Volksnah, unkompliziert, charismatisch, unbestechlich - vor allem aber: gelassen

Ansprache von Ordinariatsrat Christoph Pötzsch zur Verabschiedung von Bischof Joachim Reinelt am 26. April in Dresden

Christoph Pötzsch

Ordinariatsrat Christoph Pötzsch



Meine sehr verehrten Damen und Herren,

heute verlässt der Kapitän endgültig die Kommandobrücke. Auf ihr hat er 24 Jahre lang gestanden, jetzt ist für ihn die Zeit gekommen, den Platz frei zu machen.
Ich danke Ihnen allen sehr herzlich dafür, daß Sie gekommen sind, um ihn heute auf diesem Weg von der Brücke ein Stück zu begleiten.


24 Jahre hat der Kapitän auf der Brücke gestanden.
Eine ungewöhnlich lange Zeit. Es ist nicht allein die respektgebietende Zahl von 24 Jahren. Es ist viel mehr die aufregende Tatsache, daß Joachim Reinelt sein Amt als Bischof Anfang 1988 antrat, zu einer Zeit, die für uns heute in einer anderen Welt liegt.

Joachim Reinelt ist Schlesier, als Vertriebener landete er mit 11 Jahren im sächsischen Radeberg; seine Verankerung in der hiesigen Region verdankte er seiner Pfarrgemeinde. Zuerst wurde ihm diese zur Heimat, erst dann und danach auch Sachsen. Er besuchte die Oberschule und machte Abitur. Er studierte Theologie, wurde 1961 zum Priester geweiht und übernahm vielfältige Aufgaben in der pfarrlichen Seelsorge.

Einer seiner Klassenkameraden aus Radeberger Schulzeiten studierte Jura und wurde später als Direktor des Dresdner Bezirksgerichts zum Protagonisten der DDR-Unrechtsjustiz in politischen Prozessen. Beide – Joachim Reinelt und dieser Richter  verloren – obwohl politische Welten zwischen ihnen lagen - nie den persönlichen Kontakt zueinander, über Klassentreffen und sonstige Begegnungen. Zwei Lebenswege, die bei gleichem zeitlichem Beginn die möglichen Extreme der DDR vollends ausgeschritten haben. Ich wäre gern Zeuge der Gespräche der beiden in den vergangenen Jahrzehnten gewesen.

1986 wurde Joachim Reinelt Caritasdirektor, zwei Jahre später - 1988 - dann Bischof dieser Diözese.


Sie erinnern sich, 1988 lebten wir ein einem anderen Land, einem sehr seltsamen Land, das von einem Dachdecker ohne Berufsabschluß regiert wurde, der  zudem Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache hatte.


1988 konnte man für ein unbedachtes Wort ins Gefängnis kommen, konnte man an der Grenze erschossen werden.


1988 hatte Kirche in diesem Land keinen offiziellen Stellenwert und wurde bekämpft.


1988 hatte ich zwölf Jahre Wartezeit hinter und noch eines vor mir, bis ich dann ein merkwürdiges Fahrzeug mit dem Namen Trabant bekam. Es kostete mich meine gesamten Ersparnisse, wenige Wochen später verkaufte ich es für 200 DM und eine Flasche Rotwein.



Zu sagen, wir hätten 1988  in einem anderen Land gelebt, wäre zu wenig. Es war aus heutiger Sicht ein anderer Planet.
Bischof zu werden war in dieser Zeit eine doppelte Herausforderung. Natürlich zuerst das Wort Gottes in die Welt zu bringen, sich und die anvertrauten Gläubigen aber auch gegen die extrem kirchenfeindliche offizielle Welt zu sichern. Dann kam dieser ungeheure Glücksfall, der heute etwas ungenau als Wende bezeichnet wird.


Unvergessen Bischof Reinelts Hirtenwort vom Oktober 1989 „Nun ist es Zeit, Verantwortung zu übernehmen“. Christen beider Konfessionen nahmen diese politische Verantwortung an. Sie profitierten von der Parallelwelt der Kirchen und der Religionsgemeinschaften in der Diktatur. Nur diese hatten ihre abgesteckten Zirkel, in denen Verantwortung geübt und freie Rede gepflegt werden konnte.

