Hinter Gittern - Heidemarie Köhler und Johannes Hintzen sind Seelsorger in der JVA Dresden

Das Gefängnis ist eine ganz andere Welt. Hier werden besondere Anforderungen an die Seelsorger gestellt.

Johannes Hintzen
Referent Johannes Hintzen in seinem vergitterten Büro.

Hohe Mauern, Stacheldraht, graue, schwere Tore. Die Justizvollzugsanstalt (JVA) Dresden liegt in direkter Nachbarschaft zu kleineren Industriebetrieben und dem Wertstoffhof am Hammerweg. Es ist kurz vor neun Uhr morgens, Dienstbeginn für Johannes Hintzen. Der 55-jährige katholische Wahldresdner ist einer von vier Gefängnisseelsorgern der Dresdner Haftanstalt. Außer ihm bemühen sich zwei evangelische Kollegen und die 62-jährige Gemeindereferentin Heidemarie Köhler um die geistliche Betreuung der Häftlinge. In der JVA ist Platz für maximal 805 Insaßen, 330 Mitarbeiter sind dort beschäftigt.

Hintzens Arbeitstag, meistens beginnt er ähnlich: Er betritt die 2000 in Betrieb genommene Anstalt durch eine aufwändige Sicherheitsschleuse, freundlicher Gruß an die Wachleute. Dann geht er durch eine Vielzahl an Gängen, Gittertüren und Treppenhäusern hin zu seinem Postfach, dort holt er Anträge von Gefangenen ab. Die handschriftlich ausgefüllten Vordrucke im DIN A 5-Format haben oft den gleichen Inhalt: „An den Seelsorger", heißt es im Adressfeld. „Bitte um ein Gespräch" folgt dann als das häufigste Anliegen. Mit den Anträgen geht er durch weitere Gänge, Türen und Gittertüren bis zu seinem Büro. Ich trotte ihm hinterher und bin mir sicher, dass ich nicht mehr allein herausfinden würde – jedenfalls nicht auf Anhieb. Die grauen Wände und Gitter wirken bedrückend.

Das Gefängnis ist eine andere Welt

Nach seinem Theologie-Studium promovierte Hintzen in Bonn über „Verkündigung und Wahrnehmung". Nach verschiedenen Stationen in Deutschland hat es ihn vor rund 20 Jahren nach Dresden verschlagen, seit einem Jahr ist er Gefängnisseelsorger. Diese Tätigkeit sei sehr anstrengend. „Die Straftäter leben hier in einer ganz anderen Welt", erklärt er. „Und darin leben Menschen auf engstem Raum miteinander, die sich draußen sicherlich meiden würden." Da lebt zum Beispiel der Hausfriedensbruch-„Tippelbruder" mit dem Mörder zusammen, oder der Sittenstraftäter mit dem promovierten Wirtschaftsjuristen, der betrogen hat. „Da gibt es niemanden, der keine Probleme hat", beschreibt Hintzen seinen Seelsorgebereich. Das erfordere sehr viel Konzentration, sehr viel Empathie und sehr viel Kraft. „Oft vermittle ich auch zwischen den Angehörigen und den Insassen."

Die Haftgründe und die Strafdauer interessierten ihn allerdings nur am Rande, sein Recht auf Akteneinsicht nutze er kaum. „Das sind keine bösen Menschen", sagt er. „Der Gefangene soll seine Seele wiederfinden", lautet sein Motto – die Aktenlage sei da zweitrangig. Neben Gesprächen und Zellenbesuchen bietet er auch Gitarrenkurse und regelmäßige Wortgottesdienste an. Das sei „wie Urlaub" für die Häftlinge, weil sie so einen Kontrast zum Gefängnistrott erlebten. Er sei jedoch nicht nur für die Insassen zuständig, auch die JVA-Bediensteten könnten sich an ihn wenden.

Kreative Kurse als Gesprächseinstieg

Seine Kollegin Heidemarie Köhler, Gemeindereferentin aus Ottendorf-Okrilla, betreut seit sechs Jahren die Gefangenen, hauptsächlich die weiblichen. Auf Männer trifft sie nur in ihren Gruppenkursen. Genau wie Hintzen empfindet sie die Tätigkeit als psychisch belastend. „Aber hier habe ich wirklich das Gefühl, gebraucht zu werden", erklärt sie lächelnd. „Das hätte ich mir nie träumen lassen, aber ich bin froh und dankbar, hier zu sein". Sie hat ihre eigene Methode entwickelt, um Zugang zu den Häftlingen zu finden: Bastelstunden. So zeigt sie zum Beispiel inhaftierten Familienvätern, wie sie nach ihrer Entlassung mit den Kindern basteln können. Die Tätigkeit diene jedoch in erster Linie als Einstieg in ein Gespräch. Dabei reden die Gefangenen mit ihr über Gott, die Welt, Schuld, sie stellen viele philosophische Fragen. „Eigentlich geht es nicht ums Basteln", erklärt sie. „Es geht ums Reden."

Während Johannes Hintzen ein hochgewachsener, energischer Mann mit Vollbart ist, stellt Heidemarie Köhler einen ganz anderen Typ dar. Mit ihren kreativen Gruppenangeboten und ihrer ruhigen Art wirkt die relativ kleine Frau sehr mütterlich und einfühlsam. So ergänzen sich die ungleichen Seelsorger. Beide sind sich darüber einig, dass Mission nicht der Hauptgedanke sei. Es sei schön, wenn sich jemand für den katholischen Glauben interessiere. Doch der Fokus liege auf der Selbstfindung der Insassen und der Resozialisierung. Daher sei auch der Kontakt zu den Menschen außerhalb des Gefängnisses sehr wichtig.

Das System JVA und das Privileg der grauen Haare

Zwar gehören beide zum „System JVA", aber doch haben sie als lebenserfahrene Leute mit dem „Privileg der grauen Haare" eine besondere Vertrauensposition bei den Gefangenen. „Wir sind hier weiße Raben", erklärt Hintzen. Das steht für Individualisten und Menschen mit abweichenden Positionen. Und als solche bringen sie ein Stück Kirche hinter die hohen Gefängnismauern. „Für Häftlinge, Bedienstete und Angehörige", sagt Heidemarie Köhler. „Wir machen nicht nur Gefangenenseelsorge, sondern Gefängnisseelsorge." Als sie mich durch die Gänge, Gittertüren und Treppenhäuser wieder herausführt, erklärt sich mir, dass sie jedes Mal aufatme, wenn sie wieder im Freien sei. Mir geht es wie ihr.

BM



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