Bischof Koch: Mitten im Leid den mit-leidenden Gott finden

Gedanken zu Ostern 2015

Bischof Dr. Heiner KochVor 10 Tagen hielten wir den Atem an, als die Nachricht von dem furchtbaren Flugzeugabsturz in Südfrankreich verbreitet wurde. Fragen kamen auf und ihr Druck auch auf unseren Seelen wurde immer größer: die Frage nach Gott und die Frage nach dem Menschen:
Wozu ist der Mensch in der Lage? Ein hochmodernes Flugzeug zu konstruieren mit Computern, die die Menschen Tausende von Kilometern durch die Lüfte tragen, und auf der anderen Seite ein Flugzeug mit 150 Menschen an Bord zielsicher in den Tod zu reißen.
Aber genauso drängend stellen wir die Frage nach Gott: Schreit das Leid dieses Unglücks nicht nur gen Himmel, sondern nicht auch gegen den Himmel? Hörte Gott das Schreien der Abstürzenden? Und wenn er es hörte, warum reagierte er nicht?

In der Mitteldeutschen Zeitung schrieb Arnold Wiedmann in seinem Bericht auf der Seite 1: „Wir haben den Glauben (Anm.: an einen göttlichen Plan) nicht mehr. Wir wissen: Es gibt keinen Trost. Mehr ist da nicht.“ Zur gleichen Zeit treffen sich in Haltern an dem Ort, aus dem so viele Jugendliche in der Todesmaschine saßen, unter dem Kreuz Christi Verwandte, Mitschüler und Freunde der Opfer - bittend, flehend, zweifelnd und verzweifelt. Für sie steht nicht alles fest, sie sind so offen, so suchend, dass sie Fragen stellen.

Gerade in diesem Jahr sind die Tage des Leidens Christi für uns Christen Tage des Suchens, des Fragens und des Zweifelns, weil unser Glaube immer ein suchender und unsere Überzeugungen immer fragende sind. Für uns steht nicht alles fest, aber wir bleiben unter dem Kreuz wie Maria, die schließlich Christus, den Heiland, den Erlöser, den König der Welt tot und erbärmlich in ihren Händen hält. Oder wie Maria Magdalena, die nicht aufhört zu suchen und zu fragen, nicht unter dem Kreuz und nicht am Grab. Mitten im Zusammenbruch aller menschlichen Illusionen des Glaubens an irgendwelche Sicherheiten des Lebens, wenn alle Hoffnungen des Alltags aufgebraucht sind, wächst im Suchen und Ringen die kleine Hoffnung, dass da doch ein Gott ist, der uns trägt, auch wenn wir ihn oft nicht spüren und noch weniger begreifen können. Er ist kein Gott, der von uns in feste Begriffe und klare Sätze zu pressen ist. Gottes Sohn stellt selbst verletzt und gepeinigt am Kreuz Gott seine Fragen.

Ostern verheißt den Suchenden und Fragenden: „Ihr, die Ihr Gott sucht: euer Herz lebe auf!“ (Psalm 69, 33) und „Sucht ihr mich, so findet ihr mich. Wenn ihr von ganzem Herzen nach mir fragt, lasse ich mich von euch finden“ (Jer 29,13f).
Diejenigen, die offen bleiben in ihrem Fragen nach dem Menschen und ihrem Suchen nach Gott, sie erfahren an Ostern, dass sie selbst in ihrem Suchen und Fragen gesucht und gefragt sind: „Wen suchst du?“ (Joh 20,15), fragt Jesus Maria von Magdala. Im Suchen wird für sie die Nacht zum Morgen, an dem sich für sie die Verheißung Jesu erfüllt: „Sucht, dann werdet ihr finden“ (Mt 7,8). 

Als Christen bleiben wir Menschen, die unterwegs sind, die Gott nie im Griff haben. Wer behauptet, Gott zu begreifen, der begreift allenfalls ein Götzenbild. Wir sind und bleiben als Christen Pilger auf dem Weg, suchend und fragend, aber gerade so empfangend und getragen. Wir sind nicht fertig wie manche, die meinen, Gott erklären zu können, oder wie andere, die doktrinär meinen, dass es sicher sei, dass es keinen Gott gäbe. Wer dagegen fragt, der hält inne; wer fragt, ist bereit, Neues zu entdecken; wer fragt, ist offen für den Himmel. Im Fragen überschreitet der Mensch jede Grenze, weil er alle Grenzen fragend überschreiten kann. So ist er letztlich im Fragen schon bei Gott angekommen, auch wenn er ihn nur fragend erreichen und niemals erfassen kann. Mich hat es sehr bewegt, dass in diesem Jahr in der Osternacht bei uns Menschen getauft werden, die den Weg zu Gott gefunden haben aus Situationen tiefsten Leids heraus angesichts des Todes der geliebten Freundin wenige Tage vor der Hochzeit oder angesichts des Leides des schwerstbehinderten neugeborenen Kindes. Diese Menschen haben im Leid nicht mit Gott abgeschlossen, sich nicht verschlossen, sondern haben mitten im Leid den mit ihnen leidenden Gott gefunden.

Das ist die frohe Botschaft der Osternacht: Als Christen gehen wir weiter, fragen wir weiter, suchen wir weiter und machen im Miteinander-Gehen die Erfahrung, dass wir nicht alleine gehen, dass der Auferstandene mit uns geht und dass er nach uns fragt: jetzt in diesem Leben und einst in der Stunde unseres Todes.


+ Dr. Heiner Koch
Bischof von Dresden-Meißen

 


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