Predigt zum 100. Geburtstag von Prälat Hermann Scheipers

von Weihbischof em. Friedrich Ostermann, Münster, am 28. Juli 2013

Prälat Scheipers vor dem Märtyreraltar in der Dresdner Kathedrale(Foto: Prälat Hermann Scheipers im Juni 2011 vor dem Märtyreraltar in der Dresdner Kathedrale)


Die Predigt, die Weihbischof em. Friedrich Ostermann, Münster, beim Pontifikalamt zum 100. Geburtstag von Prälat Hermann Scheipers in der St. Lamberti-Kirche in Ochtrup am 28. Juli 2013 gehalten hat, können Sie hier nachlesen:


Lieber Herr Prälat,
liebe Familie Scheipers,
Schwestern und Brüder im Herrn!

100 Jahre - 1913 bis 2013 - das ist nicht nur ein langes Leben, sondern ein sehr bewegtes Leben. Welten gingen unter, Welten begannen neu. Bestimmt die 100 Jahre durch ein unendliches Ringen. 1913/1918 hörten Sie, Herr Prälat, noch das Lied vom Kaiser, der ein lieber Mann ist, in Berlin wohnt. Man ging noch zu ihm hin, wenn es nicht so furchtbar weit wäre. Das war aber nur noch kurze Zeit. Und dann gingen 1000 Jahre Deutscher Geschichte zu Ende. Wir können es uns gar nicht mehr richtig vorstellen, was das damals bedeutete. Da brachen Welten zusammen und wo haben wir noch einen Halt. Wohin soll es gehen? Deutschland war ein einziges Chaos. Wenn ich Sie, Familie Scheipers, jetzt besonders begrüßt habe, dann deswegen, weil dort in Ihrer Familie noch eine feste Basis war. Eine Basis der Frömmigkeit und des Glaubens.

So gab es eine Grundorientierung in all dem Chaotischen der damaligen Zeit. Und der Prälat erzählt selbst, dass ihm der Schülerbund „Neu Deutschland“ sehr viel bedeutet hat. Dort wurde der Glaube vertieft, denn auch der Glaube war im Umbruch. Da ging manches nicht mehr so wie früher und dann war dort die liturgische Bewegung, die neue Wege ging. Die aber uns sehr viel Kraft gab. Es gab die Bibelbewegung, die ebenfalls den Glauben neu sehen wollte. Die waren nicht sehr beliebt
in der Kirche, aber sie sind ihren Weg gegangen, und sie haben geholfen, dass ein neuer Weg gegangen werden konnte.

Aufbruch war gegeben und Sie wurden Priester in dieser Zeit, weil Sie letztlich dem Reich Gottes dienen wollten. Nicht dem Reich des Mammons, nicht dem Reich des Nationalstolzes, nein dem Reich Gottes wollten Sie dienen. Und damit war klar, schon die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus war vorgegeben. Und so wurden sie auch von denen für einen gehalten der fanatisch am Katholischen festhielt, der darum eine Unruhe bringen kann in die Gesellschaft und darum sei die Schutzhaft in Dachau der einzig sichere Weg Sie kurz zu halten. Sie hatten ein klares Ziel in all den Wirrnissen, hatten Wurzeln im Glauben der Familie und nicht zuletzt eben auch im ND. Und so wagten Sie ihren Weg weiterzugehen. Sie wagten es trotz der Verbote polnischen Christkatholiken die Hl. Messe zu feiern und damit war Ihr Schicksal besiegelt. 4 ½ Jahre Konzentrationslager. Sie haben es bewältigt mit einem riesen Gottvertrauen und das Gottvertrauen hat sie nie enttäuscht. So aussichtslos auch die Situationen erschienen, immer wieder gab es ein neues Licht. Neues Licht in einer schrecklichen Zeit. Gottvertrauen, das stand auf Ihrer Fahne, und vielleicht auch
die Liedstrophe, die Sie als Jugendlicher bestimmt auch gesungen haben, wie ich: „Wir sind zur Freud geboren und nicht zum Trauern hier. In Traurigkeit gehn wir verloren, in Freude singen wir.“ In Freude singen wir, genau das ist dann auch geschehen. Weil Sie die Freude an Gott, die Freude an der Schöpfung auch in den schrecklichen Zeiten des KZ’s nicht verloren haben.

