Konrad Wagner: Erinnerungen eines Zeitzeugen an Alojs Andritzki

1940 kam er als 10-jähriger zu den Dresdner Kapellknaben und lernte hier auch Alojs Andritzki als Präfekten kennen

Konrad Wagner

 

Konrad Wagner (81) war 1940 selbst Kapellknabe und von 1955 bis 1997 deren musikalischer Leiter.

 

Pfingsten 1940 begann mein Leben bei und mit den Kapellknaben in Dresden. Ich war 10 Jahre alt. Mich in die Schar der jungen Mitsänger einzuordnen fiel mir nicht schwer, denn mein älterer Bruder Christian war schon seit 1938 im Institut. Unser Präfekt war damals Kaplan Alojs Andritzki. Er war im Auftrag des Propstes der Hofkirche zuständig für alle erzieherischen Belange dieser Jungengemeinschaft.

 

Ich erinnere mich, dass er mich eines Tages mit in seine Wohnung nahm, um mich in das 'Logbuch' der Kapellknaben einzutragen. Geheimnisvoll öffnete er ein altes etwa 3 cm dickes Buch, in das handschriftlich alle Kapellknaben eingetragen wurden. Name, Herkunftsort, Stimmgattung und Datum des Eintritts und auch das Datum des Austritts mit einer stichwortartigen Begründung. Meistens 'Stimmwechsel'. Das blieb bei mir natürlich noch offen. Danach blätterte er einige Seiten zurück und blieb bei einem Datum stehen: 1896. Er forderte mich auf zu lesen. 'Striegler, Kurt' stand da.

 

„Weißt du, wer das ist?“ Natürlich kannten wir den Kapellmeister der Oper. „Siehst du, wenn du fleißig übst, kannst du es auch einmal soweit bringen.“ Das war eine Lektion, die ich nicht vergessen habe, wenn ich auch damals nicht ahnen konnte, dass mich das Schicksal einmal in eine ähnliche Funktion führen würde.

 

Alojs Andritzki war ein Priester, der uns Jungen begeistern konnte. Wenn er mit uns ins Güntz-Wiesenbad, wie damals das Freibad vor dem Hygienemuseum hieß, schwimmen ging, warteten wir immer darauf, dass er einen von uns bewunderten eleganten Kopfsprung vom 10-Meter-Turm vorführte. Er konnte Rad schlagen und mit den Händen über die Tische laufen. Er konnte aber auch Klavier spielen und singen. Diesem Mann nahmen wir natürlich gern ab, was er uns über Religion und Disziplin sagte.

 

Wir durften ihn duzen und “Aloi” nennen. Doch das war den anderen Vorgesetzten gar nicht recht, fürchteten sie doch, seine Autorität könnte darunter leiden. Es war aber eher das Gegenteil der Fall. Dieses gute Verhältnis wurde bald abrupt unterbrochen Alojs Andritzki war auch für die Jugend in der Gemeinde zuständig. Weihnachten 1940 spielte er bei einem Krippenspiel der Hofkirchenjugend einen der heiligen drei Könige. Nach einer Aufführung in Pirna hatte er sich dort vor den Jugendlichen zu offen über die Nationalsozialisten und den Krieg geäußert. Das wurde durch Denunzianten der Gestapo hintertragen.

 

Seine Schwester Martha berichtet, dass er am 21. Januar 1941 ins Polizeipräsidium in der Schießgasse vorgeladen war, um dazu Stellung zu nehmen. Die weitsichtige Sekretärin des Hofkirchen-Propstes Beier, Schwester Canisia, befürchtete das Schlimmste und riet Alojs Andritzki, sich freiwillig zur Wehrmacht zu melden. Sie hatte die sicher nicht ganz unbegründete Hoffnung, dass eine solche “patriotische Haltung” die Wehrmachtsführung in die Lage versetzen würde, ihn dem unmittelbaren Zugriff der Gestapo zu entziehen. Alojs Andritzki wies das von sich, da er damit seine eigene Meinung hätte verleugnen müssen. Er bestand darauf, der Vorladung zu folgen und sich vor der Gestapo zu rechtfertigen. Er kam von dort nicht mehr zurück, wurde im Polizeipräsidium in Untersuchungshaft genommen und später in das Gefängnis am Münchner Platz überführt. Alle Versuche des Propstes, ihn freizubekommen, blieben erfolglos. Nach siebenmonatiger Gefängnisstrafe sollte Alojs Andritzki am 15. August 1941 entlassen werden. Propst Beier kam mit dem Auto, um ihn abzuholen.

 

Doch es stand auch noch ein anderes Auto bereit. Als Alojs Andritzki das Gebäude verließ, wurde er von Gestapobeamten unmissverständlich aufgefordert, in dieses einzusteigen. Es brachte ihn zurück in die Schießgasse. Am 2. Oktober 1941 erkannte ihn Käthe Trümper, eine junge Frau aus der Hofkirchenjugend, die zufällig am Hauptbahnhof vorbei kam, in einer Gruppe von Häftlingen hinter der Bahnsteigabsperrung. Ihre Bitte, mit ihm sprechen zu dürfen, wurde brüsk abgewiesen. Er war auf dem Wege ins KZ Dachau. Auf uns Kapellknaben wirkte diese Nachricht schockierend. An der Schule waren wir der Nazipropaganda ausgesetzt, und im kirchlichen Raum und selbst im Elternhaus verbarg man vor uns, was man vom Naziregime hielt, um sich und uns vor unbedachten Äußerungen zu schützen. Im Falle unseres geliebten “Aloi” hatten solche Äußerungen zur Verhaftung, zur Einlieferung in das KZ Dachau und schließlich zum Tode geführt. Nach Andritzki hatten wir bis zum Kriegsende noch vier andere Präfekten. Auch sein Nachfolger, Kaplan Alfons Duschak, kam ins KZ nach Dachau, hatte es aber überlebt.

 

Konrad Wagner (81), gebürtig aus Sebnitz, war als Junge selbst Kapellknabe und von 1955 bis 1997 Musikalischer Leiter der Dresdner Kapellknaben.

 

Vgl.: Johannes König: Gregorianik und Granaten. Verlag Hille, Dresden, S. 26.

 

 

Am 5. Februar wird die Urne Alojs Andritzkis und zweier weiterer Priester und KZ-Opfer in die Dresdner Kathedrale übertragen.

 

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