schwestern. Die Eltern gaben ihren Kindern eine tief religiöse Erziehung. Mit ihrem Vater sind sie jeden Monat zu Fuß nach dem Wallfahrtsort Rosenthal in der sorbischen Lausitz gewallfahrtet.

 

Er besuchte die Domstiftliche Katholische Oberschule in Bautzen. 1934 meldete er sich bei Bischof Petrus Legge zum Theologiestudium und ging nach Paderborn. 1938 kam er in das Priesterseminar des Bistums Meißen in Schmochtitz bei Bautzen. Am 30.7.1939 wurde er im Bautzner Dom von Bischof Petrus Legge zum Priester geweiht. Am 6.8.1939 feierte er in seiner Heimatpfarrei in Radibor seine Primiz.

 

Seine priesterliche Tätigkeit begann er am 1.10.1939 als Kaplan an der Propsteipfarrei in Dresden. Gleichzeitig übernahm er das Amt des Präfekten der Kapellknaben, der Sängerknaben der ehemaligen Hof- und nunmehrigen Kathedralkirche und die Aufgaben des Präses der Dresdner Kolpingsfamilie. Besonders bemühte sich Kaplan Andritzki um die katholische Jugend, um sie im Glauben zu bewahren. Es wurde berichtet, daß es schon als Junge sein höchstes Ideal war, einmal Märtyrer zu werden, und daß er als Kaplan an der Hofkirche in Dresden vor seiner Jugend furchtlos zu diesem Ideal stand, obwohl ein eifriger, seine Überzeugung bekennender Priester damals jeden Augenblick damit rechnen konnte, verhaftet zu werden.

 

Nach einem Weihnachtsspiel der Jugend „Die Nacht der Hirten" 1940 folgten Verhöre der Geheimen Staatspolizei. Am 21.1.1941 wurde Kaplan Andritzki wieder zur Gestapo bestellt und festgehalten. Auf Anfragen des Bischöflichen Ordinariates durch Propst Beier über den Verhaftungsgrund wurde jede Auskunft unter Hinweis auf die noch laufende Untersuchung verweigert. Am 15.7.1941 fand die Gerichtsverhandlung gegen Kaplan Andritzki beim Sondergericht I beim Landgericht Dresden statt. Die Anklage lautete: Staatsfeindliche Äußerungen auf Grund des § 2, Abs. 2 des Heimtückegesetzes vom 20.12.1934. In der Anklageschrift zur Hauptverhandlung hieß es: „Ich klage Andritzki an, (...) fortgesetzt gehässige, hetzerische und böswillige Äußerungen über leitende Personen des Staates und der NSDAP, über ihre Anordnungen und die von Ihnen gemachten Einrichtungen gemacht zu haben. Seine Auslassungen sind geeignet, das Vertrauen des Volkes zur politischen Führung zu untergraben.“

 

Andritzki war kein Hetzer. Er trat ein für die Würde des Menschen und für den Glauben, der damals mit Füßen getreten wurden. Andritzki wurde zu 6 Monaten Gefängnis unter Anrechnung von 5 Monaten Untersuchungshaft verurteilt. Die Strafe verbüßte er in der Untersuchungshaftanstalt II in Dresden.

 

Am Tage seiner Haftentlassung, dem 15.8.1941, wurde er wiederum von der Gestapo ins Gefängnis des Polizeipräsidiums Dresden gebracht. Von dort wurde er am 10.10.1941 in das KZ Dachau unter der Nr. 27 829 eingeliefert. Über den Häftling Andritzki berichtet sein Leidensgenosse, der Benediktinerpater Maurus Münch aus Trier, der mit ihm zur gleichen Zeit in Dachau eingeliefert wurde: „Auf der Fahrt nach Dachau trafen wir hinter Nürnberg zu 12 Priestern im Zug zusammen. Es waren meist ältere Herren aus Westfalen und Polen. Am Fenster saß unser Benjamin. Alojs Andritzki, Kaplan an der Hofkirche in Dresden, stellte er sich vor. Monate harter Polizeihaft lagen hinter ihm. (...) Drei Dinge gelobten wir uns in den ersten Tagen: Wir wollten nie klagen! Wir wollten nie unsere Haltung preisgeben! Wir wollten keinen Augenblick unser Priestertum vergessen. Alojs hat es gehalten, heroisch und groß! Im Lager selbst war er geachtet, vor allem wegen seines zuvorkommenden frohen Wesens inmitten all des Grauens. Er half älteren und gebrechlichen Mitgefangenen, wo er konnte und erfreute seine Mitbrüder durch artistische Leistungen. Er war ein Stück Don Bosco“.

