"Wir verkleiden uns nicht"

Rund 1000 Osterreiter verkünden am Ostermorgen die Auferstehung - ein Ritt zwischen Bekenntnis und Folklore

 Foto: Samuel-Kim Nguyen

Die Familie ist für David Statnik ein entscheidender Faktor für die Bewahrung des Sorbischen.

Ralbitz/Kamenz, 26.03.2013 (KPI): „Es war ein holpriger Ritt nach Wittichenau“, erinnert sich der 29-jährige David Statnik an sein erstes Osterreiten. „Es war ungewohnt, auf dem Pferd zu sitzen, zumal meine ‚Bella’ so sensible Hinterläufe hatte, dass sie sich mit ihrem eigenen Schwanz ständig kitzelte und dementsprechend ausschlug.“ Dieses Jahr verkündet Statnik zum 15. Mal die Botschaft von der Auferstehung Jesu zu Pferd. Mit Gesang und Gebet reitet der junge Sorbe am Ostersonntag mit rund 1000 anderen Osterreitern durch die Lausitz. „Osterreiten ist authentisch“, schwärmt Statnik und rutscht auf dem Sofa ganz nach vorne. „Es ist keine kommerzielle Folklore, ich reite nicht zur Schau, sondern es ist mein Bekenntnis als Katholik und als Sorbe.“ Man merkt, beides ist dem gebürtigen Ralbitzer sehr wichtig. Wenn die sorbischen Männer in ihren schwarzen Gehröcken und ihrem feierlichen Zylinder am Ostermorgen auf das Pferd steigen, ist das keine Kostümierung: „Wir verkleiden uns nicht, sondern bringen durch die Kleidung die Freude und Feierlichkeit des Osterfestes und unseren Glauben zumAusdruck.“

Ab Weihnachten wird an das Osterreiten gedacht und das Pferdegeschirr überprüft.

Ab Weihnachten wird an das Osterreiten gedacht und das Pferdegeschirr überprüft.


Heimat und Tradition sind sehr wichtig

 

Für den Mann mit den kurzen, stoppeligen, blonden Haaren, dem frechen Kinnbart und der markanten schwarze Brille gibt es eine eigene Zeitrechnung: „Wir bauen das Jahr zwar nicht um, aber rechnen tun wir schon ein bisschen mit Ostern, denn da fängt das Jahr so richtig an.“ Wenn er spricht, wirkt er älter: ernst, ruhig und konzentriert formuliert er seine Sätze. Mit knapp 30 Jahren hat er es schon weit gebracht: er ist nicht nur Kreuzträger bei den Ralbitzer Osterreitern, sondern auch seit vergangenem Sonnabend erneut Vorsitzender der Domowina. In diesem Amt vertritt er die Anliegen von 60 000 Sorben in Politik und Gesellschaft. Der Name „Domowina“ ist ein Wortspiel aus dem Ober- und Niedersorbischen, übersetzt steht er für „Heimat“.

Heimat und Tradition sind sehr wichtig für die Identität einer Minderheit. „Identität muss man immer dann wahrnehmen, wenn die Gefahr besteht, dass man sonst untergeht“, erklärter sachlich das Nationalbewusstsein der Sorben, das Deutsche manchmal die Stirn runzeln lässt. „Natürlich fallen wir auf, wir sind es gewohnt, uns von klein auf als Sorben zu bekennen.“ Aus seiner Sicht ist viel Aufklärung notwendig, sowohl in der deutschen Umgebung, als auch bei den Sorben selbst. Erst dann könnten Verständnis und Anerkennung wachsen. Bei Familie Statnik zu Hause wird nur sorbisch gesprochen. Deutsch lernen die Kinder von Freunden, aus dem deutschen Umfeld oder vor dem Fernseher. Über die Sprache soll auch die Identität gestärkt werden.