Der enorme Schwung in der Diözese nach 1989 war auch der Tatsache geschuldet, daß Jochim Reinelt ein dienstjunger Bischof war, und im guten Sinne hungrig und vom Typ her alles andere als ein Zauderer.
Leuchttürme wurden gesetzt.
Exemplarisch seien genannt die Wiedereinrichtung des Bennogymnasiums mit einem preisgekrönten Neubau, die Gründung weiterer Schulen, die Errichtung einer Katholischen Akademie, eines Bildungshauses in Schmochtitz, der Abschluß des Staatskirchenvertrages, der Errichtung des Hauses der Kathedrale, vom Umbau einer Bischöflichen Verwaltung ganz zu schweigen, die ohne Scharen von Leihbeamten vorgenommen wurde.
Kein Pfarrhaus, keine Kirche ohne wesentliche bauliche Verbesserungen oder Neubau.

Aber noch vor allen baulichen Leuchttürmen:
Wie wird das Wort Gottes in dieser neuen Welt verkündet, wie wird es aufgenommen. Wie leben wir jetzt Freiheit, wie lernen wir jetzt Verantwortung in und für die Gesellschaft. Können die Menschen dem neuen Tempo folgen. Was wird mit denen, die es nicht schaffen? Wie stehen Kirche, wie steht Caritas in der Gesellschaft. Das war sein Programm. Joachim Reinelt kam entgegen, daß er vom Typ her nie ein Schreibtischbischof war, sondern ein Menschenbischof.


Bischof Reinelt hat diese Diözese geprägt, verändert und gestaltet wie kaum  ein anderer vor ihm. Und er hat Zeichen in dieser Gesellschaft gesetzt, die nicht übersehen werden können.


Vor einiger Zeit rief mich ein befreundeter Journalist an, der gern und unbedingt von mir eine inoffizielle Zuarbeit wollte. Er wusste, daß ich seit mehr als zwanzig Jahren hier in diesem Hause Dienst tue und damit über gewisse Insiderkenntnisse verfüge.
Zwei Dinge wollte er von mir wissen: Erstens: eine Anekdote aus dem Leben des Bischofs und zweitens: seine aus meiner Sicht markanteste Charaktereigenschaft.


Nun, mit der Anekdote habe ich mich schwergetan. Immerhin gibt es so etwas wie das Dienstgeheimnis, und der Datenschutz hat auch vor der Kirche Gottes nicht Halt gemacht, mag man das nun begrüßen oder beklagen. Also, ich habe mich da bedeckt gehalten. Aber nicht, daß es da nichts zu erzählen gäbe. Oh, doch.
Was macht zum Beispiel ein Bischof vor einem festlichen Gottesdienst, wenn seine liturgische Kleidung mitsamt Autoschlüssel im Auto liegt und das Auto sich selbst verschließt? Oder der Bischof im Chaos des Hochwassers 2002. Oder warum steht das Flugzeug, in dem Bischof Reinelt und viele andere sitzen, auf dem Rollfeld und startet nicht? Nun, es war 1988, und die Stasi hatte die einmalige Gelegenheit, in Ruhe einen bischöflichen Koffer zu durchwühlen. Da kann schon mal ein Flugplan durcheinander kommen. Viele schöne Geschichten in 24 Jahren.


Und die markanteste Charaktereigenschaft? Nun da gäbe es viele Begriffe zu finden. Volksnah, unkompliziert, charismatisch, unbestechlich. Aber favorisiert habe ich bei diesem  Journalisten  das Wort Gelassenheit. Es ist beileibe nicht die Gelassenheit, die die heutige Gesellschaft als Coolness bezeichnet, nein es ist eine Gelassenheit, die, verzeihen Sie mir die theologische Unschärfe, die geerdet ist und sich am besten mit dem schönen Wort Romano Guardinis beschreiben lässt:
 Geborgenheit im Letzten gibt Gelassenheit im Vorletzten.


