Im Kleinbus der Zukunft auf der Spur

Ein pastoraler Erkundungsprozess soll die Gemeinden auf neue Wege führen

Seit März hat Bischof Koch in 55 Tagestouren die einzelnen Regionen seines Bistums besucht. Alle kirchlichen Einrichtungen wurden dabei besichtigt, Gespräche mit den Mitarbeitern und Pfarreivertretern geführt. Die Idee: den Ist-Zustand der Gemeinden erkunden und gemeinsam mit den Gläubigen den Blick in die Zukunft richten. Als eine der letzten Regionen stand nun die Sächsische Schweiz auf dem Programm.

Den ganzen Tag über hatte die Sonne mit schönstem Spätsommer-Wetter geglänzt. Doch als sich im Anschluss an die Bischofsmesse in der Pirnaer St. Kunigunde-Kirche rund dreißig Männer und Frauen im Gemeindesaal der Pfarrei an langen Tischreihen zusammensetzen, um über die Zukunft der katholischen Kirche in der Sächsischen Schweiz zu beraten, bricht ein Donnerwetter los. Dunkle Wolken türmen sich am Himmel, Blitze zucken, Regen prasselt aufs Pflaster vor dem Haus.

Der Bischof ergreift das Wort. „Wenn Sie an die Kirche in ihrer Region denken: worin sind Sie stark? Was läuft gut hier?" Es dauert, bis die Menschen am Tisch munter werden. Aus einem halben Dutzend Gemeinden sind sie zusammengekommen. Von Stolpen bis Sebnitz, von Bad Schandau bis Pirna. Einige Pfarrer sind darunter, der Dekan, eine Ordensschwester, eine Gemeindereferentin, die Leiterin eines christlichen Kindergartens, Pfarrgemeinderatsverantwortliche, Caritasmitarbeiterinnen, ehrenamtliche Helfer.

„Das Miteinander, die gegenseitige Hilfe", sagt schließlich ein Pirnaer und erinnert an den Zusammenhalt beim letzten Hochwasser, auch über die Grenzen der kleinen katholischen Gemeinde hinaus. „Der Zusammenhalt zwischen alt und jung", meint ein junger Stolpener. „Die Rentner funktionieren noch, eine echte Stütze der Gemeinde." Die ökumenischen Aktionen werden genannt. Martinszug, Sternsinger.

Wie nehmen uns die Menschen außerhalb wahr?

Der Bischof fragt weiter: „Ohne Vorwürfe: wo erleben wir Mängel? Wo sind wir schwach?" Und: „Die Menschen, die keinen Kontakt zu uns haben: nehmen die uns wahr? Und wenn ja: wie?" Es sind die gleichen Fragen, mit denen Heiner Koch seit Monaten immer wieder durch sein Bistum reist. Zusammen mit seinem Generalvikar und seinen Hauptabteilungsleitern der Bereiche Pastoral, Personal, Caritas und Finanzen versucht er, sich einen Überblick zu verschaffen, wie die Kirche im Bistum Dresden-Meißen fit werden kann für die Herausforderungen der Zukunft.


In Königstein begutachtete die Gruppe um Bischof Koch die Filialkirche Mariä Unbefleckte Empfängnis. Fotos: Michael Baudisch

In Königstein begutachtete die Gruppe um Bischof Koch die Filialkirche Mariä Unbefleckte Empfängnis. Fotos: Michael Baudisch


Auch heute war die sechsköpfige Gruppe seit dem Morgen im Kleinbus in der Region unterwegs. Und hatte dabei die typische Bandbreite katholischen Lebens in der sächsisch-thüringischen Diaspora vorgefunden. Da war der lebhafte Kindergarten mit seinem großzügigen Freigelände, in dem die Leiterin nie genügend freie Plätze hat, um allen Interessenten gerecht zu werden. Das gepflegte Pfarrhaus. Die hübsche Bergkapelle. Die florierende Caritas-Familienerholungsstätte.

Aber die Busbesatzung sah auch die angegraute Pfarrkirche, die trotz bescheidener Ausstattung aus Angst vor Dieben und Zerstörungswut nur noch selten aufgeschlossen wird. Die Gemeinde, in der schon lange kaum noch Kinder gesehen werden und in der der Pfarrer in aller Regel ohne Messdiener am Altar steht. Und den Gottesdienstraum in dem viel zu groß bemessenen ehemaligen Gasthof, von dessen leerstehenden Räumen niemand genau sagen kann, wie ihr Erhalt gesichert und Leben einziehen könnte. „Burgstadt mit Geist" wirbt der Slogan an der Ortseinfahrt. Doch ob hier auch der Geist Gottes wehen kann?

