Studie zum sexuellen Missbrauch: Bischof Heinrich bittet Opfer um Entschuldigung

Zahlen zum Bistum Dresden-Meißen veröffentlicht

Dresden, 25.09.2018 (KPI): Zu den Ergebnissen der heute veröffentlichten MHG-Studie zum sexuellen Missbrauch von Priestern, Diakonen und Ordensleuten an Minderjährigen sagt Bischof Heinrich Timmerevers:

„Es hat mich erschüttert und es tut mir unendlich weh: Ich schäme mich dafür, dass Kleriker und Ordensleute die menschliche Würde von Kindern, Jugendlichen und Schutzbefohlenen mit Füßen getreten haben. Hier wissen wir uns als Bistum einer konsequenten Aufklärung verpflichtet, die selbstverständlich die Zusammenarbeit mit staatlichen Behörden einschließt.

Mir geht es angesichts der Schwere nicht leicht über die Lippen, dennoch möchte ich es formulieren: Für unsere Diözese bitte ich die Opfer um Entschuldigung.  Ich weiß, dass diese Worte allein nicht genügen. Den Betroffenen wird unsere Aufmerksamkeit und unsere Unterstützung gelten.

In den nächsten Monaten wird es unsere Aufgabe sein, uns mit den Ergebnissen der komplexen Studie auseinanderzusetzen und weitere Konsequenzen zu ziehen. Damit werden wir unsere umfangreichen Bemühungen weiterführen, die in den letzten Jahren im Bereich der Prävention in den Gemeinden und Einrichtungen des Bistums unternommen wurden.“

Pfarrer Benno Schäffel, Personalchef im Bistum Dresden-Meißen erklärt: „Die Ergebnisse der Studie liegen uns erst seit heute komplett vor. Nun gilt es, die Resultate gründlich zu analysieren und Konsequenzen für uns daraus zu ziehen. Dazu werden wir auf fachkundige Unterstützung setzen. Wir wollen und werden dieses Thema nicht abschließen, sondern immer weiter vorantreiben.“

Fakten zur MHG-Studie

Die Studie entstand im Zeitraum von Juli 2014 bis September 2018 durch ein unabhängiges Forschungskonsortium aus verschiedenen wissenschaftlichen Einrichtungen. Dazu gehören das Zentralinstitut für seelische Gesundheit (Mannheim), das Institut für Kriminologie der Universität Heidelberg, das Institut für Gerontologie der Universität Heidelberg und die Professur für Kriminologie, Jugendstrafrecht und Strafvollzug an der Universität Gießen. Aus den drei Ortsnamen Mannheim – Heidelberg – Gießen ist die Abkürzung MHG zusammengesetzt.

Die Beauftragung der Studie soll der katholischen Kirche in Deutschland mehr Klarheit und Transparenz beim Thema sexueller Missbrauch an Minderjährigen ermöglichen – um der Opfer willen, aber auch, um alles dafür tun zu können, dass sich die Verfehlungen nicht wiederholen.

Die Studie sollte belastbare Daten erheben zur Häufigkeit von und zum Umgang mit sexuellen Missbrauchshandlungen an Minderjährigen.

Zudem erfolgte eine qualitative Analyse institutioneller Einflüsse im Sinne einer „Täter-Opfer-Institutionen-Dynamik“. Dabei ging es vor allem darum, eine vertiefte Einsicht über das Vorgehen der Täter und über das Verhalten von Kirchenverantwortlichen in den zurückliegenden Jahrzehnten zu erhalten. Diese Einsicht erfolgte über exemplarische Interviews mit Betroffenen, mit Verantwortlichen der Kirche sowie mit Tätern. Wichtig: mit der Studie war auch eine Zusammenführung bereits vorliegender nationaler und internationaler empirischer Befunde und Studienergebnisse verbunden.

In 17 der 27 deutschen Bistümer wurden alle Priesterpersonalakten, die im Zeitraum von 2000 bis 2015 vorhanden waren, untersucht. Zu diesen 17 Bistümern gehörte das Bistum Dresden-Meißen. In den übrigen 10 Bistümern wurde der Zeitraum 1946 bis 2015 erfasst.

Allerdings stellt auch das Bistum Dresden-Meißen heute seine aktuellsten Zahlen zur Verfügung, die über die in der Studie ausgewerteten Angaben hinausgehen und alle im Bistum bekannten Missbrauchsfälle seit 1960 widerspiegeln.

Ordensleute wurden in der MHG-Studie nur dann berücksichtigt, wenn sie einen Gestellungsauftrag mit einem Bistum hatten. Allerdings gibt es eine Reihe von Sonderstudien im Blick auf den Ordensbereich, etwa der Jesuiten und der Benediktiner (Kloster Ettal).

