"Der Heilige Geist - Gottes Explosion der Liebe"

Bischof Heiner Koch am Pfingstsonntag im Deutschlandfunk

Bischof Dr. Heiner KochUnter dem Titel "Der Heilige Geist - Gottes Explosion der Liebe" brachte der Deutschlandfunk in seiner Sendung "Am Sonntagmorgen" am vergangenen Pfingstsonntag, 19. Mai 2013, einen Beitrag des Bischofs von Dresden-Meißen, Dr. Heiner Koch. Hier können Sie den Text nachlesen. Wenn Sie diesen Beitrag hören wollen, klicken Sie bitte hier.


"Leben heißt: im Austausch, in Beziehung sein. Dies gilt für die ganze Schöpfung: alles ist Beziehung, Relation. Selbst die kleinste physikalische Einheit ist Bewegung, ist Beziehung. Das Leben ist nicht statisch, es ist Austausch, es ist Aufeinander-bezogen-sein. 
Dies gilt auch für unser menschliches Zusammensein. Wie schön ist es, zu lieben und geliebt zu werden. Ein Kind blüht auf, wenn es sich auf die Liebe seiner Eltern verlassen kann, und es verkümmert und kann seine Talente nicht entfalten, wenn es von solcher Liebe nicht getragen wird. Wir leben von der Liebe.
Beim Tod eines geliebten Menschen spüren wir dies oft schmerzlich. Wir trauern ja dann oftmals nicht nur um einen anderen Menschen. Mit dem Tod dessen, den wir lieben, stirbt auch ein Stück von uns selbst. Umgekehrt gilt auch: wir leben auf, je mehr wir lieben und geliebt werden. Ja, Leben ist Lieben. Im 1. Johannesbrief ist dies sehr prägnant zusammengefasst: „Wir sind vom Tod zum Leben hinübergegangen, indem wir lieben“ (1 Joh 3,14).

Gerade in diesem Punkt ist die Schöpfung und erst recht der Mensch Spiegelbild Gottes, des Ursprungs und des Schöpfers allen Lebens. Gott ist immer schon Gemeinschaft, Austausch, Kommunikation, Communio. Wir befinden uns hier im Kern des christlichen Glaubens: Gott ist nicht ein isoliertes Für-Sich-Sein. Gott ist dreifaltig:
Vater, Sohn und Heiliger Geist. Vater – dies ist ein Beziehungswort. Es ist nur sinnvoll in Bezug auf Kinder. Sohn – dies ist ebenfalls ein Beziehungswort und nur sinnvoll in Bezug auf Eltern. Gott ist Beziehung, er ist Liebe. Er ist vollkommene Liebe, weil er vollkommenes Leben ohne Grenzen, ewiges Leben und ewige Liebe ist. Vater und Sohn leben in solch dichter Beziehung, lieben einander so sehr, dass sie in dieser Liebe wieder eins sind.

Liebe aber bringt immer Frucht hervor. Die Liebe eines Naturwissenschaftlers zu seiner Forschung bringt Ergebnisse hervor. In viel intensiverer Weise erfahren dies Mann und Frau, wenn sie sich lieben und aus ihrer Liebe ein Kind herauswächst, durch ihre Liebe herangebildet wird, die Frucht ihrer Liebe. Die Frucht der Liebe Gottes ist der Heilige Geist, „der aus dem Vater und dem Sohn hervorgeht“, wie es im Großen Glaubensbekenntnis der Christen heißt. Vater und Sohn sind so eng mit dieser Frucht ihrer Liebe verbunden, dass die drei wieder eins sind - in Liebe: Gott ist dreifaltig und doch in und aus Liebe einer. Gottes Geist ist die Frucht der Liebe Gottes.

Wenn aber Gottes Liebe im Gegensatz zu unserer menschlich begrenzten Liebe unendlich, ewig ist, kann diese Liebe nicht in sich bleiben, dann muss sie gleichsam explodieren - in die Wirklichkeit außerhalb ihrer selbst. In der Explosion der Liebe Gottes ist der Heilige Geist. Im ersten Buch der Heiligen Schrift Genesis heißt es: „Alles war Nichts, doch Gottes Geist schwebt über dem Nichts“ (vgl. Gen 1,22). So wurde Leben, so wurde Schöpfung, so wurde der Mensch.