 

Er war aber ebenso ein feiner Musiker und Künstler. Ein großes von ihm gestaltetes Krippenbild schmückte zu Weihnachten 1941 die Barackenkapelle. Der erwähnte P. Maurus sagt von ihm: „Wo andere beim Waschraumdienst stöhnten, hatte er nur ein helles Lachen. Abortdienst lag seiner Art gar nicht: aber wenn er draußen am Schrubben und Putzen war, lachte sein ganzes Gesicht, und immer hatte er auch dabei noch ein frohes Wort und einen feinen Witz auf den Lippen. Wer ihn am Morgen sah, ward froh für den ganzen Tag.“ Sein Mitgefangener, Kpl. Hermann Scheipers, berichtete: „Du, wir wollen sehen, daß wir zusammen bleiben.“ Das war sein letztes Wort an mich, als wir im Januar 1943, nur mit Hemd bekleidet über den Appellplatz gejagt wurden, um ins Krankenrevier eingewiesen zu werden. Im Dezember 1942 schrieb er aus Dachau an einen Jugendlichen der Hofkirchenpfarrei, der inzwischen zum Kriegsdienst eingezogen war: „Es ist wohl eine eigenartige Fügung Gottes, daß alles so gekommen ist. Der liebe Bruder Alfons, gefallen [sein leiblicher Bruder], ich hier in Bewährung und Geduld und Du im Felde des Kampfes, aber allzeit bekennend ,Dein Wille geschehe', da kann nichts fehlgehen, alles ist gut und wird gut.“

 

Andritzki war typhuskrank ins Krankenrevier eingeliefert worden. Er verlangte noch nach den Sterbesakramenten. Die Bitte wurde jedoch abgelehnt. Über dessen Tod am 3.2.1943 berichtet der Dachauer KZ-Priester Johann Maria Lenz aus Wien: „Ein sterbender Priester, Alois Andritzki, lag zwei Betten weit entfernt von mir. Ein begabter, sportgestählter Kaplan aus Dresden. Als ich in meinem Typhusfieber merkte, daß es mit ihm zu Ende ging, raffte ich mich auf und schleppte mich zu Wastl, dem Pfleger. Hinweisend auf die Erlaubnis der Lagerführung, bat ich, man möge Pfarrer Seitz rufen. Und des ,Rotspaniers' Antwort? ,Er kriegt a Spritzen!' - Morgens um 4 Uhr begann sein Todesröcheln. Ich gab ihm noch schnell die Absolution - dann hatte er ausgelitten. Die Leiche wurde fortgezerrt, um - wie alle anderen - seziert und verbrannt zu werden. Der Weg ,durch den Kamin' ging durch das Krematorium. Ich selbst war diesmal noch daran vorbeigekommen. Freilich nur um Haaresbreite - gleichsam wie durch ein Wunder.“ (Lenz, 244). Der Dachauer KZ-Priester Hermann Scheipers, der den berichtenden Geistlichen gut gekannt hat, legt Wert auf die Feststellung, daß es keinen Grund gibt, an dessen Darstellung zu zweifeln. Insbesondere ergänzt er, daß Andritzki direkt von einem kommunistischen Kirchenhasser ohne irgendeinen Auftrag durch die SS ermordet wurde. Dieser Umstand erweist Andritzki eindeutig als Märtyrer.

 

Die Urne Andritzkis wurde von Dachau nach Dresden befördert. Die Beisetzung der Aschenreste erfolgte am 15.4.1943 auf dem Inneren katholischen Friedhof in Dresden. Zahlreiche geistliche Mitbrüder und Gläubige nahmen an dieser Trauerfeier teil.

