Zwischen den Welten

Ein Besuch auf dem Neuen Katholischen Friedhof in Dresden

Auf den Friedhof, im Februar. Allein bei dem Gedanken stellen sich die Nackenhaare auf.

Ein Besuch auf dem Friedhof wird von vielen Menschen mit etwas Unangenehmen assoziiert, und normalerweise macht man einen Bogen darum. Ein mulmiges Gefühl macht sich breit, wenn man sich dazu entscheidet, mal vorbeizuschauen. Ohne konkretes Ziel würde man sich gern, um der Beklemmung zu entfliehen, hinter einem Baum verstecken, dessen kahle Äste dann nach einem greifen zu scheinen und das Gefühl in einem Krimi zu stecken selten-real macht. Verstohlen würde man dahinter hervorschauen – schon irgendwie unheimlich.

Bunt und liebevoll gestaltet: die Grabstellen der "Sternenkinder".Nicht nur Ort der Toten

Doch der Mensch „braucht einen Ort zum Trauern“, lerne ich von Janet Reinelt von der Verwaltung des Neuen Katholischen Friedhofs in Dresden. Mit ihrer Familie wohnt sie auf dem Gelände. Sie sieht im Friedhof mehr als nur einen Platz der Toten. Wohnen im Grünen sei vor allem für die Kinder ein Erlebnis. Allerdings: Sätze wie „Ich gehe zu meinem Mann auf den Friedhof“ haben im Freundeskreis zunächst doch Verwirrung gestiftet.

Sie meint auch, wirklich dunkel sei es hier nie, durch die vielen Grablichter – aber auch durch die Leuchtschriften der umliegenden Autohäuser auf der Bremer Straße.
Vermittler zwischen Leben und Tod scheint der Ort zu sein. Zwischen geschäftigen Straßen und der Elbe. Auf der Schwelle der pulsierenden Altstadt zur eher ruhigen Vorstadt – Vermittler zwischen den Welten eben.

Das Gelände ist für die Friedhofmitarbeiterin mehr eine Art Biotop, in dem zu leben ein Abenteuer ist. Von Füchsen über Fasane bis hin zu Waldohreulen – die tierischen Bewohner fühlen sich hier wohl. Ihr Kommen und Gehen verleiht dem Ort Lebendigkeit und lässt ihn eher wie einen Park wirken, so Janet Reinelt.

Der Mensch im Mittelpunkt

Die Arbeit im Winter ist eine ganz andere als in der warmen Saison, denn dann sind keine Angestellten zur Unterstützung da; der Aufgabenbereich erweitert sich damit schlagartig: von der üblichen Verwaltungsarbeit über das Gestalten von Blumenkörbchen bis zum sauberhalten der Wege und Grasflächen. So kommt die vielfältige Arbeit zustande, die sie liebt.

Doch in der kalten Jahreszeit gibt es nicht weniger Besucher. Oft kommen sie mit dem Bedürfnis, einfach ein wenig plaudern zu können, da viele einsam sind. "Dann gehe ich auch mal eine Runde mit und rede mit dem Friedhofsbesucher", sagt sie mir. Worüber? Über alles, was ansteht, alles, was ein Leben bewegt. Auf diese Weise hat die Arbeit auch einen großen seelsorgerischen Aspekt.

Menschen verdienen die Würde einer Beerdigung und nicht einer „Verscharrung“ – dafür setzt sie sich ein, gerade wenn es sonst keiner tut und vermutlich keiner zu einer Trauerfeier kommen würde, da keine Angehörigen bekannt oder erreichbar sind.
Mit einem Lächeln im Gesicht erklärt sie mir, dass die Arbeit mit den Menschen viel Spaß macht und sie immer wieder zum Lachen bringt. Dabei spielt ihr Glaube eine große Rolle. Allein fühlt sie sich bei ihrer Arbeit nie – zum einen gibt es ja die Besucher, zum anderen ist da ja noch die Unterstützung „von oben“. Und trotz des diesig-kühlen Wetters wird plötzlich eine nicht greifbare Wärme spürbar.

Die "Sternenwiese" auf dem Neuen Katholischen Friedhof in Dresden.


Die Kleinsten der Gesellschaft

Im Weitergehen wird klar, dass es auch viele emotionale Momente gibt, denn plötzlich bleibt sie stehen und zeigt mir das Grab der ersten Person, die sie je tot gesehen und beerdigt hat – ein Kind von einem halben Jahr. Wenn Eltern ihre Kinder zu Grabe tragen, ist das eine schreckliche Erfahrung.

In diesem Zusammenhang hat sich 2006 der Verein der „Sternenkinder Dresden“ gegründet, in dem ihr Mann selbst Mitglied ist. Als „Sternenkinder“ werden hier Kinder bezeichnet, die in einem frühen Stadium der Schwangerschaft im Mutterleib versterben und unter 500 Gramm wiegen. Zweimal im Jahr kommen ungefähr 120 Angehörige – jung und alt – zu einer Trauerfeier und der Bestattung dieser ungeborenen Kinder zusammen.

Die kreisrunden Gräber – liebevoll von den Eltern mit Spielsachen, bunten Windrädern mit Namen darauf, Steinen, Kerzen, Lichtern und Windspielen gestaltet – sind auf der Wiese zwischen großen Grasbüscheln verstreut. Als wir dort stehen, kommt das flaue Gefühl im Magen dann doch wieder.

Doch trotz der Emotionalität dieses Ortes: dem Tod den Schrecken zu nehmen und Menschen mit einem offenen Ohr, einem freundlichen Lächeln und einer positiven Stimmung im Gespräch zu begegnen – das macht den Beruf für Janet Reinelt zur Berufung.

„Man wächst an seinen Aufgaben“, sagt sie und lächelt.


Klara T. Otto



Mehr zu den katholischen Friedhöfen in Dresden:
www.katholische-friedhoefe-dresden.de

Fotos: Klara T. Otto



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