Wir sind also Frucht der Liebe Gottes, der Explosion der Liebe Gottes, seines Heiligen Geistes, der diese Welt und uns aus dem Nichts geschaffen hat: Gott haucht, so schildert es das Buch Genesis, uns seinen Atem, seine Lebenskraft, seinen Geist ein (vgl. Gen 2,7). Deshalb sind wir geisterfüllte Menschen. Paulus wird es später so formulieren: „Wisst ihr nicht, das ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt?“ (1 Kor 3,16). Deshalb hat jeder Mensch auch seine Geistesgaben, seine schöpferische Kraft, seine Vitalität: er ist voll des Geistes Gottes, berufen zur Kreativität, zur Liebe, zum Leben aus dem Geist Gottes. Jeder Mensch ist voller Geistesgaben! Welche Würde, welche Größe, welche Lebenschance!

Aus dieser Kraft des Heiligen Geistes heraus wurde auch die Kirche. Sie ist Ort und Wirkungsstätte des Heiligen Geistes. Im Glaubensbekenntnis bekennen wir sie als heilige Wirklichkeit: „Ich glaube an die Heilige Kirche“. In dieser Aussage spiegelt sich nicht eine Selbstanmaßung der Kirche wider. Sie ist vielmehr Ausdruck ihres demütigen Bewusstseins: ohne Gottes Geist sind wir nichts. Er, der Heilige Geist, hat diese Kirche geschaffen. Am Kreuz hauchte Christus seinen Geist aus, und an Pfingsten empfingen ihn die Jünger: „Empfangt den Heiligen Geist“ (Joh 20,22). Ohne ihn wäre diese Kirche nicht geworden, ohne ihn wäre die Kirche leer und inhaltslos. Ohne ihn gäbe es nicht das geistgewirkte Wort Gottes in der Heiligen Schrift, ohne ihn gäbe es nicht die Sakramente, die Frucht des Heiligen Geistes sind. Deshalb ruft die Kirche zunächst immer die Kraft des Heiligen Geistes herab, wenn sie die Sakramente spendet. So heißt es etwa vor der Wandlung in der Heiligen Messe: „Der Geist heilige diese Gaben von Brot und Wein!“ Gottes Geist wirkt in der Kirche, zuerst und vor allem in der Kirche. Nur deshalb ist sie heilige Wirklichkeit. Nur deshalb können wir an sie glauben. Ich glaube an den Heiligen Geist, der in dieser Kirche lehrt und wirkt.

Im Vertrauen auf diese schöpferische Kraft des Geistes Gottes hoffen wir als Christen auch auf die Auferstehung der Toten. Im Buch des Propheten Ezechiel heißt es, dass alles tot war. Aber Gottes Geist schwebte über dem toten Gebein. Weil Gottes Geist da war, wurde alles Tote wieder lebendig (vgl. Ez 37). Gottes Geist, er ist unsere Hoffnung: Gottes Geist, der uns in dieses Leben gerufen hat, wird uns auch im Tod nicht allein lassen. Denn Gott widerruft seinen Geist nicht. Wir werden leben aus Gottes Geist, aus der Schöpferkraft Gottes, aus seiner Vitalität, aus seiner Liebe, aus seiner Gemeinschaft.

Gottes Geist ist die Explosion der Liebe Gottes in die Welt, in unser Leben, in die Kirche. Ohne ihn, ohne die Liebe Gottes würde nichts existieren. Wir leben in Gottes Geist, und Gottes Geist ist in uns. Gottes Geist hat uns seit Beginn unseres Lebens seine Lebenskraft geschenkt, Gottes Geist begleitet uns auf unseren Wegen, er ist die treibende und tragende Kraft, Gottes Geist reißt uns aus dem Tod ins ewige Leben.

Der Glaube an diesen kraftvollen Geist Gottes: nur eine Ansammlung leerer Worte oder eine erfahrbare Realität? Ideologie oder wirkkräftige und wirklichkeitssetzende Realität? Diese Frage stellten sich auch die Jünger am Pfingsttag. Christus hat ihnen alles offenbart. Welche Lebenskraft, welcher Mut, welche Energie könnte ihr Leben erfüllen. Stattdessen verharrten sie in Passivität und Resignation - nach Ostern und vor dem Pfingstfest. Sie hatten sich zurückgezogen ins Obergemach aus Angst vor den Juden. Sie wussten nicht weiter.

