Erzbischof Zollitsch thematisiert Alojs Andritzki und experimentellen Kunstfilm in Predigt

zum Aschermittwoch der Künstlerinnen und Künstler im Erzbistum Freiburg

Erzbischof Robert Zollitsch    Foto: Erzbistum Freiburg

 

Erzbischof Robert Zollitsch     Foto: Erzbistum Freiburg

 

 

Predigt für den Aschermittwoch der Künstler/innen

am 9. März 2011 im Freiburger Münster

Joel 2,12-18

 

 

Liebe Kunst- und Kulturschaffende,

liebe Schwestern und Brüder in der Gemeinschaft des Glaubens,

 

„Andritzki. Bekenntnis“ – so lautet der Titel des Kurzfilms von Sonja Toepfer, den wir am heutigen Aschermittwoch der Künstlerinnen und Künstler in der Erzdiözese Freiburg zum Thema gemacht haben. Der Titel „Andritzki. Bekenntnis“ lässt dabei gleich Mehreres anklingen. Zum einen ruft er den biographischen Hintergrund des Filmes auf: Der Film setzt sich mit dem Leben des jungen sorbischen Priesters Alojs Andritzki auseinander, der von den Nationalsozialisten wegen „heimtückischer Angriffe auf Staat und Partei“, wie es in der Anklageschrift hieß, im Oktober 1941 im Priesterblock des KZ Dachau interniert wurde. Bis dahin hatte er gerade einmal 1 ½ Jahre auf seiner ersten Stelle als Kaplan an der Dresdner Hofkirche und als Präfekt der Dresdner Kapellknaben gewirkt. Als er an Typhus erkrankte, der im Lager grassierte, wurde Alojs Andritzki am 3. Februar 1943 mit einer Giftspritze ermordet.

 

Andererseits rücken der Titel des Films und damit auch der Titel unseres heutigen Aschermittwochs das Wort „Bekenntnis“ ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Um wessen Bekenntnis geht es hier? Welche Motive spielen eine Rolle? Und welche Bearbeitung erfährt „Bekenntnis“ schließlich im Genre „experimenteller Film“? Die Antwort ist vielschichtig, zum Teil offensichtlich, zum Teil hintergründig, wie es bei einer künstlerischen Auseinandersetzung gerade auch mit einem religiösen Thema nicht anders sein kann. Auf jeden Fall aber regt der Film zum Nachdenken an. Ich möchte dieser Frage nach dem Bekenntnis hier ein wenig nachgehen.

 

Zunächst geht es sicher um das Bekenntnis von Alojs Andritzki, um dessen kritische Haltung zum nationalsozialistischen Regime, die den damaligen Machthabern offensichtlich gefährlich erschien und die schlussendlich zu seinem Tod führte. Es geht aber auch um das Bekenntnis derjenigen Menschen, zumeist katholische Sorben in der ehemaligen DDR, die in Alojs Andritzki einen vorbildlichen Zeugen des christlichen Glaubens erblickten, die schon bald nach dem Krieg seiner immer wieder in Gebetstreffen gedachten und schließlich seine Selig­sprechung anregten. Aufgrund der Verehrung durch die Gläubigen und wegen seines märtyrerhaften Todes – im Todeskampf bat er um die heilige Kommunion und bekam von einem Wärter die Giftspritze – wird die Kirche den sorbischen Kaplan dieses Jahr im Juni selig sprechen.

 

In seinem Bekenntnis, einem Zeugnis des Lebens, wird deutlich, dass christliches Bekenntnis viel mehr und ganz anderes ist, als Ausdruck allgemeiner religiöser Überzeugungen, in traditionellen Formeln ins Wort gefasst. Christen vollziehen vielmehr das Bekenntnis Gottes zu seinem Mensch gewordenen Sohn mit. Gott selbst bekennt sich zu Jesus von Nazareth, dem Rabbi in Galiläa, dem Zimmermannssohn, der den Menschen Heilung und Hoffnung gibt. Denn Jesu Botschaft wird von den Mächten der Welt verworfen; sein Anspruch, Gottes Sohn zu sein, am Kreuz ad absurdum geführt – bis sich Gott selbst zu ihm bekennt. Indem er Jesus, den Verworfenen, auferweckt, bekennt er sich zu ihm, anerkennt seinen Anspruch, Sohn Gottes zu sein. Er stellt sich ein für allemal hinter die Botschaft Jesu Christi: Gott ist Liebe. Wer sich dazu bekennt, vollzieht nach, dass er nicht tiefer fallen kann als in Gottes Hand.