 

Andritzki, der offen seinen Glauben bekannte und die Glaubens- und Kirchenfeindlichkeit der Nazis beim Namen nannte, steht als Zeuge und Märtyrer der Wahrheit in lebendiger Erinnerung im Bistum Dresden-Meißen, vor allem bei den katholischen Sorben, die ihren Oberhirten gebeten haben, einen Seligsprechungsprozeß für Andritzki einzuleiten. Bischof Joachim Reinelt hat dieser Bitte entsprochen und das Verfahren am 2.7.1998 in Rosenthal eröffnet. Zusätzlich veröffentlichte der Oberhirte am 23.10.1998 den Brief „Ein Lichtzeichen für unsere Zeit“, der den Informativprozeß für die Gläubigen seiner Diözese erläutert. - Nach Andritzki sind Straßen in Dresden und Bautzen benannt. Besonders lebendig ist sein Andenken in seiner Heimatpfarrei Radibor.

 

 

QQ: ABDM; M. Münch, Der Kaplan an der Dresdner Hofkirche, in: Tag des Herrn 6 (1956) 201; Lenz, bes. 244; H. Scheipers, Vergiftet im KZ, in: ebd. 13 (1963) 40; ders., Gratwanderungen, 39-56; Schnabel, 200; Briefwechsel junger Dresdner Katholikinnen mit den Eltern von A.A., November 1941, in: K. Drobisch - G. Fischer (Zusammengestellt und hrsg.), Widerstand aus Glauben. Christen in der Auseinandersetzung mit dem Hitlerfaschismus (Berlin 1985) 23 8f.; J. Reinelt, Ein Lichtzeichen für unsere Zeit. A. A., 1914-1943, in: Kirchliches Amtsblatt für das Bistum Dresden-Meißen 8 (3.11.1998) Nr. 14,188-192.

Lit: E. Weiler, Die Geistlichen in Dachau. Bd. 2 (Lahr 1982) 105; M. Kubasch, A. A. = Christ in der Welt. H. 73 (Berlin 1974); Torsy-Kracht, 55; Hehl-Kösters, Priester4, 889.

 

 

 

 

 

 

Pfarrer Aloys Scholze

 

 Aloys Scholze

 

Priester des Bistums [Dresden-] Meißen

* 4. September 1893 Dresden

+  1. September 1942 KZ Dachau

  

Am 4.9.1893 wurde Aloys Scholze in Dresden als eines von sieben Kindern des Ehepaares Paul Scholze und Hedwig geb. Schiller geboren. Der Vater, von Beruf Buchhändler, starb bereits 1904 mit nur 43 Jahren. Die Hauptlast für die Erhaltung der Familie und Erziehung der Kinder lag bei der Mutter. Die geborene Schlesierin war eine tapfere Frau, die ihren vier Söhnen und drei Töchtern eine tiefe religiöse Erziehung gab und die Familie als Schneiderin ernährte.

Zunächst besuchte Scholze die 1. Kath. Bürgerschule in Dresden, dann das Kath. Progymnasium und da dieses noch kein Vollgymnasium war, später das Wettiner Gymnasium in Dresden. Nach dem Abitur entschloß er sich zum Theologiestudium und für den Priesterberuf. Er ging an die Universität Breslau. Bereits am 3.9.1915 wurde er zum Kriegsdienst nach Frankreich eingezogen. Nach dem Ende des Krieges kehrte er nach Breslau zum Studium zurück. 1920 fand er Aufnahme im Priesterseminar in Paderborn.

 

Am 7.8.1921 wurde er von Bischof Caspar Klein in Paderborn zum Priester geweiht. Seine Primiz feierte er am 14.8. in der Kapelle des Josefinenstiftes in Dresden. Am 1.9.1921 begann er seine priesterliche Tätigkeit als Kaplan der Pfarrei St. Elisabeth in Gera in der Thüringer Diaspora. Er engagierte sich besonders in der Vereinsarbeit und Jugendseelsorge. 1926 kam er als Kaplan in die Liebfrauenpfarrei in Leipzig-Lindenau. Hier war er besonders im katholischen Arbeiterverein in dieser Arbeitervorstadt Leipzigs tätig. Für seinen Seelsorgedienst gewann er viel aus der Arbeit der Oratorianer, die in dieser Pfarrei tätig waren. Nach zwei Jahren, 1928 ernannte ihn der Bischof zum Pfarrer und übertrug ihm die neugegründete Seelsorgestelle Kunnersdorf auf dem Eigen in der Lausitz. Er war ein eifriger Seelsorger. Nach drei Jahren Aufbauarbeit wurde er 1931 Pfarrer von Leutersdorf in der Lausitz.