Da war keine Spur einer geisterfüllten, kraftvollen Kirche. Aber dann kam das Pfingstfest: Die gleichen Jünger, die sich so ängstlich zurückgezogen hatten, machten sich auf den Weg. Die gleichen Jünger, die nicht mehr weitersahen, entwickelten eine großartige Perspektive. Die gleichen Jünger, denen es die Sprache verschlagen hatte, verkünden das Evangelium in allen Sprachen dieser Welt. Christi Geist hatte ihnen eine neue Wirklichkeit erschlossen, seit Pfingsten lebten sie in einer neuen Welt, in der Welt der wirkmächtigen Gegenwart des Geistes Gottes. Seit Pfingsten lebten sie anders, von Gottes Geist erfüllt, schöpferisch und glaubenstreu.  Der Geist Gottes war ihnen geschenkt und hatte alles in ihrem Leben verändert. Ihre Angst und ihre Not waren Zuversicht und Mut gewichen. Sie, die sich zurückgezogen hatten, brachen nun auf. Sie, die sprachlos waren, verkündeten nun in allen Sprachen das Evangelium. Dies alles hatten sie nicht gemacht, es war ihnen von Gottes Geist geschenkt. Und dennoch berichtet die Heilige Schrift von vier Haltungen, in denen sich die Jünger dem Heiligen Geist öffneten, durch die sie gleichsam offene Portale für den Geist Gottes in ihrem Leben wurden.

Wie kam es dazu, dass die Jünger den Geist Gottes als lebendige Wirklichkeit in ihrem Leben erfahren haben?

1.    Eine erste Beobachtung: Von den Jüngern heißt es in der Apostelgeschichte, dass sie blieben. Bleiben steht heute nicht hoch im Kurs. Solange etwas wunderbar läuft und ich begeistert bin, solange wir Applaus erhalten und keine großen Schwierigkeiten auftreten, bleiben wir gern. Aber wenn es alltäglich wird, wenn die Belastungen steigen, wenn ich mit Gegenwind leben und arbeiten muss, wenn ich viel Kritik erfahre und nicht mehr weiter weiß, dann geben viele Menschen auf: Beziehungen, Aufgaben, Verantwortlichkeiten. Verbindlichkeit liegt da nicht hoch im Kurs. Ich bleibe lieber unverbindlich, ungebunden und damit angeblich frei. Das gilt für viele Aufgabenfelder genauso wie für menschliche Beziehungen und auch für das Gottesverhältnis.
Doch so kann Beziehung zu den Menschen und auch zu Gott nicht wachsen. Alles Große braucht das Bleiben, das Aushalten, die Geduld. Der Mensch ist beispielsweise schnell verliebt, aber Liebe muss wachsen, sich bewähren, sich bewahrheiten. Im Sakrament der Ehe nehmen sich zwei Menschen Zeit, ein Leben lang zu lernen, sich zu lieben. Schneller geht es nicht. Es braucht die Geduld, die Bewährung, es braucht das Aushalten und Ertragen, auf jeden Fall aber die Treue. Alles Große im menschlichen Leben braucht den langen Atem, um zu wachsen. Das gilt auch für den Glauben. Er ist ein lebenslanger Lernprozess, der immer wieder neu reifen muss.
Als Christ zu glauben bedeutet etwas anderes, als esoterisch sich seine partiellen Glaubensinhalte stets neu zusammenzusuchen. Die Jünger hielten am Glauben fest, auch in Stunden, als ihre Begeisterung verflogen war und Schwierigkeiten sie belasteten. Sie waren vom Kreuz weggelaufen, aber sie hatten daraus etwas gelernt: Glauben bedeutet Festhalten und Feststehen. Deshalb braucht er den langen Atem und die Geduld  und das Bleiben. Gerade heute, wo so viele Menschen sich vom Glauben, von Gott und der Kirche abwenden, gerade heute, wo gläubige Menschen nicht mehr den großen Beifallssturm für den Glauben in ihrer Umgebung spüren. „Bleibt in mir, dann bleibe ich in euch“ (Joh. 15,4 ). So fordert Jesus seine Jünger im Johannesevangelium auf. 