Das Forschungsprojekt hatte keinen Zugriff auf Originalakten der Kirche; dies war aus Datenschutzgründen nicht möglich, da es sich um die Personalakten von lebenden Personen handelt. Alle Archive und Dateien wurden entsprechend der Vorgaben des Forschungskonsortiums von Volljuristen aus den Diözesen oder von diesen beauftragten Rechtsanwaltskanzleien durchgesehen. Die Befunde der Personal- und Strafaktenanalyse beziehen sich auf das „Hellfeld“ des sexuellen Missbrauchs. Erkenntnisse über das „Dunkelfeld“ wurden nicht erlangt. Alle Häufigkeitsangaben unterschätzen daher die tatsächlichen Verhältnisse.

Die Kosten der Studie, die der Verband der Diözesen Deutschlands (VDD) aufgewendet hat, liegen bei rund 1 Million Euro. Die Studie war in sieben Teilprojekte unterteilt:

-    Qualitative Erfassung der Datenlage und Datenhaltungspraktiken hinsichtlich der Fälle sexuellen Missbrauchs an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz
-    Qualitative biografische Analyse in Form von Interviews mit Tätern und Betroffenen
-    Institutionenvergleich
-    Analyse von Präventionsaspekten
-    Sekundäranalyse nationaler und internationaler empirischer Befunde
-    Quantitative Analyse von Personalakten
-    Anonymisierte Onlinebefragung zum sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche

Durchgesehen wurden 38.156 Personal- und Handakten der 27 Diözesen aus den Jahren 1946 bis 2014. Dabei fanden sich bei 1.670 Klerikern Hinweise auf Beschuldigungen des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger. Das waren 4,4 Prozent aller Kleriker aus diesem Zeitraum. Unter den Beschuldigten waren 1.429 Diözesanpriester, 159 Ordenspriester im Gestellungsvertrag, 24 hauptamtliche Diakone.

Den Beschuldigten konnten 3.677 Kinder und Jugendliche als von sexuellem Missbrauch Betroffene zugeordnet werden. 62,8 Prozent waren männlich, 34,9 Prozent weiblich, bei 2,3 Prozent fehlten diese Angaben. 51,6 Prozent der Betroffenen waren bei Beginn des Missbrauchs maximal 13 Jahre alt. 14 Jahre und älter waren 25,8 Prozent; bei 22,6 Prozent war das Alter unbekannt.



Zahlen und Fakten zum Bistum Dresden-Meißen

Täter- und Opferzahlen

Im Bistum Dresden-Meißen sind aus dem Zeitraum von 1953 bis heute insgesamt 14 beschuldigte Priester und 1 Ordenspriester bekannt.

Für die MHG-Studie wurden im Bistum Dresden-Meißen 345 Personalakten durchgesehen. Damit wurden alle Priester erfasst, die zwischen den Jahren 2000 und 2015 im Bistum inkardiniert waren, einschließlich der Ruhestandspriester. Zusätzlich wurden auch drei vor 2000 verstorbene Täter erfasst, zu denen erst nach dem Jahr 2010 Hinweise bekannt wurden. 3 Täter sind unbekannt; beschuldigt wurden „katholische Priester“ ohne konkrete Hinweise auf Tatorte und –zeiträume, so dass es sich nicht zwangsläufig um Kleriker aus dem Bistum handeln muss.

Der Anteil der Täter innerhalb der Priesterschaft im Bistum Dresden-Meißen lag auf den Studienzeitraum bezogen bei 3,2 Prozent. Unter den Opfern waren 13 männliche und 15 weibliche Betroffene.

3 Priester wurden aufgrund ihrer Vergehen aus dem Priesterstand entlassen und laisiert.

Derzeit gibt es im Bistum Dresden-Meißen noch 1 Priester im dienstfähigen Alter, der wegen eines Missbrauchsvergehens aus dem Jahr 2013 – nach Abschluss des zivilen Verfahrens – in einem kirchlichen Verfahren verurteilt wurde. Er ist vom Dienst freigestellt und darf keine Sakramente spenden. Kinder- und Jugendarbeit und der Umgang mit Kindern und Jugendlichen sind ihm untersagt. Ihm ist psychologische Begleitung zur Seite gestellt.

Unter den Ruhestandspriestern im Bistum gibt es 2 Priester, die wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt sind.

Bezüglich eines aktuellen Verdachts gegen einen Ruhestandspriester laufen derzeit Voruntersuchungen. Es geht um Vorwürfe aus dem Tatzeitraum 2008 bis 2014.