 

Politisch trat Pfr. Scholze nicht hervor. Er bekannte sich aber offen zur Zentrumspartei, in der er die Vertretung der Interessen des kath. Volksteiles sah. Er förderte die kath. Gewerkschaften und war aktiv in der Leutersdorfer Gruppe des kath. Volksvereins tätig. Im September 1933 erhielt Pfr. Scholze einen Anruf aus Bautzen mit der Anfrage, ob er zu Hause sei, weil er Besuch bekäme. Gegen 23.30 Uhr traf ein Auto im Leutersdorfer Pfarrhaus ein. Es kamen Dr. Joseph Wrede vom kath. Volksverein in Berlin und der von den Nazis verfolgte Helmut Klotz. Wrede bat Pfr. Scholze, den von den Nazis gesuchten Helmut Klotz über die nahegelegene Grenze in die Tschechoslowakei zu bringen. Pfr. Scholze zögerte nicht, dem politisch Verfolgten zu helfen und die Bitte zu erfüllen. Nach der Messe am kommenden Morgen brachte Pfr. Scholze Helmut Klotz über die Grenze nach Philippsdorf. Dr. Wrede war noch nachts zurückgefahren, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Das Unternehmen war geglückt.

Schwer litt Pfr. Scholze in diesen Jahren unter der Auflösung der katholischen Jungschar und der kath. Schule in seiner Gemeinde. Als in Leutersdorf ein Gefangenenlager für Belgier und Franzosen eingerichtet wurde, hielt er regelmäßig Gottesdienste für die Gefangenen und predigte ihnen in der französischen Sprache, die er völlig beherrschte. Da von den die Gefangenen begleitenden Wachmannschaften keiner Französisch verstand, konnte er den Gefangenen in seinen Predigten nahekommen und viel Trost spenden.

Anfang Juni 1941 brach das Verhängnis über Pfr. Scholze herein. Die Gestapo holte ihn aus dem Religionsunterricht in Eibau, einer Außenstation der Pfarrei von Leutersdorf, heraus zur Vernehmung. Gegenstand des Verhörs war seine Mithilfe bei der Flucht von Helmut Klotz 1933. Nach dem Verhör kehrte er ins Pfarrhaus zurück. Am 5.6.1941 wurde er im Pfarrhaus Leutersdorf verhaftet. Man ließ ihm nicht einmal Zeit, das Notwendigste mitzunehmen.

 

Er kam zunächst in das Dresdner Polizeigefängnis. Das Bischöfliche Ordinariat bemühte sich über das Dresdner Propsteipfarramt, Aufklärung von der Polizei zu erhalten. Desgleichen bemühte sich der Bruder von Pfr. Scholze Dieser durfte ihn zweimal besuchen, dann wurde Pfr. Scholze von Dresden nach Maltheuern bei Brüx (Böhmen) gebracht. Von dort kam er am 2.8.1941 in das KZ Dachau als Häftling mit der Nr. 26 841.

 

Ein unbekannter Mitgefangener berichtete: „Monate hindurch war ich mit ihm zusammen auf den Feldern der Plantage und in der gleichen Barackenstube. Auch habe ich so manchen Essenkübel mit ihm zusammen von der Lagerküche über den Appellplatz zu den einzelnen Baracken geschleppt. So wurde ich Zeuge seines letzten Leidensweges, seiner durch den Hunger immer mehr zunehmenden körperlichen Erschöpfung, aber seiner inneren Vollendung. Nie hörte ich von ihm ein böses, klagendes oder auch nur ungeduldiges Wort. Gern erzählte er von seiner Seelsorge und verlor in allen schlimmen Situationen nie seinen Humor. Trotz seines Alters war er stets ein froher, bescheidener und hilfsbereiter Kamerad, bis er dann eines Tages aus unserem Gesichtskreis verschwand (...).“

 

Scholze starb am 1.9.1942 an Darmtyphus im KZ Dachau. Dem Bruder des Verstorbenen gelang es, daß die Asche des Toten ausgeliefert wurde. In einer Konservenbüchse wurde diese der Familie übersandt. Die Beisetzung erfolgte am 9.10.1942 auf dem Inneren kath. Friedhof in Dresden in der Priestergruft. Viele seiner Mitbrüder im Priesteramt und zahlreiche Gläubige aus seiner ehemaligen Pfarrei in Leutersdorf nahmen an der Beerdigung teil.

