Wir brauchen einander

Hirtenwort des Bischofs von Dresden-Meißen zur Fastenzeit 2015

Bischof Dr. Heiner Koch





Liebe Schwestern und Brüder,

vor kurzem schrieb mir ein junges Mädchen, dem ich in diesem Jahr das Sakrament der Firmung spenden werde: „Ich freue mich schon sehr darauf, dass Du mir das Sakrament der Heiligen Firmung spenden wirst. Diese Freude kann ich leider mit einigen Menschen an meiner Schule nicht teilen. Als mich unser Klassenlehrer fragte, auf was wir uns in diesem Sommer freuen, und ich sagte, dass ich mich auf meine Firmung freue, da rastete er völlig aus. Ich habe versucht, ihm zu erklären, dass wir katholische Christen sind und dass die Firmung die Bekräftigung unseres Glaubens ist, aber er hat nur noch geschrien und mich vor der ganzen Klasse heruntergemacht. Ein Junge aus der anderen Klasse, der auch zur Firmung gehen soll, traut sich gar nicht mehr, in der Schule davon zu sprechen.“

In dem Brief dieses Firmlings wie in vielen Begegnungen in unserem Bistum ist mir deutlich geworden: Wir Christen dürfen einander nicht alleine lassen! Gerade in unserer Gesellschaft ist die Gefahr so groß, dass wir mitgerissen werden von dem Strom der Vielen, die nicht an Gott glauben oder die Gott gegenüber gleichgültig sind. Wir brauchen einander! Wenn ich meinen Glauben nur noch privat für mich lebe und nicht mehr zur Gemeinschaft der Kirche, zu ihren Gottesdiensten und Treffen gehe, dann ist das nicht nur eine Gefahr für die Standfestigkeit meines eigenen Glaubens, dann kann ich auch der Christin und dem Christen an meiner Seite nicht beistehen in den Herausforderungen ihres Lebens und ihres Glaubens. Wir brauchen einander!  Nur gemeinsam sind wir stark. Und nur gemeinsam können wir Gott immer mehr auf die Spur kommen, ihn in unserem Leben entdecken und erkennen. Jeder bringt seine Sicht, seine Erfahrungen, seinen Hintergrund in unser Miteinander als Christen in unsere Kirche ein; so weitet sich unser gemeinsamer Glaubenshorizont. Jeder von uns hat seinen blinden Fleck, aber miteinander werden wir das Leben und den Glauben meistern und Gott klarer sehen lernen.

In solchem Miteinander blüht Kirche auf, wird sie wirklich zu einem Ort der Gottes- und der Nächstenliebe. Bei dem Besuch einer unserer Gemeinden habe ich mich gefreut, als am Ende der Eucharistie in den Vermeldungen Bitten der Gemeindemitglieder um Hilfe für die kommenden Woche vorgetragen wurden: „Wir brauchen jemanden, der in dieser Woche abends einmal auf die Kinder der Familie XY aufpasst. Wer fährt Frau Soundso nächste Woche ins Krankenhaus? Unser Pfarrzentrum muss gereinigt werden, wer hilft? Für unsere Flüchtlingsfamilien suchen wir Töpfe….“ In solch einer Gemeinde - so dachte ich mir - finden Menschen Heimat und hoffentlich auch den Glauben. Wir brauchen einander!

Was für die Einzelnen gilt, gilt auch für unsere Gemeinden, Gemeinschaften und Einrichtungen. Jede Gemeinschaft braucht die andere. Eine Pfarrei ist eine Gemeinschaft von lebendigen Gemeinschaften, die einander ergänzen und stützen. Jede Pfarrei braucht aber auch die Hilfe und die Ergänzung ihrer Nachbarpfarreien in ihrer Andersartigkeit. Nicht jede muss alles machen und können - zusammen bilden wir die eine Kirche Jesu Christi. Zu unserem Miteinander gehören auch die kirchlichen Gemeinschaften, die bei uns leben, die Ordensfamilien, die Verbände, die geistlichen Gemeinschaften und die kirchlichen Einrichtungen wie unsere Kindergärten, Beratungsstellen, Altenheime, Krankenhäuser. Jeder dieser kirchlichen Orte kann sein Profil, seine Erfahrung, seine Besonderheit einbringen in unser Miteinander. Dafür soll der Erkundungsprozess in unserem Bistum uns die Augen öffnen. Er wird uns neue Erfahrungen in unserer Verbundenheit ermöglichen. Wir gehen aufeinander zu. Miteinander erfüllen wir unseren Auftrag als Kirche, stützen uns gegenseitig und bezeugen auf vielfältige Weise Gott in unserer Gesellschaft, jede und jeder mit ihren und seinen Talenten und Begabungen, gemeinsam verbunden durch Christus in dem einen Ziel. Der Erkundungsprozess ebnet dort, wo wir uns auf ihn einlassen, der frohmachenden Erfahrung den Weg: miteinander sind wir stark.

Solche Offenheit füreinander führt auch in das ökumenische Miteinander. Ich bin dankbar, dies an vielen Orten lebendig zu erfahren. Solche Offenheit führt aber auch in das Miteinander mit Menschen und Gemeinschaften, die keiner Kirche angehören: Wieviel Kraft können wir oftmals einander schenken und wieviel Gutes voneinander lernen!