David Statnik ist Kreuzträger beim Osterreiten

Der 29-jährige David Statnik ist Kreuzträger beim Osterreiten und Vorsitzender des sorbischen Dachverbandes Domowina (Foto: Peter Raab)


Osterreiten ist etwas für die ganze Familie

    

Wenn Papa David Statnik seinen kleinen Matej fragt, ob er später auch einmal ein Osterreiter werden möchte, nickt er nur ehrfürchtig und bekommt große Augen, wie sie nur 4-jährige bekommen, wenn es um ihre großen Vorbilder geht. Die Familie ist für Statnik ein entscheidender Faktor bei der Bewahrung des Sorbischen. Mit seiner ebenfalls sorbischen Frau und den beiden Kindern wohnt er im Elternhaus. Zwischen den Generationen läuft es gut, „es geht nach dem Prinzip Großfamilie.“ Gerade das Osterreiten hat bei Familie Statnik eine große Tradition: „Osterreiten ist etwas für die ganze Familie. Jeder hat seine Aufgabe. Die Männer putzen das Geschirr und die Stiefel, und die Frauen kümmern sich um die Textilien, besonders um die Schabracke, den Gehrock und natürlich den Zylinder. Die Schwanzschleife muss zusammengesteckt werden, da kümmert sich meine Mutter drum.“ Statnik beschreibt das Osterreiten als einen christlichen Brauch, der sowohl die Gemeinschaft unter den Osterreitern, als auch die der Familie stärkt. Ab Weihnachten wird Ostern gemeinsam vorbereitet und dann auch gemeinsam gefeiert. Liebevoll erklärt und zeigt Papa Statnik seinen zwei Kindern alles, was wichtig zum Osterreiten ist. Beispielsweise das wertvolle Schmuckgeschirr, das jedes Jahr gereinigt werden muss. Scherzhaft verrät er: „Viele denken, dass die Muscheln mit einer Zahnbürste saubergemacht werden müssen, aber es reicht auch Wasser ‒ danach ein bisschen Öl für das Leder.“

„Viele denken, dass die Muscheln mit einer Zahnbürste saubergemacht werden müssen, aber es reicht auch Wasser und danach ein bisschen Öl.“

„Viele denken, dass die Muscheln mit einer Zahnbürste saubergemacht werden müssen, aber es reicht auch Wasser - danach ein bisschen Öl für das Leder“



Ostern ohne Reiten ist nicht vorstellbar


Natürlich geht beim Osterreiten auch mal etwas schief, die größte Sorge für die Reiter ist aber das Wetter. „Am schlimmsten ist peitschender Regen“, schildert Statnik seine Erfahrung. Das ist nachvollziehbar, denn die Osterreiter tragen weder warme Schals noch dicke Regenjacken. Allen Widrigkeiten zum Trotz möchte sich David Statnik ein Ostern ohne Reiten nicht vorstellen: „Es wäre wie wenn man für ein Kind Weihnachten ausfallen lassen würde.“ Mit einem Siegerlächeln fährt der gelernte Bühnenmeister fort: „Ich konnte mich zum Glück die letzten 12 Jahre mit meinem Arbeitgeber so einigen, dass ich Ostern frei hatte.“

Das schönste Osterreiten war für ihn vor fünf Jahren – das erste Mal nach seiner Hochzeit. „Wenn man von der eigenen Frau und den Eltern zu Hause erwartet wird, dann hat das auch etwas mit ein bisschen Anerkennung und Ehre zu tun.“

Nach einem kurzen Zögern setzt er aber gleich nach: „Schön ist es eigentlich jedes Jahr, denn jedes Jahr kommt man nach Hause.“ Dort erwartet ihn eine Atmosphäre von Dankbarkeit und Stolz über die glückliche Rückkehr. Ausgedrückt wird es mit zwei ganz einfachen, aber traditionsreichen Worten: „Witajće domoj – Willkommen zu Hause!“


Text/Fotos: Samuel-Kim Nguyen

 



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