Scholze war ein aufrechter Mann, ein würdiger Priester und ein eifriger Seelsorger. Ausgestattet mit vorzüglichen Gaben des Geistes hat er seine ganze Kraft dem priesterlichen Dienst gewidmet. Nur 49 Lebens- und 21 Priesterjahre waren ihm beschieden. Einem Mitarbeiter seiner Pfarrei in Leutersdorf hatte er wiederholt gesagt, daß er gern bereit sei, sein Leben hinzugeben, wenn er dadurch helfen könne, daß das Übel der Nazibarbarei vom deutschen Volk genommen würde. In seiner ehemaligen Pfarrei in Leutersdorf trägt die Straße, in der das Pfarrhaus liegt, seinen Namen.

 

 

QQ: ABDM; Scheipers, Gratwanderungen, 43.

Lit.: F. Günther, In Memoriam A. S., Pfarrer zu Leutersdorf, Oberlausitz, (Ms. im Domstiftsarchiv Bautzen 1950); Tag des Herrn 9 (1959) 16; Weiler, 589; Hehl-Kösters, Priester3, 895; HehlKösters, Priester4,1975.

 

 

 

 

 

 Diözesanjugendseelsorger Dr. Bernhard Wensch

 

 Bernhard Wensch

 

Priester des Bistums [Dresden-] Meißen

 * 7. Juli 1908 Berlin-Wilmersdorf

+  15. August 1942 KZ Dachau

 

Am 7.7.1908 wurde Bernhard Wensch in Berlin-Wilmersdorf als Sohn des ev.-luth. Kaufmanns Paul Wensch und dessen kath. Ehefrau Helene, geb. Rittler, als drittes Kind von drei Geschwistern - zwei Brüder und eine Schwester - geboren. Nach der Übersiedlung der Familie nach Dresden besuchte er das König-Georg-Gymnasium, wo er 1927 das Abitur ablegte. In der Gymnasialzeit wurde er stark durch die kath. Jugendbewegung geprägt. Er selbst war Führer der Neudeutschlandgruppe in Dresden. Er entschied sich für den Priesterberuf.

 

Zum Studium der Philosophie und Theologie ging er an das Canisianum in Innsbruck. 1930 promovierte er zum Doktor der Philosophie, schloß 1934 seine Studien in Innsbruck ab und trat in das Priesterseminar des Bistums Meißen in Schmochtitz bei Bautzen ein.

 

Am 17.3.1934 wurde er von Bischof Petrus Legge im Bautzner Dom zum Priester geweiht. Von 1934 bis 1937 wirkte er als Kaplan in Kamenz. 1937 ernannte ihn Bischof Petrus Legge zum Diözesanjugendseelsorger des Bistums mit Sitz in Dresden. Immer wieder reiste er durch das Bistum, um in Kursen und Einkehrtagen zur Jugend zu sprechen und sie anzuspornen, im Glauben standhaft zu sein. Wenn die katholische Jugend Sachsens im Großen und Ganzen den inneren und äußeren Angriffen des NS standgehalten hat, dann ist das zumeist sein Werk. In seinem Namen verfaßte die Jugend Rundbriefe, in denen sie vom Leben kath. Jugend berichtete und sich gegenseitig im Glauben bestärkte. Ein solcher Brief wurde noch in der Herstellung beschlagnahmt und war Grund seiner Verhaftung. In diesem Brief schrieb Wensch: „Sorgen wir, daß wir nicht taub werden! Wenn uns auch die Ohren gellen vom Lärm des Tages mit seinen Sensationen und Schlagern, mit seinen Albernheiten und Schlüpfrigkeiten. Wenn der Herr käme, nicht im Brausen des Sturmes, sondern im Säuseln des Windes! Wenn er uns riefe, nicht in den Kampf, sondern in die Stille! Wenn uns niemand ein Wort in seinem Namen sagen könnte als nur die Stimme des Gewissens in uns! Sorgen wir, daß wir nicht müde werden! Wenn es tagaus und tagein das gleiche zähe Ringen gilt mit unserer Kleinheit und Halbheit, unter immer neuen Rückschlägen. Wenn alles Streiten für Christus in uns, alles Werben für ihn um uns erfolglos scheinen mag, wenn wir allein stehen, wenn es in uns oder um uns Nacht werden will. Gerade dann: Sorgen wir, daß der Herr uns wachend findet! Daß unser junges Leben ein Echo sei des Engelsrufes, des Gottesrufes: ,Wer ist wie Gott!’“

