Predigt von Erzbischof Dr. Heiner Koch bei seiner Verabschiedung als Bischof des Bistums Dresden-Meißen

am Fest Mariä Geburt, 8. September 2015, in der Kathedrale Dresden

Erzbischof Dr. Heiner Koch

Wenn ein Kind geboren wird, dann liegt über seiner Geburt eine große Spannung:
Was wird dieses Kind in seinem Leben erfahren, wie wird sein Leben verlaufen, in welche Zeit wird es hineingeboren?
Wenn ein Kind geboren wird, dann ist dies aber auch immer der erste Schritt auf seinen Tod hin. Keiner von uns weiß, wann ihn diese Stunde ereilt, ob in jungen Jahren oder erst im hohen Alter. Diese Begrenztheit unserer Tage geben jedem Augenblick unseres Lebens eine so große Ernsthaftigkeit: Jede Minute meines Lebens erlebe ich nur einmal. Deshalb ruft mich auch jeder Augenblick meines Lebens in die Verantwortung: Was und wie du jetzt handelst, steht fest für Zeit und Ewigkeit. Jeder Augenblick ist einmalig, ist unwiederholbar, ist deshalb so bedeutend.

Damit steht für jeden Augenblick und für das ganze Leben eine Frage im Raum: Wie soll ich leben, wie diesen Augenblick, diesen Tag, wie mein Leben gestalten? Diese Frage lässt sich letztlich nur vom Ziel des Lebens her beantworten. Wie das Ziel einer Wanderung, so bestimmt das Ziel des Lebens die Art und Weise, wie ich lebe, wofür ich mich einsetze, wie ich meine Tage verantwortlich gestalte. Wenn für mich der Tod das letzte Ziel des Lebens ist, wenn ich glaube, dass es mehr als dieses Leben hier auf Erden nicht gibt, so werde ich versuchen, möglichst nichts zu verpassen, alles mitzunehmen in die kurze Spanne meines irdischen Lebens. Was ich jetzt hier nicht erlebe, erlebe ich nie mehr, was ich hier nicht erfahre, erfahre ich nie mehr. Glaube ich aber demgegenüber, dass mein Leben hineingewoben ist in Gottes Ewigkeit, dass Gott mir dieses Leben anvertraut hat, dass er mich in die Verantwortung dieses Lebens gerufen hat, dass ich es ihm in der Stunde des Todes wieder übergebe, um in Ewigkeit mit ihm zu leben, dann hat mein Leben von der Berufung Gottes her einen tiefen Sinn: Es ist nicht gleichgültig, wie ich mein Leben führe, wofür ich mich einsetze, worauf ich hoffe. Ich werde vor Gott für mein Leben Rechenschaft ablegen.

Doch hat mein Leben solch einen tiefen Sinn? Oder gilt es der Satz von Jürgen Habermas: „Der Sinn ist tot, es leben die Sinne!“ – im wörtlichen wie im übertragenen Sinn: Es leben die vielen kleinen Sinne, etwa einen Schulabschluss zu schaffen, einen Beruf zu erlernen, eine Familie zu gründen, schöne Ferien zu erleben. Und es leben die Sinne! Es lebe das, was mich sinnlich anspricht und mir gut tut, was mich wohlfühlen lässt. Wer so denkt, für den hat ein umfassender Sinn, falls es ihn überhaupt gäbe, keine große Bedeutung

Wie anders lautet da die christliche Botschaft und die Botschaft des Festes Mariä Geburt: Das Leben Mariens hatte einen Sinn, einen ganz einmaligen, nur ihm eigenen Sinn: Maria empfing den nur ihr anvertrauten Auftrag, Mutter Jesu Christi zu werden. Nur sie konnte auf ihre Weise und mit ihren Kräften diese ihre Aufgabe erfüllen. Ihr Lebenssinn aber war eingebunden in einen großen Lebenssinn für den ganzen Kosmos: Johannes beginnt sein Evangelium mit den Worten: „Am Anfang war der Logos“ (Joh 1,1). Das griechische Wort Logos heißt zu Deutsch Wort, aber eben auch Sinn. Von daher ist es richtig, diese Stelle auch zu übersetzen: Von Anfang an hatte alles einen Sinn, war zutiefst sinnvoll.
Alles ist sinnvoll: Wir sind hineingewoben in eine Geschichte der Menschheit, die immer auch Gottes Geschichte ist: Gottes Geschichte mit dieser Welt, mit dem Universum, mit der Menschheit und mit jedem Einzelnen von uns. Im Wirrwarr und manchmal in aller Unerklärlichkeit des Lebens gilt für uns Christen diese Grundbotschaft: Das Leben ist und bleibt sinnvoll, weil hinter allem Gottes Liebe steht. Das heutige Fest bringt es sehr deutlich zum Ausdruck: Der Stammbaum Jesu, der uns heute am Fest der Geburt Mariens aus dem Matthäusevangelium vorgetragen wurde, ist komponiert als eine große Symphonie des Sinns der Geschichte Israels und der Welt. Geschichte ist immer Heilsgeschichte.