Vielleicht kann man nur so 24 Jahre eines derart kräftezehrenden Amtes bestehen, wenn man eben um seine Geborgenheit im Letzten weiß und daraus die Gelassenheit bezieht. 24 Jahre eines solchen Amtes sind nämlich erst ganz zuletzt Repräsentation. Zuerst sind sie Arbeit, Verantwortung und oft genug Beschäftigung mit Themen, die normalerweise nicht mit einfacher Gelassenheit zu ertragen sind.
Und bedenken Sie, daß das Bischofsamt in seinem zeitlichen Anspruch weit über die normalen Altersgrenzen hinausgeht.
Überhaupt wundere ich mich, daß sich die Rentenpolitiker noch nicht dieses Themas bemächtigt haben. Rente ab 75. Man sieht doch, daß es geht.


Nun, meine Damen und Herren, verlässt der Kapitän die Kommandobrücke. Sein Kapitänspatent wird er behalten, das ist bei dieser Reederei so üblich. Einmal Kapitän, immer Kapitän. Aber   -  nun nicht mehr auf der Brücke.
Ein Vertreter hat jetzt für einige Zeit das Kommando übernommen. Ein Vertreter, der einen sehr engen Handlungsrahmen hat. Er darf den Kurs nicht ändern, er darf überhaupt nichts tun, was einen neuen Kapitän später bindet.
Und inzwischen muß der Reeder seinen Dienst tun. Er muß einen neuen Kapitän benennen, …der Reeder im fernen Rom. Er wird sich Zeit lassen, erfahrungsgemäß. Wir rechnen mit einem Dreivierteljahr. Wohl auch, weil alles, was da Hand und Fuß haben soll, neun Monate dauert.
Und dann wird der neue Kapitän kommen. Er wird das Schiff übernehmen. Die See ist immer noch rau. Sie ist anders rau als 1988. Aber sie ist rau. Und das ist gut so. Schiffe dieser Art scheitern in der Regel nicht an Stürmen, sondern am schönen Wetter und an zu glatter See. Das hat die Geschichte gezeigt.
Der neue Kapitän wird nach erster Inspektion erfreut feststellen, daß es zwar kein Traumschiff ist, wohl aber eines in sehr ordentlichem  Zustand. Größere Reparaturen stehen nicht an, und auch der Treibstoffvorrat – die anwesenden Kapitäne anderer Schiffe mögen jetzt bitte weghören, auch einige Treibstoffvorräte sind vorhanden. Der neue Kapitän kann sich ganz auf seinen Kurs konzentrieren. Er wird keinen schlechten Start haben.


Heute, meine Damen und Herren, wird ein großes Kapitel beendet. Der Kapitän verlässt die Brücke. Er wird jetzt hoffentlich dazu kommen, das nachzuholen, was ihm in den letzten 24 Jahren kaum möglich war und ihm doch so wichtig ist. Lesen, Wandern, Fahrradfahren und Konzerte besuchen. Wenn es ihm künftig an etwas fehlt, möge er sich melden.
Als Mitglied und im Namen der Schiffsbesatzung sage ich dem Kapitän von Herzen  Danke. Danke dafür, daß er uns alle sicher geführt und jeden einzelnen geprägt hat.  Und wie ich meinen Kapitän kenne, wird er diesen Dank weitergeben an den, der ihn dazu befähigt hat, über ein Vierteljahrhundert hinweg zu einem außerordentlichen  Schiffsführer zu werden.


Im Logbuch wird heute der Doppelstrich gezogen. Die Eintragungen der letzten 24 Jahre werden künftig die Historiker beschäftigen, wiewohl der scheidende Kapitän seinen Platz in den Geschichtsbüchern, nicht nur in den diözesanen, sicher hat.


Schön, meine Damen und Herren, daß Sie alle zu dieser historischen Stunde gekommen sind. Nochmals herzlich willkommen.
Immerhin – Sie können heute sagen, wie weiland Goethe bei Valmy „… und ich bin dabeigewesen…“.


Vielen Dank.



Zurück Impressum