Weniger ist manchmal mehr

Beobachtungen, die den Dresdner Bischof umtreiben. Er möchte auf diesen Fahrten erkunden, „was Gott von uns will". Und er hat sich eine erste Vorstellung davon gemacht. Von „Qualität vor Quantität" spricht er. „Aber die erste Frage ist nicht: was schließen wir? Sondern: wie kommen wir den Menschen nahe?" Dass eine Konsequenz dieser Frage allerdings auch bedeutet, sich von Liebgewordenem zu lösen, ausgetretene Pfade zu verlassen, wird nicht nur den Katholiken in Pirna schnell klar und hinterlässt Unbehagen auf manchem Gesicht.

„Es gibt Dinge, die wir sterben lassen müssen", sagt Heiner Koch dazu. „Es kann auch ein Zeichen unseres Glaubens sein, loslassen zu können. Und: manche Rahmenbedingungen werden wir nicht ändern können. Nehmen sie das Beispiel der Überalterung einiger Regionen. Wenn Sie versuchen, dagegen anzukämpfen, machen Sie sich nur kaputt."

Während draußen das Unwetter niedergeht, bleibt die Atmosphäre im Pfarrsaal gelassen. Jedem im Raum ist klar: ein einfaches Weiter-so hilft niemand.

Vernetzen und eigene Schwerpunkte finden

Abende wie dieser bilden den Abschluss jeder Besuchsreise des Bischofs in die Regionen seines Bistums. Gesprächsprozesse will der Bischof dabei in Bewegung bringen. Vom hauptamtlichen Mitarbeiter bis zum engagierten Kirchgänger sollen sich die Menschen gemeinsam umsehen, was an katholischem Leben in ihrer Heimat vorhanden ist. Wo Verknüpfungspunkte geschaffen werden können. Wo miteinander ein Aufbruch beginnen und einsames Erstarren verhindert werden kann.

Die Schwerpunkte dabei möchte der Bischof nicht vorbestimmen. Ob Erzgebirge oder Vogtland, ob Leipzig oder Chemnitz, ob Oberlausitz oder Altenburger Land – das Gebiet seines Bistums ist zu unterschiedlich, als dass es eine einheitliche Lösung für alle geben könnte. Doch das, wofür sich die Gemeinden entscheiden, sollen sie mit Leidenschaft tun.

Die Kirchenleute stärken sich an frisch gestrichenen Fettbemmen, die fleißige Hände liebevoll mit Essiggurke und frischen Kräutern dekoriert haben. Jemand hat aus seinem Obstgarten eine Schale Pflaumen und Äpfel mitgebracht. Fruchtsaft steht bereit. „Eine Gemeinde ist eine träge Masse. Die bewegt sich nicht so schnell. Was sollen wir machen, wenn die Leute sich selbst genügen, wenn sie nicht nach draußen gehen wollen?", wirft die Gemeindereferentin ein. „Wir wollen nicht dazu da sein, Kirchen zuzumachen", sagt ein Pfarrer. Und: „Es ist soviel Arbeit. Wir müssen die Freude wiederfinden statt des Gefühls: wir sind die letzten." Hinweise, die der Bischof immer wieder hört. Am einen Ort heißt es „die A4 trennt uns mehr als uns eint." Andernorts „die Elbe ist eine Grenze. Was will ich dort drüben?" Oder: „Wenn ein Pfarrer klemmt wie 'ne alte Kirchentür, dann bewegt sich auch nichts."

Der Versuch zählt

„Ich habe kein Problem damit, wenn etwas nicht klappt. Das ist nicht schlimm. Aber es gar nicht erst zu versuchen, das ist schlimm", sagt Bischof Koch dann. Und wenn es in Zukunft tatsächlich weniger Kirchen geben sollte, dann sollen wenigstens diese echte Gotteshäuser sein, die ausstrahlen. „Da kann mal stille Anbetung sein, mal Musik, mal trifft man sich auf eine Tasse Kaffee. Die Leute sollen herkommen und sagen: ‚Es ist schön hier.' Gotteshäuser, die leben."

Zwei Stunden sind vergangen, als die katholische Runde in Pirna zu Ende geht und die Menschen aufbrechen in die nächtliche Stadt. Der Regen ist geblieben. Aber er fühlt sich etwas weniger trostlos an.

Text/Fotos: Michael Baudisch



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