Maria hat sich in diesen großen Sinn ihres Lebens und den Sinn des Lebens der ganzen Welt hineingegeben. Obwohl sie vieles in ihrem Leben immer wieder nicht verstanden hat, angefangen von der Botschaft des Engels bis zum Sterben ihres Sohnes am Kreuz: Sie hat ja gesagt, ja gesagt zu diesem Sinn ihrer Geschichte und zu dem von Gott getragenen Sinn der Weltgeschichte.

Hat mein Leben und hat das Leben dieser Welt einen Sinn? Das ist die Grundfrage an jeden einzelnen Menschen, die entscheidend ist für die Prägung und Führung seines Lebens. Jeder Mensch, ausnahmslos jeder muss in dieser Frage seine Glaubensentscheidung treffen, die seine Lebensführung grundlegend prägt. Er kann dabei nicht unentschieden – agnostisch – leben. Denn faktisch lebt er entweder mit oder ohne Gott, er fragt nach Gott oder nicht, er betet oder betet nicht.

Dass der Mensch in dieser Frage seine Glaubensentscheidung treffen kann, macht seine Größe und seine Würde aus. Zu einer Entscheidung aber kann er bewusst nur kommen, wenn er sich der Alternativen seines Lebens in dieser seiner Glaubensgrundentscheidung bewusst ist. Wie aber soll er von der christlichen Lebensalternative erfahren, wenn niemand von ihr zu ihm spricht, wenn niemand ihm das Evangelium verkündet, die frohe Botschaft vom Sinn seines Lebens in Gott. Ohne unsere Verkündigung ist ihm keine Entscheidung möglich. Deshalb ist es so wichtig, dass wir als Christen die Gottesfrage in Sachsen und Ostthüringen hier und heute nicht verstummen lassen, dass wir sie vielmehr durch unser Leben, durch unser Sein, durch unser Tun und durch unser Reden immer wieder präsent werden lassen für alle Menschen und dadurch vielleicht manche aufrütteln. Eine Kirche, die niemanden aufrüttelt, ist überflüssig wie ein Feuerwerkskörper, der nie gezündet wird. Leben wir die christliche Antwort profiliert überzeugend? Merkt man uns an, worauf wir als Christen hoffen? Trägt diese Hoffnung unser Leben mitten in allen Schwierigkeiten und Dunkelheiten dieser Welt und unseres Lebens? Wird in unserer Lebensart deutlich, dass wir nur Gast auf dieser Erde sind und mit mancherlei Beschwerden zur ewigen Heimat wandern? Leben wird aus diesem tiefen Bewusstsein mit allen Konsequenzen, etwa dass bei uns jeder Mensch in all seinen Lebensphasen einen unbedingten Lebenswert hat: Der Gesunde wie der Kranke, das ungeborene Leben wie das sterbende, der in seiner Heimat Lebende wie der Flüchtling und Asylant. Wir dürfen als Christen nie so leben und handeln, als ob es beim menschlichen Leben wertvolles und weniger wertvolles Leben gäbe, sinnvolles und nicht sinnvolles, erhaltenswertes und vernichtbares. Jedes Leben ist bedeutend und wichtig, deshalb gehört die Achtung vor der unbedingten Würde eines jeden Menschen in all seinen Lebensphasen zu einem Grundzug christlicher Überzeugung. Deshalb wehren wir uns auch gegen jegliche Klassifizierung des Lebens. Das ist nicht nur eine Grundaussage für den politischen Bereich, das ist auch eine Grundaussage unseres konkreten Umgehens miteinander in unserem persönlichen Einsatz für den Nächsten und sei es für den fernen Nächsten.