Stephan von Spies, Präventionsbeauftragter im Bistum betont: „Leider müssen wir auch nach der Erhebung der Studie betonen, dass dieses Thema weiterhin unserer allerhöchsten Aufmerksamkeit bedarf. So gehen wir aktuell einem Hinweis zum Tatzeitraum von 2008 bis 2014 nach. Das zeigt leider erneut: wir sind gefordert, unsere Präventionsmaßnahmen und Anstrengungen in diesem Bereich weiter zu verstärken, und werden das auch tun.“

Tatzeiträume:

1960-1969: 3 Täter, 6 Opfer
1970-1979: 5 Täter, 11 Opfer
1980-1989: 5 Täter, 9 Opfer
1990-1999: 1 Täter, 1 Opfer
2000-2009: --
2010-2018: 1 Täter, 1 Opfer

Zahlungen für Betroffene

Das Bistum Dresden-Meißen hat die Opfer sexuellen Missbrauchs mit Beträgen zwischen 2.000 und 17.000 Euro unterstützt. In der Regel wurden durch diese Zahlungen Therapiestunden ermöglicht, um den Betroffenen die Verarbeitung ihrer traumatischen Erlebnisse zu ermöglichen. Der Gesamtbetrag der Zahlungen beträgt im Bistum Dresden-Meißen 96.500 Euro.

In drei Fällen erfolgte keine Zahlung, da der entsprechende Antrag auf Hilfeleistung nicht gestellt wurde, in einem Fall erfolgte die Auszahlung über ein anderes Bistum.

Prävention

Die deutschen Bistümer haben gemeinsame Leitlinien zum Verhalten im Zusammenhang mit Fällen des Missbrauchs verabschiedet und eine Rahmenordnung Prävention erstellt.

Um das Mögliche zu tun, Fälle sexuellen Missbrauchs in Zukunft zu verhindern, legt das Bistum Dresden-Meißen ein starkes Gewicht auf Präventionsschulungen. Der Bischof und die Verantwortlichen der Bistumsleitung haben selbst den Auftakt dazu gegeben und als erste daran teilgenommen. Auch alle Priester des Bistums haben seither entsprechende Ausbildungsangebote absolviert. Inzwischen gibt es bereits Vertiefungsschulungen.

Zwei Kontaktpersonen stehen bei Verdachtsfällen von sexuellem Missbrauch als Ansprechpartner bereit (Dr. Hansi-Christiane Merkel, Dr. med. Steffen Glathe).
Kontakt: beratung/missbrauchsbeauftragte.html

Ein Ständiger Beraterstab zu Fragen des Umgangs mit sexuellem Missbrauch wurde eingerichtet, dem eine Richterin, ein Theologe, Psychologen und eine Kinder- und Jugend-Psychotherapeutin angehören.

Die Themen Sexualität und Zölibat werden in der Priesterausbildung besonders berücksichtigt. Mehrere Einheiten „Prävention“ sind in der Ausbildung enthalten.

Aktuelle Telefon- und Onlineberatung für Betroffene von sexualisierter Gewalt

Berichte rund um das Thema Missbrauch können bei Betroffenen seelische Probleme auslösen, weil plötzlich die Erinnerungen und das Leid wieder spürbar werden (Fachleute sprechen von „Dekompensationen“ oder „Retraumatisierungen“). Für Betroffene von sexualisierter Gewalt wurden daher aktuelle Beratungsangebote eingerichtet. Eine spezielle telefonische Erstberatung wurde am 25. September ab 11.00 Uhr freigeschaltet.

  • Alle Informationen ab 25. September 2018, 11.00 Uhr, unter www.hilfe-nach-missbrauch.de

  • Telefonberatung:
    o    Telefonnummer: 0800 / 0005640
    o    anonym und innerhalb Deutschlands kostenfrei im Mobil- und Festnetz
    o    verfügbar ab Dienstag, 25. September 2018, 11.00 Uhr, bis zunächst Freitag, 28. September 2018
    o    täglich besetzt von 14.00 bis 20.00 Uhr – außerhalb dieser Zeiten rufen die Berater nach Wunsch zurück
  •     Internetberatung:
    o    Zugang über www.hilfe-nach-missbrauch.de
    o    anonym und 24 Stunden besetzt

  •     Hilfeportal Sexueller Missbrauch des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs:
    o    Internetseite: www.hilfeportal-missbrauch.de
    o    Hilfetelefon Sexueller Missbrauch: 0800 / 2255530
    o    kostenfrei und anonym



Mit einem Hirtenwort wird sich Bischof Timmerevers am kommenden Wochenende in allen Gottesdiensten zu diesem Thema an die Gläubigen im Bistum wenden. Dann wird in allen Gottesdiensten auch in den Fürbitten der Opfer sexueller Gewalt gedacht.


MB



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