Kirche weiter denken

Menschen mit Gott in Berührung bringen – mit diesem Ziel wurde 2013 die „Bunte Kirche Neustadt“ eröffnet. Seit August ist sie in katholischer Trägerschaft.

ein Beitrag von Dorothee Wanzek / Kirchenzeitung "Tag des Herrn"

Die Dresdner Neustadt ist ein guter Boden für frische Ideen. Schon dem flüchtigen Passanten fallen farbig gestaltete Stromkästen und Parkautomaten ins Auge, originelle Veranstaltungshinweise an Regenfallrohren, umhäkelte Laternenmasten und spontan eröffnete Tauschbörsen auf den Gehsteigen. In Schaufenstern des quirligen Szeneviertels wird für Lichtheilungen, Feng-Shui, Engel- und Edelsteinseminare geworben. Auch für spirituelle Angebote scheint es hier also Interessenten zu geben.

„Kirche war für mich hier lange Zeit kaum wahrnehmbar“, bedauert Melanie Jäkel, die in der Dresdner Neustadt aufgewachsen ist und heute wieder hier lebt – seit August als eine von drei Mitarbeiterinnen der „Bunten Kirche Neustadt“. Von den Türmen der evangelischen Kirchen und der in Sichtweite des Szeneviertels gelegenen katholischen Kirche fühlte sich unter ihren Bekannten kaum jemand angezogen. Anknüpfungspunkte zu dem, was sie in ihrem Leben bewegte, waren für sie nicht erkennbar. Umso mehr hat sich Melanie  Jäkel gefreut, dass sich die „Bunte Kirche Neustadt“ vor vier Jahren in ein Ladenlokal im Bischofsweg 56 am Rande des belebten Alaunparks eingemietet hat.

Wer sich hier neugierig, aber zaudernd nähert, muss gar nicht erst eintreten und ist doch schon angekommen. Auf der einladenden Bank vor dem Ladenlokal kann er oder sie sich niederlassen, sich auf den ausliegenden Veranstaltungskarten oder bei einem Blick auf die großen Schaufenster über die Angebote informieren.

Sinnsucher, Fragesteller und Gott-Entdecker sind willkommen

Wer sich hereinwagt, wird zu den Gesprächs- und Veranstaltungszeiten gastlich mit einer Tasse Kaffee oder Tee empfangen. Sinnsucher, Fragesteller und Gott-Entdecker sollen sich hier willkommen fühlen mit ihren Fragen, aber auch mit Ideen und Talenten, ist einer Visitenkarte der Einrichtung zu entnehmen.

Die Initiative zu dem Projekt ging von Peter Jost und seiner Ehefrau Simone aus. Gemeinsam mit einem Verein unter dem Dach der evangelischen Kirche haben sie die Bunte Kirche bis zum Sommer geleitet und geprägt. Wegen Umzugsplänen der Initiatoren und auslaufender Projektförderung hätte dann nach drei Jahren Schluss sein sollen am Bischofsweg.

Rebekka-Chiara Hengge, Antonia Kirtzel und Melanie Jäkel (von links) auf der Bank vor dem Ladenlokal der Bunten Kirche. Foto: Dorothee Wanzek / Tag des Herrn

Rebekka-Chiara Hengge, Antonia Kirtzel und Melanie Jäkel (von links) auf der Bank vor dem Ladenlokal der Bunten Kirche. Foto: Dorothee Wanzek / Tag des Herrn

Rebekka-Chiara Hengge, Gemeindereferentin in der Verantwortungsgemeinschaft der katholischen Pfarreien Neustadt, Pieschen und Weißer Hirsch, erfuhr zum Jahresbeginn von den Schließungsplänen. Nicht zuletzt durch Gemeindemitglieder, die hier ehrenamtlich mitarbeiteten, hatte sie die Bunte Kirche kennen und schätzen gelernt. Sie war überzeugt: Ein solches Projekt darf nicht zu Ende gehen. „Das passt zu uns!“, fand sie. Im pastoralen Erkundungsprozess, den das Bistum gerade durchläuft, gehe es doch gerade darum, mehr als zuvor dem christlichen Sendungsauftrag für alle Menschen gerecht zu werden, das Wirken Gottes unter den Ungetauften wahrzunehmen und aufzugreifen.

Kirche sein für alle: das Konzept passt zum Erkundungsprozess

Gemeinsam mit dem Neustädter Pfarrer Thaddäus Posielek setzte sie sich dafür ein, dass die katholische Kirche als Träger in die Bresche springt. In den drei Pfarreien der Verantwortungsgemeinschaft und in der Bistumsleitung hat man sich die Entscheidung gründlich überlegt. Es wurde diskutiert, ob die Zeit für einen solchen Schritt wirklich schon reif wäre. Auch das Ansinnen mancher Pfarreimitglieder, das knappe kirchliche Personal doch lieber für den Eigenbedarf einzusetzen, wurde gehört und bedacht.