Jedem Menschen ruft das Evangelium zu: Du bist wichtig, du bist groß. Unter den 107 Milliarden Menschen, die bisher auf der Erde gelebt haben, bist du ganz einmalig mit deiner Stärke, mit deinen Grenzen, mit deiner Macht, mit deiner Ohnmacht. Lebe groß, lebe verantwortlich! Lebe verantwortlich vor Gott, der dir dein Leben geschenkt hat und dem du es wieder geben wirst. Von dieser Botschaft dürfen wir niemandem gegenüber je schweigen. Es kann doch nicht sein, dass in Sachsen ein Mensch stirbt, ohne durch uns mit dieser Frage und dieser Botschaft einladend, herzlich, engagiert und ehrlich konfrontiert zu werden.

Ich danke allen, die in unserem Bistum und in unserer Gesellschaft für das Evangelium und die Größe und Würde des Menschen Zeugnis ablegen und sich für sie einsetzen in Tat und Wort. Ich habe in den zweieinhalb Jahren, die ich hier als Bischof im Bistum Dresden-Meißen erleben durfte, so viele Christen erlebt, die sich diesem Dienst mit größter Hingabe gestellt haben.

Ich danke allen, die mit mir gebetet haben und im Gebet so viel Gutes für die Menschen und für unser Land bewirken.

Ich danke allen, die ihre Krankheit im Geist der Liebe und Hingabe tragen: wer weiß, wie reich ihre Früchte sind.

Ich danke allen, denen ich die Sakramente spenden durfte: von den Kinder-, Familien- und Erwachsenentaufen bis hin zu denen, denen ich das Sakrament der Diakonen- und Priesterweihe spenden durfte.

Ich danke allen in unseren Gemeinden, Gemeinschaften und Einrichtungen, vor allem denen, die in ihnen verlässlich Verantwortung übernehmen. Ich danke Ihnen für Ihr Mitentwickeln des Erkundungsprozesses. Um es noch einmal in aller Deutlichkeit zu sagen: Ziel dieses Prozesses ist es, zu erkunden und Schritte zu gehen, in einer neuen Zeit mit neuen Herausforderungen unseren Sendungsauftrag als Christen und als Kirche zu erfüllen. Da braucht es auch mutige Veränderungen und neue Aufbrüche, die manchem auch schwerfallen. Das nehme ich sehr ernst. Die Struktur- und Finanzfragen, um die wir ringen, sind dabei veränderbares Mittel zum Zweck der Erfüllung unserer Sendung. Bitte gehen Sie kraftvoll diesen Weg weiter!

Ich danke allen, die sich im caritativen Bereich engagieren von der Schwangerenberatung über die Flüchtlingsarbeit bis hin zum Hospizarbeit.

Ich danke allen, die in unserem Bistum Sorge tragen für eine würdige Feier der Liturgie.

Ich danke allen, die in dieser für uns so entscheidenden Welt der Bildung sich engagieren, von der Kindertagesstätte über die Schule und den Religionsunterricht bis zur Hochschule.

Ich danke allen, die sich dem Wort der Verkündigung stellen: den Eltern, den Katechetinnen und Katecheten, den Religionslehrerinnen und Religionslehrern.

Ich danke den evangelischen Schwestern und Brüdern und grüße nochmals herzlich von hier aus Sie, verehrter Herr Landesbischof Dr. Rentzing. Im Namen unseres Bistums wünsche ich Ihnen von Herzen viel Kraft, Kreativität und Gottes reichen Segen für Ihr Wirken. Ich verspreche Ihnen von uns aus ein verlässliches und geistliches Miteinander.

Ich danke all denen, die eine andere Glaubensentscheidung als wir Christen treffen oder bislang getroffen haben. Mit hohem Respekt sage ich Ihnen Dank für alles, was ich von Ihnen lernen durfte und was wir miteinander auf den Weg gebracht haben. Es waren für mich reiche Erfahrungen. Zudem: Sie können es sich ja noch überlegen, ob Sie es nicht doch mit dem christlichen Glauben versuchen wollen, solange Sie noch hier auf Erden weilen.

Ich danke allen, die sich der politischen Verantwortung stellen, von der kleinsten Kommune bis hin zur Landesregierung. Ich weiß, wie mühsam und schwierig und auch oft angegriffen dieser Dienst ist.