Und Sie haben den Glauben in einer Tiefe erfahren dürfen, wie es für keinen von uns, glaube ich, so gegeben war. Sie schreiben es in Ihrem Buch. Ostern im KZ. Ringsum sterbende, leidende Menschen. Menschen in äußerster Not mitten im selben Raum. Da wurde das Osterevangelium verkündet. Die Auferstehung von den Toten, der Sieg des Gekreuzigten. Das hat Sie niemals verlassen. Wir alle haben so etwas nicht erlebt und darum ist unser Glaube auch so oft ein Glaube auf leisen Sohlen. Der niemanden bewegt und der auch uns selbst nicht richtig ergreift, in seiner wunderbaren Botschaft der Freude: Die Liebe ist mächtiger als der Tod. So waren es nicht nur das klare Ziel sich für Gottes Reich einzusetzen, was Ihnen Halt und eben auch das entscheidende Gottvertrauen und diese schlichte Frömmigkeit, die Ihr Herz ergriffen hat.

Die eine Diktatur hatten Sie durchstanden und überwunden, der Krieg war zu Ende. Aber Sie waren ja Priester, nicht des Bistums Münster, sonders des Bistums Bautzen und da war es für Sie klar: Dahin gehöre ich. Und alle haben Ihnen geraten: Bleib doch hier. Aber Sie sagten: Da gehöre ich hin. Und dann haben Sie sich wieder in all die Schwierigkeiten mit einer anderen Diktatur ausgesetzt. Das scheint menschlich gesehen ganz töricht gewesen zu sein. Aber für Sie war es wichtig, Gottes Reich Ihren Christen im Osten neu zu verkünden, durchzuhalten, ihnen zu helfen. Und Sie waren jetzt auch gleichzeitig derjenige, der sich nicht umgarnen lies von den Sozialisten, von der DDR, nein, Sie gingen Ihren eigenen Weg wieder.

Mit viel List und Klugheit wussten Sie sich allem zu entziehen, wo vielleicht Ihre Haltung für die Gläubigen hätte in Frage gestellt werden können. Nein, es war immer klar und mit viel List haben Sie dann auch immer neue Wege gefunden.

Sind das nicht die Maßsteine oder Merkposten, die wir für unsere Zeit vom Jubilar übernehmen sollen? Denn wir sind ja wieder in einer Zeit gewaltiger Umbrüche. Und wie sollen wir dann den Weg finden in dieser chaotischen Welt, die für uns wieder chaotisch geworden ist?

Ich glaube als erstes müsste uns klar sein, dass wir in einer Welt leben, die von Natur aus mit Gott nichts zu tun haben will. Und das wir so den Weg des Gottvertrauens gehen wollen in dieser unserer Zeit. Dass das Ziel klar vor Augen stehen muss, was wir wollen. Wir wollen eine menschliche Welt im Lichte Gottes. Nicht nur mit dem guten Herzen, hilfreich sei der Mensch gütig und gut, nein dass hat’s nicht gebracht. Goethe hilft da nicht weiter. Und wird auch weiter nicht helfen, wenn wir nicht letztlich unseren Glauben verwurzeln in der grenzenlosen Macht und Liebe Gottes. Das neue Reich, die neue Welt, die wirklich neue Welt kann nur durch Jesus Christus Wurzeln schlagen. Wir haben es gehört in der Taufe sind wir gestorben und auferstanden zu einem neuen Leben. Unterscheidet sich unser Leben, denn von dem der anderen, die nicht getauft sind, mit der Kirche nichts zu tun haben, ist es nicht oft sehr ähnlich ohne den Unterschied mit all den Streitereien, mit all dem Jagen nach Wohlstand, nach noch mehr Geld. Ja, wir sollen es nüchtern sehen: Das Ziel vor Augen, das Reich Gottes, das Reich des Friedens, die frohe Botschaft und dann ein tiefes Gottvertrauen.