2.    Die zweite Haltung der Jünger: sie blieben zusammen. Sie trennten sich nicht in die Vereinzelung. Als Gemeinschaft wurden sie stark. In ihrer ganzen Unterschiedlichkeit stärkten und ergänzten sie sich, hielten aber auch einander aus. Der Andere und seine Eigenheiten wurden so zur Bereicherung und nicht zur Bedrohung.
Als Kirche sind wir eine Gemeinschaft von Menschen, denen unterschiedliche Gnadengaben füreinander geschenkt worden sind. Es ist eine große Tragik und Schuld, wenn Kirche sich spaltet oder Gemeinden auseinandergehen. Wir verlieren in der Trennung den Reichtum der Schwestern und Brüder und wir verlieren den Zugang zur Fülle des Geistes Gottes, so wie er den Jüngern in ihrer Gemeinschaft und in ihrem Zusammenbleiben geschenkt wurde.

3.    Die dritte Haltung der Jünger: Sie beteten um Gottes Geist. Wer betet, der rechnet mit Gott, der weiß, dass er in der Gegenwart Gottes lebt und dieser Gott in seinem Leben Wunder vollbringen kann. Beten heißt, Gott ernst nehmen: Gott, der mir alles geschenkt hat und alles schenkt, Gott, dem deshalb mein Dank gilt, Gott, dem ich mich anvertraue, an dessen gutem Herz ich mich berge. Gott, von dem ich mich führen lasse, der mir zum Maßstab und zur Richtschnur meines Lebens wird. Gott, der in Jesus Christus an meiner Seite geht und in dessen Geistesfülle ich lebe. Wer betet, atmet diese Kraft Gottes gleichsam ein. Wer aufhört zu beten, baut dagegen nur auf sich, überfordert sich, setzt sich unter einen nicht zu erfüllenden Leistungsdruck, macht gewissermaßen aus sich selbst einen Gott, von dem er alles erwartet. Wer betet, weiß um seine Schwachheit und Grenzen, aber auch um die alles heilende und erfüllende Kraft Gottes, der er sich öffnet und anvertraut.

4.    Die vierte Haltung der Jünger: Sie brachen auf. Die Jünger nahmen Christus beim Wort. Er hatte doch gesagt, dass er alle Wege ihres Lebens mit ihnen geht. Dass Gott mit uns geht, kann nur der erfahren, der sich auf diese Fahrt mit Gott einlässt, wie es das deutsche Wort „er-fahren“ ausdrückt. Alles Große im menschlichen Leben werden wir nur erfahren, wenn wir los-fahren, wenn wir uns auf den Weg machen. Man kann stundenlang über die Liebe reden. Was es bedeutet zu lieben erfährt aber nur der, der wirklich liebt. Man kann stundenlang über die Kirche sprechen, aber was sie wirklich ist, erfährt nur der, der in ihr lebt. Man kann ewig über den Glauben an Gott diskutieren, die Kraft Gottes aber wird nur der erfahren, der mit ihm lebt. Es braucht den Mut des Aufbruchs, den Mut, es mit Gott zu versuchen, den Mut, Gottes Geist ernst zu nehmen und im Vertrauen auf ihn seinen Weg mit ihm zu gehen. Glauben bedeutet nicht in erster Linie ein Bejahen von Lehrsätzen, sondern ein Gehen und immer wieder Aufbrechen mit Gott. 

Die Jünger sind geblieben, sie blieben zusammen, sie beteten und sie brachen auf. Das war der Weg der Jünger, sich Gottes kraftvollem Wirken zu öffnen. Diese Haltung führte sie zum Pfingstfest, zu einem ganz neuen, weiten, befreiten Leben in der Gegenwart Gottes.
Von Herzen wünsche ich Ihnen, sehr geehrte Hörerinnen und Hörer, diesen Mut auf dem Weg zur Erfahrung des Heiligen Geistes. Bleiben Sie im Glauben treu, auch wenn es manchmal schwer wird. Bleiben Sie zusammen in der Kirche, auch wenn Ihnen manches in dieser Kirche missfällt. Hören Sie nie auf, mit ehrlichem Herzen zu beten, auch wenn Sie von Gott nicht gleich eine sichere Antwort erfahren! Wagen Sie es, aufzubrechen und an der guten Hand Gottes mit ihm Ihr Leben zu gestalten. Gottes Geist ist da! Geben Sie ihm in Ihrem Leben eine Chance!"



Mit freundlicher Genehmigung:
Katholische Hörfunkarbeit für Deutschlandradio und Deutsche Welle, Bonn
www.dradio-dw-kath.eu



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