 

Seine Verhaftung erfolgte am 19.5.1941, zusammen mit dem Kaplan an der Dresdner Propsteikirche Alphons Duschak. Er wurde von der Geheimen Staatspolizei in das Dresdner Polizeigefängnis gebracht, wie auf Grund von Nachforschungen bei der Geheimen Staatspolizei in Dresden in Erfahrung gebracht konnte. Als die Jugend der Dresdner Propsteigemeinde, die damals vor allem das Netz der Verbindungen mit den Rundbriefen über das Land hin trugen, im Gefängnis durch Propst Beier fragen ließ, was ihm vorgeworfen wurde, erhielten sie die Antwort: „Ihr müßt es wissen.“ Seine größte Sorge war, daß er in den stundenlangen Verhören nicht durch ein unbedachtes Wort irgend einen preisgäbe. Und er hat keinen preisgegeben. Seiner Mutter, die ihn nach sieben Wochen Haft zum ersten Mal besuchen durfte, teilte er mit: „Daß er nun wegkomme. Das sei ihm lieber als eine Verhandlung, denn er will andere nicht preisgeben.“

Ohne Gerichtsverhandlung kam Wensch in das KZ nach Oranienburg. In einem Brief an seine Mutter in dieser Zeit schrieb er: „Wenn Du für mich bittest, dann bitte in dem Sinn, daß ich stets ein volles Ja sagen kann zu allem, was Gott schickt.“

 

Am 7.11.1941 wurde er in das KZ Dachau eingeliefert als Häftling Nr. 28 617. Ein Mithäftling, Kaplan Hermann Scheipers, berichtete: „(...) stürmisch wird er von den Meißner Priestern begrüßt, aber gleichzeitig erschrecken wir über sein Aussehen, abgemagert und bleich steht er vor uns (...) Nun freut er sich, in der von den Gefangenen selbst eingerichteten Kapelle, wieder am hl. Opfer teilzunehmen und wieder unter den Mitbrüdern weilen zu können. Aber trotz seiner Freude ist er sehr wortkarg und ernst (...) Fast ein Jahr bin ich mit ihm zusammen auf der gleichen Stube und kann ihn beobachten und kennenlernen, wie selten einen Menschen. Alle haben eine gewisse Ehrfurcht vor ihm. Er bleibt bei all dem Durcheinander, den Aufregungen, dem tollen Wirbel, den die SS manchmal inszeniert, immer ruhig und gefaßt, froh und gesammelt. Ich habe den Eindruck: Er betet dauernd. Und man kann sich schon denken, wofür: Für das Gottesreich in den Herzen der Jugend, die ihm vom Bischof anvertraut war, für die Kirche in Deutschland, für seine Lieben und Freunde, für die Zukunft des deutschen Volkes.“

 

Im Frühjahr 1942 beginnt für die Häftlinge in Dachau eine sehr schwere Zeit. Der neue Lagerführer hatte es besonders auf die „Pfaffen“ abgesehen. Den Priestern wurden anstrengende Außenarbeiten zugewiesen. Die körperlich Schwächeren brachen zusammen und starben. Als dann Hungertyphus und Ruhr sich ausbreiteten, traf es auch Wensch. Der Dachauer KZ-Priester Hermann Scheipers erinnert sich: „Eines Abends kam Dr. Wensch heimlich in der Dunkelheit an den Stacheldraht des Invalidenblocks und brachte mir das Kostbarste, das er verschenken konnte - seine Brotration für den Tag, das waren etwa vier Scheiben Brot. Wer in seinem Leben schon einmal wochen- oder monatelang praktisch von Wassersuppen leben mußte, weiß, was das bedeutete. Ich hätte damals dieses Brot nicht annehmen dürfen; aber ich ahnte nicht, wie schlimm es um meinen Mitbruder stand. Er litt an schrecklichem Durchfall und schenkte mir sein Brot, das einzige, was er in seinem Zustand noch essen konnte. - Er schenkte damit buchstäblich sich selbst; denn wenige Tage darauf kam er, von Hunger geschwächt, ins Krankenrevier und starb. Nie kann ich diese Tat reiner Liebe vergessen. Sie steht für mich in direktem Zusammenhang mit dem, was Christus für uns tat in seiner Hingabe am Abend vor seinem Tod.“ (Scheipers, Gratwanderungen, 60f.)