Was sind wir für eine jammernde Kirche. Überall nur ein Stöhnen und Jammern, weil es nicht mehr so ist wie früher, statt zu sagen: Herr, was willst du jetzt in dieser Stunde? So wie es Prälat Scheipers immer wieder getan hat. Was willst du jetzt von mir? Und er hat diese Antwort immer wieder neu gefunden. Sie muss auch immer wieder neu gefunden werden. Und dann trifft glaub ich das Wort Jesus in solchen schwierigen Situationen sehr genau zu, wenn er uns sagt: Seid einfältig wie die Tauben und klug wie die Schlangen. Einfältig wie die Tauben - das bedeutet ganz einfach, dass ich glauben kann, vertrauen kann. Dass ich mich dem Größeren hingebe, der größeren Wirklichkeit Gottes, der wie wir heute gehört haben, in der Gebetsanweisung des Herrn, der unser aller Vater ist. Das ich auf diesen Vater vertraue und dann die nächsten Schritte tue. Das ist etwas Einfältiges. Das wird dann alles zerredet bis zum Letzten und am Schluss ist nichts mehr da. Nein, einfach zu glauben, du bist unser Vater, du bist mein Vater und du bist wirklich bei mir, bis ans Ende der Welt. Aber das allein genügt nicht. Das hat uns der Prälat vorgelebt. Du musst doch auch brav sein, du musst klug sein. Du musst die Situation richtig einschätzen. Und was gilt es da nicht zu beachten in unserer Zeit. Ich meine, dass wir es zunächst einmal ernst nehmen müssen, damit. Für unseren Wohlstand opfern wir unenddlich viel Menschlichkeit. Der Wohlstand setzt uns alle unter Druck, unter Leistungsdruck. Und lässt uns ängstlich werden um Arbeitsplatz und was sonst alles kommen kann an Entwertungen und vieles andere mehr. Nein, so geht es nicht. Mit dem Leistungsdruck können wir nicht leben. Das ahnen wir. Wir müssen einen anderen Weg gehen, einen Weg, der mitten in dieser Welt auch dann die rechte Spur findet. Wir werden unseren Wohlstand nicht aufgeben wolle. Und ich meine sagen zu dürfen: Es ist auch gut so. Aber wir dürfen dabei nicht die ganze Menschlichkeit opfern. Das wir keine Zeit mehr füreinander haben und keine Zeit mehr für Gott. Professor Metz hat das auf die einfache Formel gebracht: Die kürzeste Definition für Religion ist nach unserer Zeit die Unterbrechung. Heute haben Sie, vielleicht auch immer, das weiß ich nicht, dieses furchtbare Teufels- oder Hamsterrad verlassen. Sie haben es unterbrochen. Sie sind hierher gekommen zur Feier, zur Feier der heiligen Messe. Aber diese Unterbrechung haben wir alle nötig, damit wir Menschen bleiben, sonst rotieren wir immer mehr.

Die Klugheit hat letztlich auch den Prälaten gerettet. Sein Gottvertrauen, seine tiefe Gläubigkeit und auch seine Klugheit. Und entscheidend natürlich das klare Ziel vor Augen. So hat er uns in diesen 100 Jahren seines Lebens, glaube ich, wenn wir genau zu sehen, eine wunderbare Antwort gegeben auf unsere bedrängenden Fragen. Wir brauchen uns nur sein Leben anzuschauen und wir können wissen, wie es weitergehen kann. Dafür, lieber Herr Prälat, möchte ich Ihnen an diesem Tag von ganzem Herzen danken. Denn alles das war lebendiges Zeugnis von der Kraft des Glaubens, von der Macht der Liebe.

Und nun möchte ich noch eines anschließen:
Im Fernsehen werden oft Berichte gezeigt von der ganzen Judenverfolgung, von der Verfolgung der Polen, von diesem furchtbaren Unrecht, was wir Deutschen über die Welt gebracht haben. Es war ja 1945 niemand mehr, der Nazi gewesen ist. Die waren gar nicht mehr da. Aber die große Mehrheit war es doch gewesen. Und wenn ich das alles sehe, was wir der Menschheit angetan haben, wir Deutschen, dann frag ich mich immer: Wieso kann es uns heute so gut gehen? Ist die heutige alttestamentliche Lesung nicht vielleicht die Antwort? Dass es in all der Gewalt und all dem Unrecht noch einige Gerechte gegeben hat. Dass Gott sich das abhandeln lässt. Und wenn nur noch zehn da sind, werde ich Sodoma und Gomorra nicht umbringen. Und wir waren mehr als zehn. Das kann man sagen. Aber diese Wenigen, und es waren wenige, was wir ja auch nicht wahrhaben wollen. Wir waren wenige. Um dieser wenigen willen geht es uns heute so gut, trotz unseres ungeheuren Unrechts, was wir über die ganze Welt gebracht haben. Herr Prälat, zu diesen Gerechten gehören auch Sie. Und auch dafür möchte ich Ihnen ganz besonders danken. Seien Sie uns ein Wegweiser, ein lebendiger Wegweiser in die Zukunft. Danke schön und Gottes Segen.

Weihbischof em. Friedrich Ostermann, Münster/Westf.




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