 

Alojs Andritzki

 

Alojs Andritzki

 

Bekenntnis ist, wie bei Alojs Andritzki, existentiell. Der sorbische Kaplan stand aber nicht nur als gläubiger Christ fest zu seiner kritischen Einstellung zum NS-Staat. So lehnte er es ab, sich freiwillig zur Wehrmacht zu melden, nachdem er wegen politischer Äußerungen denunziert worden war; mit einem solchen Schritt hätte er sich etwa einer Verhaftung durch die Gestapo zu entziehen können. Alojs Andritzki bekannte sich auch zu seiner ethnischen Herkunft, zur sorbischen Kultur und zum sorbischen Volk. Schon zu Gymnasialzeiten war er Vorsitzender eines sorbischen Schülervereins in Bautzen; während des Theologiestudiums in Paderborn wurde er Sprecher der sorbischen Studentenschaft und schließlich druckte er sein Primizbildchen in sorbischer Sprache, in einer Zeit, in der in Deutschland kein gedrucktes Wort mehr in der Sprache dieser Volksgruppe erschien. Insofern der DDR, die sich zum Staatsatheismus bekannte, ein sorbischer Antifaschist und Widerstandskämpfer für die eigene Propaganda gelegen kam, legte auch der so genannte „deutsche Arbeiter- und Bauernstaat“ ein Bekenntnis zu Andritzki ab, freilich ein politisch motiviertes; er ließ die Katholiken, die Alojs Andritzki verehrten, gewähren und benannte sogar Straßen nach dem katholischen Priester, etwa in Dresden und Bautzen.

 

Schließlich ruft das Stichwort „Bekenntnis“ auch die Reaktion des heutigen Hörers und Zuschauers auf den Plan. Wie würde ich mich in einer Diktatur verhalten, die die Menschenwürde verachtet und die Rechte vieler mit Füßen tritt? Könnte ich zu meiner inneren Einstellung der Ablehnung stehen? Würde ich diese Haltung auch nach außen bekennen und – durchaus mit Klugheit und ohne Sehnsucht nach dem Martyrium – Widerstand leisten, auf die Gefahr hin, Leib und Leben zu riskieren? Die Ereignisse der vergangenen Wochen in Tunesien, Ägypten und Libyen haben uns wieder einmal vor Augen geführt, dass die Frage nach dem eigenen Bekenntnis keine theoretische ist, die der Vergangenheit angehörte. Sehr schnell und unerwartet können Situationen entstehen, die mich in meinem Bekenntnis fordern, die ein Ausweichen nicht mehr zulassen. „Wer sich vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem werde auch ich mich vor meinem Vater im Himmel bekennen“ (Mt 10,32), verspricht Jesus Christus.

 

Filmszene aus "Andritzki. Bekenntnis"

 

Filmszene aus "Andritzki. Bekenntnis"

 

Wie aber geht der Film „Andritzki. Bekenntnis“ mit dieser Frage nach dem persönlichen Lebenszeugnis, nach dem Bekenntnis der eigenen Überzeugungen um? Die Antwort überrascht dann doch und führt erneut ins Nachdenken. Es werden in diesem Film keine großen Bekenntnisse abgelegt, keine hehren Worte gesprochen; ja es fällt überhaupt kein Wort, weder von noch über Alojs Andritzki. Der Kurzfilm von Sonja Toepfer kommt ganz ohne Worte aus. Er thematisiert stattdessen innere Bewegungen und Strebungen, er macht die innere Auseinandersetzung des Protagonisten sichtbar, indem die Hauptfigur in vielfältige Körper­haltungen, szenische Raumschnitte und Landschaften versetzt wird. Der Zuschauer erhält nur Zugang zu einem äußeren Erscheinungs­bild des Priesters und wird doch permanent in das Ringen und Suchen der Figur mit hineingenommen. Die Wortlosigkeit des Bekenntnisses Andritzkis raubt auch dem Zuschauer die Sprache, sie verstört und macht nach­denklich. Fertige Vorstellungen, wie das Bekenntnis eines Märtyrers und demnächst selig Gesprochenen auszusehen hat, werden dem Betrachter aus der Hand geschlagen. Es gibt keine vorgefasste Sprache, die das innere Geschehen bereits erfasst, verstanden und damit auch schon eingeordnet hätte. Es gibt keine eindeutigen Interpretationen, vielmehr bleibt Deutungsoffenheit. Der religiöse Kontext schwingt in der Kleidung der Hauptfigur immer mit, aber er ist nicht geschlossen, nicht fertig, nicht aufdrängend.

 

Man braucht Zeit, um nach dem Film seine Gedanken zu fassen. Aber man kommt als Zuschauer nicht umhin, nach einer eigenen Sprache, nach einem eigenen Verstehen des Gesehenen zu suchen. Gerade das macht den Film wertvoll, auch für die Frage nach einem religiösen oder religiös motivierten Bekenntnis. Sollte unser Bekenntnis als Christen, auch in bedrängenden äußeren Situationen, nicht gerade so sein, dass es andere ermutigt, aber nicht zu zwingen sucht; dass es freisetzt und nicht bedrängt, dass es ermächtigt, statt zu übermächtigen? Und dies beginnt schon mit der Sprache des Bekennens. Bleiben wir auch als Bekennende Suchende oder halten wir uns für Wissende, die gar nicht mehr fragen? Ein Bekenntnis im Geiste Jesu Christi wird dessen Weg zum Kreuz mitgehen und bereit sein müssen, von jeder eigenen fertigen Vorstellung von Gott auch noch einmal abzulassen – im Vertrauen darauf, dass auch im eigenen zerbrochenen Bild und im zerborstenen Wort der sich entäußernde Gott zur Sprache kommt. Amen.

 

Dr. Robert Zollitsch

Erzbischof von Freiburg


Weitere Informationen zu dem Kunstfilm "Andritzki. Bekenntnis"



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