Ich danke Bischof Reinelt und denke mit frohem Herzen an Altbischof Georg Weinhold. Lieber Joachim, am Beginn meiner Tätigkeit gab es in unserem Bistum zwei Altbischöfe. Dann warst Du nach dem Tod von Weihbischof Georg allein. Jetzt sind wir zwei Alte. Ich danke Dir für Dein Weggeleit!

Ich danke allen, die in der Bistumsleitung Verantwortung mit mir getragen haben. Ich danke dem Domkapitel mit seinem Domdekan, der mir viel bedeutet hat.

Ich danke dem Ordinariat mit den beiden in meiner Zeit wirkenden Generalvikaren und mit seinen Hauptabteilungsleitern, die wir zusammen im „Büschen“ gefahren sind. Der und das hat viel bewegt.

Ich danke den Dechanten, den Priestern, den Diakonen und von Herzen auch den Gemeindereferentinnen und Gemeindereferenten, den Religionslehrerinnen und Religionslehrern. Ich danke Ihnen für Ihre Verlässlichkeit und Ihr tiefes Engagement, das unser Bistum trägt.

Ich danke unseren Gemeinschaften, unseren Verbänden, unseren geistlichen Bewegungen und ich danke unseren Ordensgemeinschaften mit ihren Schwestern und Brüdern, die allein durch ihr Leben ein Leuchtturm sind in unserer Kirche und in unserer Gesellschaft.

Ich danke allen, die sich mit auf den Weg gemacht haben in der Vorbereitung des 100. Katholikentags in Leipzig. Von Herzen bitte ich Sie und alle unsere Gemeinden, dass wir helfen, dass die großen Chancen dieses Katholikentags für unser Bistum und für die Kirche in Deutschland wahrgenommen werden.

Ich danke allen, mit denen ich im Haus der Kathedrale zusammen leben und beten durfte. Diese Hausgemeinschaft war mir so wichtig.

Ich danke denen, die engst mit mir zusammengearbeitet haben im Büro, als Referenten, im Haushalt, als Fahrer. Es war ein liebes, gutes Miteinander.

Was erwartet mich jetzt, wenn ich nach Berlin ziehe, nach Brandenburg und Vorpommern, in das Landgebiet also zwischen Sachsen und Niedersachsen?
Ich weiß es nicht. Mir kommt es so vor, als wenn es so ähnlich wäre wie vor zweieinhalb Jahren, als ich zum ersten Mal von Köln voller Spannung über Eis und Schnee nach Dresden gekommen bin. In meine neue Wohnung in Berlin kann ich wiederum erst zur Winterszeit einziehen. Ich bin jedenfalls sehr gespannt auf all das, vor allem aber auf all die, die mich dort erwarten. Auf jeden Fall aber steht fest: Gott ist schon längst in Berlin angekommen. Ich reise nach.

Dresden und Berlin waren in ihrer Geschichte immer eng verbunden – wenn auch manchmal recht unfreiwillig. Sie hier in Sachsen haben schon in der Zeit der DDR Berlin immer tatkräftig unterstützt. Ich gehe davon aus, dass das Bistum Dresden-Meißen dies auch in Zukunft für das Erzbistum Berlin tun wird mit ganzem Herzen und großer Freude und aller Ihnen möglichen Großzügigkeit. Nachdem wir in Leipzig den Bau der Propsteikirche abgeschlossen haben, danke ich Ihnen deshalb schon jetzt für alle Unterstützung bei der Gestaltung der Hedwigskathedrale!

Von jetzt an bin ich Ihr Metropolit und wir werden einen engen Weg mit dem Bistum Görlitz, dem Bistum Dresden-Meißen und dem Erzbistum Berlin gehen. Dieses Zusammengehen ist für uns Christen und für unsere Kirche im Osten Deutschlands sehr wichtig. Ich freue mich, dass Sie alle heute gekommen sind zum Startschuss für diesen gemeinsamen Weg. Das macht, um den Eingang meiner Predigt noch einmal zu verstärken, Sinn, das gibt Auftrieb. Auf geht’s und Gott befohlen! A Dieu.

Ich danke Ihnen allen von ganzem Herzen!
Gott behüte Sie!

Ihr     + Heiner Koch


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