„Fürchtet euch nicht!“

Weihnachtspredigt 2016 von Bischof Heinrich Timmerevers in der Dresdner Kathedrale

Bischof Heinrich TimmereversI.

Unfassbar, die Ereignisse in Berlin! Befürchtet haben wir immer schon, dass es auch in Deutschland irgendwann einen Terroranschlag geben könnte; wir haben gehofft, dass wir davon verschont bleiben würden. Und nun ist es doch passiert! Unfassbar, das Entsetzen über die Grausamkeit dieses Sterbens, unfassbar der Schmerz und die Trauer der Angehörigen, unfassbar der blinde und zugleich zielgerichtete Terroranschlag in die Mitte eines Weihnachtsmarktes, wo man alles andere sucht und erwartet, als solch einen vernichtenden und tödlichen Gewaltakt.

II.

Mit diesem Ereignis am vergangenen Montag, die Bilder können wir nicht vergessen, feiern wir Weihnachten!
Wie können wir das?

In diesem Gottesdienst wollen wir zunächst im Gebet der Menschen gedenken, die auf dem Weihnachtsmarkt in Berlin getötet worden sind. Wir beten auch für die Menschen, die an Leib und Seele verletzt wurden, wir erbitten ihnen Heilung und Genesung! Wir beten für die Trauernden, dass sie an diesem unfassbaren Leid nicht zerbrechen und ihnen Halt und Zuversicht geschenkt wird. Und wir beten für uns selbst, dass wir uns nicht verwirren lassen. Auf blinde Menschenverachtung kann man nicht mit Menschenverachtung antworten! Und auf Hass mit Hass reagieren führt in die noch größere Katastrophe. Hetzparolen kann man nicht zustimmen, wir müssen sie verstummen lassen!

Terror und rohe Gewalt können Menschen in Angst und Schrecken versetzen. Der Terrorismus will uns das Fürchten lehren! In diese Angst, in diese Furcht, die den Menschen packen können, mitten in der Nacht, hören wir die Weihnachtsbotschaft: „Fürchtet euch nicht! Heute ist euch der Retter, der Heiland geboren. Er ist der Messias, der Herr“ (vgl. Lk 2, 10-11). Diese Botschaft der Engel, gehört und mit dem Herzen angenommen, hat die Macht, die Furcht zu vertreiben und dem Herzen Frieden zu schenken! Diese Botschaft schenkt uns Zuversicht, die lassen wir uns nicht nehmen!

Daher wünsche ich den Verantwortlichen in der Politik und in den Einrichtungen unseres Rechtsstaates in ihrem Dienst für unser Land diese Zuversicht. Mit vielen Menschen unseres Landes hoffe ich, dass es gelingt, die Hintergründe aufzuklären, und mögliche Mittäter mit den Mitteln des Rechtsstaates zur Verantwortung zu ziehen und alles Mögliche zu tun, was eine wehrhafte Demokratie fördert.

III.

In den Tagen vor Weihnachten betet die Kirche folgendes Gebet:

„Ewiger Gott, lass uns das unfassbare Geheimnis der Menschwerdung in unverfälschtem Glauben bewahren und in liebender Hingabe feiern.“

Da ist wieder das Wort „unfassbar“!

Der Terror führt in ein unfassbares Fürchten!

Die Botschaft von Weihnachten - ein unfassbares Geheimnis - führt ins Staunen!

Weihnachten, ein unfassbares Geheimnis! Gott wird Mensch, einer von uns! Gott nimmt Menschengestalt an, stellt sich an die Seite der Menschen. Der Apostel Paulus sagt: „ Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich, wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich“ (Phil 2, 6-7). Dass Gott Mensch wird, ist ein unfassbares Geheimnis! Das erahnt man nur, im Glauben, dass Gott in seinem Innersten, in seinem Wesen Liebe ist! Einen Gott, der im Tiefsten seines Wesens nicht Liebe ist, kann ich mir nicht vorstellen. Gott ist die Liebe! Das ist eine die Welt verwandelnde Botschaft!