Solches Einanderstützen und Miteinandergehen in der Familie, im Freundes- und Familienkreis, in der Pfarrei und in unseren Gemeinschaften und Einrichtungen ist nicht immer problemlose Harmonie, sondern manchmal auch ein spannungsreiches Miteinanderringen und -kämpfen. Aber niemals dürfen wir die Gemeinsamkeit des offenen Miteinanders verlassen. Vielmehr müssen wir immer neu aufeinander zugehen und einander als Bereicherung herzlich annehmen. Das ist ein lebenslanger Lernprozess! Kirche ist eben auch eine Lerngemeinschaft. In solchem Miteinander ist Gott mitten unter uns: “Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.“ (Mt. 18,20)

Solche Gemeinschaft mit Gott und miteinander wird in der Feier der Eucharistie am dichtesten gegenwärtig: Gott ist wirklich da, real präsent: sein Wort in der Heiligen Schrift, das uns in der Lesung und im Evangelium verkündet wird; sein Leib und sein Blut in den Zeichen von Brot und Wein im Sakrament der Eucharistie und seine Liebe im Miteinander der versammelten Gemeinde. Deshalb sind gerade bei der Feier der Heiligen Messe die Gemeinschaft mit Gott und die Gemeinschaft mit den Nächsten nicht voneinander zu trennen. Deshalb reichen wir, bevor wir den Herrn in der Kommunion empfangen, einander die Hand. Das ist kein flaches Zeichen der Höflichkeit, sondern ein Versprechen: Wir lassen einander nicht los, wir stehen zueinander, Du kannst Dich auf mich verlassen.

Kurz nach Beginn meines bischöflichen Dienstes in unserem Bistum Dresden-Meißen habe ich Ihnen mein grundlegendes Hirtenwort „Berufen zur eucharistischen Kirche“ vorgelegt. Am Beginn der Fastenzeit des letzten Jahres habe ich Ihnen dann in meinem damaligen Hirtenwort grundlegende Gedanken vorgelegt, dass wir als Einzelne und als Kirche vom Herrn in die Verantwortung ge- und berufen sind. In diesem Jahr habe ich mit Ihnen das zweite Kapitel meines damaligen Schreibens bedacht: Wir brauchen einander als Glieder in seinem Leib. Füreinander tragen wir Verantwortung, und miteinander sind wir seine eucharistische Gemeinschaft. Ich danke allen, die sich so um ein herzliches Miteinander in unseren Gemeinden bemühen und die dieses Miteinander auch mit den Nachbargemeinden und mit den anderen kirchlichen Einrichtungen in ihrer Umgebung leben. Zusammen bilden wir die von Christus herausgerufene Gemeinschaft, seine Kirche. Ich möchte Sie einladen, in der vor uns liegenden Fastenzeit dieses Aufeinander-Zugehen mehr Wirklichkeit werden zu lassen: Vielleicht besuchen Sie jemanden, der lange keinen Besuch mehr bekommen hat, oder laden jemanden, der allein ist, zu sich ein. Vielleicht schreiben Sie einen Brief oder beten für jemanden in dieser Zeit ganz besonders oder zeigen ihm ihre Aufmerksamkeit auf eine Weise, die ihn überrascht und hilft, Grenzen zu überwinden. Vielleicht treffen sich unterschiedliche Gruppierungen Ihrer Pfarrei und teilen miteinander ihre Glaubenserfahrungen. Oder Sie laden Mitarbeiter einer benachbarten kirchlichen Einrichtung oder die Nachbargemeinde ein, miteinander die Heilige Schrift zu lesen. Vielleicht begrüßen Sie zum Essen einmal Heimatlose oder Flüchtlinge oder Alleinerziehende mit ihren Kindern beim Kaffeetrinken. Vielleicht bewirten Sie auch einmal jemanden, der Sie oder Ihre Gemeinde verletzt hat oder der Ihnen Ihr Leben als Christ schwer macht, so wie es dem eingangs zitierten Firmling erging. Wir brauchen die Gemeinschaft miteinander - nicht als eine zusätzlich zu erfüllende Pflicht, sondern weil sie uns hilft zu leben und zu glauben.

Gestatten Sie mir zum Schluss noch eine Anmerkung:
Auch dieses Mal freue ich mich über Ihre Briefe und Mails als Antwort auf mein Hirtenwort. Viele haben mir letztes Mal geschrieben, dass ich mich doch etwas kürzer fassen soll, was ich diesmal dann auch befolgt habe. Und anderen habe ich Ihre Frage beantwortet, wann ich im Zug von Leipzig nach Dresden durch die verschneite Landschaft gefahren bin. Auch das diesjährige Hirtenwort habe ich im Zug geschrieben, dieses Mal in einem langsam von Berlin nach Dresden rollenden. Allerdings geschneit hat es auch bei dieser Zugfahrt!

Gott segne Sie, Ihre Familien und alle Menschen, zu denen Gott uns sendet!

Ihr

+ Dr. Heiner Koch
Bischof von Dresden-Meißen




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