Priester und Gemeindereferenten sind nicht nur für die getauften Katholiken da, wurde während der Diskussionen bekräftigt, sie sind gemeinsam mit ihnen für alle Menschen auf dem Gebiet der Pfarrei da, mit denen sie in Berührung kommen. Die Pastoralabteilung des Bistums entschied, die „Bunte Kirche“ für die nächsten drei Jahre aus dem Fördertopf für innovative pastorale Projekte zu unterstützen.
Rebekka-Chiara Hengge und ihre Kollegin Antonia Kirtzel sind nun jeweils in Teilzeit in der klassischen Seelsorge und in der Bunten Kirche beschäftigt. Unterstützt werden sie von Melanie Jäkel, die ausgebildete Sozialpädaogin und Mitglied einer freikirchlichen Gemeinde ist. 

Manches haben sie von Peter Jost und seinem Team übernommen, anderes werden sie ihren eigenen Talenten entsprechend ausprobieren und weiterentwickeln. Zu den bewährten Angeboten gehört die halbstündige „Auszeit“ donnerstags um 20 Uhr, eine Zeit des Gebetes, der Meditation und der Stille. Dafür dient der hintere Teil des Ladenlokals, der mit Vorhängen, farbigen Fenstern und einem besonderen Lichtkonzept eine sakrale Atmosphäre ausstrahlt. Auch der Eltern-Kind-Treff, zu dem Klein- und Kindergartenkinder und ihre Eltern mittwochs von 16.30 bis 17.30 Uhr eingeladen sind. Untermalt von Puppentheater und gemeinsamem Gesang entdecken Kleine und Große biblische Geschichten. Zum Ausklang jedes Treffens fertigen sie eine kleine Bastelarbeit an, die ihnen die biblische Botschaft in Erinnerung halten soll.

Neu im Angebot sind in dem kinderreichen Stadtviertel Begegnungen für Schwangere und für Eltern mit Babys und Kleinkindern, jeden Mittwoch von 10 bis 12 Uhr unter dem Motto „Liebe Zeit“. „Ein Kind zu bekommen ist ein Einschnitt, der vieles im Leben auf den Kopf stellt“, sagt Melanie Jäkel aus Erfahrung. „Da gibt es großen Gesprächsbedarf, nicht nur über praktische Lebensfragen, sondern auch darüber, was im eigenen Leben Wert hat und an Wert gewinnt.“  

Den traditionellen ökumenischen Martinsumzug, zu dem in der Neustadt rund zweieinhalb Tausend Menschen kommen, wird in diesem Jahr das Team der Bunten Kirche vorbereiten, unter anderem gibt es für den 8. November eine Einladung zum Laternen basteln. Weiteres wird sich entwickeln, sind sich die drei Frauen sicher. Jede von ihnen wird ihre Begabungen einbringen, Melanie Jäkel zum Beispiel mit Jonglage, Stelzenlauf oder Feuertanz, Rebekka-Chiara Hengge mit ihren Zusatzausbildungen in Gestaltpädagogik, Supervision und Bibliodrama ...

Offen sein, dabei aber als Christen erkennbar bleiben

Keinesfalls werden sie sich nur in ihrem Ladenlokal aufhalten. Zum Beispiel gibt es da die Anfrage eines Gastwirts, der sich vorstellen könnte, mit seinen beiden Nachbarkneipen zusammen und mit christlicher Unterstützung ein Erntedankfest auszurichten. Ein anderer würde seine Kneipe gerne für Gesprächsrunden zu christlichen Themen öffnen. Es gibt Kontakte zu Künstlern und Lebenskünstlern und Ideen für Veranstaltungsformate von Männern für Männer, zum Beispiel unter dem Titel „Bibel und Bier“. Offen sind die drei Beschäftigten der „Bunten Kirche“ auch für Veranstaltungen anderer Anbieter.

Die Offenheit hat allerdings auch Grenzen. „Unser Hauptziel bleibt, Menschen mit Gott in Berührung zu bringen“, erläutert Rebekka-Chiara Hengge. „Darüber hinaus hat hier alles Platz, was Menschen miteinander ins Gespräch bringt, was die Gesellschaft stärkt und voranbringt.“ Über Anfragen wird im Einzelfall entschieden. Einer Veranstaltung, die sich spirituellen Erfahrungen in Folge von Drogenkonsum“ widmet, hat man beispielsweise bereits eine Absage erteilt.

Alle, die sich mit Ideen und Tatkraft einbringen wollen oder die einfach neugierig sind auf die „Bunte Kirche Neustadt“ und ihre Angebote, sind am Freitag, 27. Oktober, von 16 bis 19 Uhr zu einem Tag der offenen Tür eingeladen. Die Haussegnung der Räume findet am Mittwoch, 15. November, um 17.30 Uhr statt; Im Anschluss gibt es bei einem kleinen Snack und einer Tasse Tee Gelegenheit zu Gespräch und Begegnung.


www.bunte-kirche-neustadt.de



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