In der Menschwerdung Gottes wird das Menschsein gewürdigt. Jeder Mensch empfängt darin eine Würde, die ihm kein anderer geben kann noch nehmen darf! Mit der Menschwerdung Gottes in Jesus wird er unser Bruder! Und wie der Sohn von seinem Vater geliebt wird, so ist auch jeder Mensch von Gott geliebt! Unfassbar!
Du Mensch, du bist geliebt! Das ist nicht Vergangenheit, das ist jetzt, an diesem Weihnachtsfest spricht Gott dieses Wort zu Ihnen, liebe Schwestern und Brüder!
Ein unfassbares Geheimnis!

IV.

In dem Gebet, das ich am Anfang zitiert habe, beten wir darum, „das Geheimnis der Menschwerdung in unverfälschtem Glauben zu bewahren“. Was heißt das?

An der Person Jesu scheiden sich die Geister! Wer ist dieser Jesus? Ein vorbildlicher Mensch? Ein Prophet? Ein Sozialrevolutionär? Ein Phantast? Ein Pazifist? Ein Träumer? Wer ist dieser Jesus?
Diese Frage stellt sich immer wieder neu! Jeder Mensch, der von Jesus hört, sich mit ihm beschäftigt, sich ihm nähert, vielleicht mit ihm zu tun bekommt, sich auf ihn einlässt, wird irgendwann auf die Frage, „wer ist dieser Jesus“ eine persönliche Antwort geben. Dieser Jesus ist so interessant, so faszinierend, manchmal auch so provozierend, dass man sich zu ihm verhalten wird! Wer ist dieser Jesus? Die Engel verkünden in der Nacht: er ist der Herr, er ist der Messias, der Retter der Heiland! In der Mitte unseres christlichen Glaubens steht eine Person, steht Jesus Christus! Als Christen bezeugen wir mit unserem Leben: Er ist der Weg, die Wahrheit und das Leben! Ich darf von meinem Leben sagen: mein Leben ist erfülltes Leben geworden, weil ich eingeübt habe, in den unterschiedlichsten Lebenssituationen zu diesem Jesus zu sagen: „Du bist der Herr, mein ganzes Glück bist du allein!“
Viele Menschen können das heute mit mir bezeugen, und viele Menschen haben es vor mir bezeugt! An diesem Ort denke ich heute an den seligen Alois Andritzki!

V.

Und dann beten wir in dem Gebet: Das Geheimnis in liebender Hingabe feiern! Das tun wir heute, in dieser Stunde, da wir mit Freunde und in Dankbarkeit festlich Gottesdienst feiern. Es ist ein schöner und guter Brauch geworden, einander zum Weihnachtsfest zu beschenken. Das sind Zeichen unserer Liebe und der Bereitschaft, im Leben und im Alltag füreinander da zu sein und füreinander einzustehen, soweit es uns möglich ist! Liebende Hingabe kann sich darin ausdrücken. Mehr noch: wer das Schenken einübt, wer sich zu verschenken weiß, der lernt zu lieben! Im ersten Johannesbrief finden wir das Wort: „Liebe Brüder, wir wollen einander lieben; denn die Liebe ist aus Gott, und jeder, der liebt, stammt von Gott und erkennt Gott“ (1 Joh 4,7). Unfassbar! Das Weihnachtsfest führt uns hinein in das unfassbare Geheimnis Gottes, lässt uns erahnen, was Liebe ist und wie diese Liebe unser Leben verändern kann.

Diesem Geheimnis nähern wir uns, wenn wir mit großer Freude und liebender Hingabe unsere Weihnachtslieder singen:
Menschen! Liebt, o liebt ihn wieder und vergesst der Liebe nie! Singt mit Andacht Dankeslieder und vertraut, er höret sie! Unfassbar!

Ich wünsche, dass Sie in liebender Hingabe Weihnachten feiern können und ihr Herz mit Freude und Zuversicht erfüllt wird! Gesegnete Weihnachten!

+ Heinrich Timmerevers
Bischof von Dresden-Meißen



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