 

An einer anderen Stelle erinnert sich der KZ-Priester Hermann Scheipers an diesen Märtyrer des Glaubens: „Kurze Zeit darauf erleide ich einen Schwächeanfall und komme zu meinem großen Schrecken ins Revier und von da auf den gefürchteten Invalidenblock, in dem Tausende von arbeitsunfähigen Menschen auf ihr Schicksal, den Tod in der Gaskammer warten. Fast jede Woche geht ein Transport mit hundert Menschen ab. Seelisch zermürbende qualvolle Tage vergehen. Durch einen doppelten Stacheldraht bin ich von den Mitbrüdern getrennt, aber heimlich bringt mir Dr. Wensch unter Lebensgefahr das Brot des Lebens, den Herrn im hl. Sakrament. Oder er schickt - es könnte gefährlich sein, wenn öfters der gleiche gesehen wird - den Diakon Karl Leisner.

 

Wensch erlitt in dieser Zeit einen Rückfall. Er erkrankt an Ruhr. Längere Zeit wurde er von seinen Kameraden verborgen gehalten, weil man die Krankenbaracke aus bekannten Gründen fürchtete. Schließlich muß er doch dahin gebracht werden. Nach drei Tagen stirbt er, am 15. August 1942 im Konzentrationslager Dachau. Einer seiner Mitbrüder aus Dachau sagte von Bernhard Wensch und dem ebenfalls in Dachau inhaftierten Kaplan des Bistums Meißen Aloys Andritzki: ,Ich glaube, das waren Heilige.’“ (Scheipers, Taten).

 

Die Beisetzung der Asche, die man seiner Mutter in einer Pappschachtel übersandt hatte, erfolgte in der Priestergruft auf dem Inneren katholischen Friedhof in Dresden am 23.9.1942 und gestaltete sich zu einer eindrucksvollen Kundgebung gegen allen Terror der damaligen Zeit. Viele brachten aus eigenem Antrieb rote Rosen mit, um zum Ausdruck zu bringen, daß hier ein Blutzeuge der Wahrheit seine letzte Ruhestätte fand. Wensch ist besonders bei der Jugend des Bistums als Blutzeuge der Wahrheit in lebendiger Erinnerung und Verehrung. In Dresden trägt eine Straße seinen Namen.

 

 

QQ: ABDM; Schnabel, 76; K. Drobisch - G. Fischer (Zusammengestellt und hrsg.), Ihr Gewissen gebot es. Christen im Widerstand gegen den Hitlerfaschismus (Berlin 1980) 245-248; G. Kühl, Zur Geschichte des Neudeutschen St. Benno-Gaues Dresden 1932-1945, in: R. Eilers (Hrsg.), Löscht den Geist nicht aus. Der Bund Neudeutschland im Dritten Reich. Erlebnisberichte (Mainz 1985) 222-234, hier 224f.; H. Scheipers, Die letzten Taten der Liebe, in: Die Union (12./13.9.1987); ders., Gratwanderungen, 59-62.

Lit.: R. Siegel, Blutzeuge der Vergangenheit. Ein Gedenkheft für den im KZ Dachau verstorbenen Jugendseelsorger des Bistums Meißen Dr. B. W. (Berlin 1948); Weiler, 589; Torsy-Kracht, 224; Hehl-Kösters, Priester4, 897.

 

 

Siegfried Seifert

 

Der Autor ist Domkustus des Domkapitels St. Petri und war lange Jahre Leiter des Diözesanarchivs des Bistums Dresden-Meißen in Bautzen.

 

 

  

Quelle:

Helmut Moll (im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz)

Zeugen für Christus, das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts

Band 1



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