Wir alle sind berufen

Hirtenwort von Bischof Heinrich zum ersten Fastensonntag, 10. März 2019

Wappen von Bischof Heinrich TimmereversLiebe Schwestern und Brüder,

Jahr für Jahr treffe ich mich am Samstag vor dem ersten Fastensonntag mit den Taufbewerbern, die in der Osternacht das Sakrament der Taufe empfangen werden. Wir feiern in einem Gottesdienst die Zulassung zur Taufe. Davor erzählen sich die Taufbewerber in einer großen Runde gegenseitig ihren Weg zur Taufe. Dabei hört und sieht man, wie Gott Menschen anspricht und sie in die Lebensgemeinschaft mit ihm ruft. Das bewegt mich, erfüllt mich mit Freude und schenkt mir Zuversicht. Gott wirkt auch heute unter den Menschen. Das führt mich zu der Frage: „Was bedeutet es, von Gott berufen zu sein, Christin oder Christ zu werden?“

Mit der Taufe hat es begonnen. Das Wasser floss über unseren Kopf, einige wurden vielleicht sogar ins Wasser getaucht, dann wurden wir mit dem Chrisam-Öl gesalbt. Sanfte Berührung auf der Stirn, der feine Duft von Rosenöl, seiden schimmernder Glanz des Balsams auf der Haut, dazu die einprägsamen Worte: „Aufgenommen in das Volk Gottes wirst du nun mit dem heiligen Chrisam gesalbt, damit du für immer Glied Christi bleibst, der Priester, König und Prophet ist in Ewigkeit.“1)

Priester, König und Prophet. Was im ersten Moment abstrakt klingt, prägt das Christsein. Auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil in den 1960er Jahren wurde heftig diskutiert und geradezu revolutionär überlegt: Das ganze Volk Gottes, jede und jeder Einzelne, Sie als Getaufte haben Anteil am dreifachen Amt Christi. Im Hirtenwort zur Fastenzeit im vergangenen Jahr habe ich den existentiellen Dienst des Priesters entfaltet. Doch es ist nicht der Amtsträger exklusiv, der Christus als Priester, König und Prophet repräsentiert. Jede und jeder Getaufte übt in unterschiedlicher Weise diese drei Dienste Christi aus, ist Zeichen für Christus, ist Christin oder Christ.2)

Ob Papst oder Politikerin, ob Bischof oder Gemeindereferentin, ob Priester, Vater oder Mutter, ob Ordensschwester oder Ehefrau, ob hauptamtlich oder ehrenamtlich: Wir sind alle Getaufte! Das ist die fundamentale Grundlage unserer Kirche. „Die […] Würde aller Getauften kann nicht gesteigert werden“, haben wir Bischöfe vor einiger Zeit nochmals festgehalten.3)

In der Taufe werden wir Christus gleich.4) Wir erhalten sakramental Anteil an seiner Sendung, an der Sendung der Kirche. Somit sind wir alle berufen, uns und alle Menschen mit Christus in Berührung zu bringen.

Dieser Auftrag zum Christsein konkretisiert sich in ganz vielfältigen Berufungen. Das heißt nicht, dass jede und jeder automatisch einen geistlich-pastoralen Beruf wählen muss. Einen solchen Dienst nehmen in unserem Bistum Priester, Diakone, Gemeindereferentinnen und -referenten, Religionslehrerinnen und -lehrer und Ordenschristen im Auftrag Christi und seiner Kirche wahr.

Doch Berufung geht weit über diese geistlich-pastoralen Berufe hinaus. In der Taufe haben wir nicht nur den Namen „Christ“, das heißt Gesalbter, angenommen, wir alle sind berufen worden, „Christsein“ in unserem Leben durchzubuchstabieren: in unseren Familien, in der Arbeitswelt, in den Gemeinden, in den verschiedenen Ämtern und Diensten der Kirche und an vielen Orten mehr. Berufung heißt, das eigene Leben im Dialog mit Gott zu gestalten, auf Gott zu hören, um immer mehr so zu werden, wie Gott mich gedacht hat. Bischof Heinrich TimmereversDas heißt in jedem Beruf – ob Krankenpfleger, Tischler oder IT-Administrator – und in jeder Lebensphase – ob mit Kind in Elternzeit oder bei der häuslichen Pflege der Eltern – lebe ich Berufung, wenn ich erfahre: Hier hat Gott mich hingestellt. Hier antworte ich auf seinen Ruf.

Als Getaufte, Gefirmte, Beauftragte, Gesandte und Geweihte erhalten wir Anteil am Dienst Christi und sind berufen, die Botschaft des Evangeliums zu den Menschen zu tragen. Doch was heißt es für uns Christen, unsere Berufung zu leben und Christus als Priester, König und Propheten zu repräsentieren?

PRIESTER:

Die neutestamentlichen Erzählungen berichten davon, wie Jesus an der Einheit mit seinem Vater festhält. In dieser Gemeinschaft kann er am Ende sogar den Weg ans Kreuz antreten, sein Leben ganz hingeben: „Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst“5), betet er vor seinem Kreuzweg. Der allen Christen aufgetragene priesterliche Dienst zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass er in der lebendigen Beziehung zu Gott immer wieder fragt: „Was ist dein Wille? Was soll ich tun?“

Vor wenigen Wochen habe ich mich mit Gottesdienstbeauftragten und Diakonatshelfern aus unserem Bistum getroffen. Mit Freude und Dankbarkeit nehme ich eine seit Generationen bestehende ausgeprägte Sorge für die Feier der Liturgie wahr. In den Gemeinden, in denen sonntags nicht immer Eucharistie gefeiert werden kann, sorgen die Gottesdienstbeauftragten und Diakonatshelfer dafür, dass vor Ort Gottesdienst gefeiert wird. Die Gläubigen treffen sich, hören auf das Wort der Heiligen Schrift, begegnen darin Gott und bringen ihm Lob und Dank für sein Wirken dar. Diese Gottesdienste sind wichtig, denn ohne das Gebet und ohne die Feier des Gottesdienstes versiegt der Glaube. Unsere Gottesdienstbeauftragten und Diakonatshelfer sind darüber hinaus wichtige Seelsorger vor Ort. Darin möchte ich sie bestärken!

Priesterliches Wirken der Getauften wird auch präsent beim alltäglichen Gebet am Esstisch und wenn Eltern ihren Kindern ein Kreuz auf die Stirn zeichnen.6) Zum priesterlichen Wirken der Getauften gehören auch die Feier der Tagzeitenliturgie, die Gestaltung von Andachten bis hin zur Mitwirkung in der Gemeindeliturgie im Ministranten-, Lektoren-, Kommunionhelfer- oder Kantorendienst, im Liturgiekreis und in der Begleitung an Lebenswendepunkten. Dazu gehören auch die Krankenbesuche und das Begleiten der Sterbenden. Durch das Wirken Getaufter in Gebet und Liturgie wird das Leben und der Alltag von und für Gott geheiligt.

KÖNIG:

Wahrscheinlich ist uns der königliche Dienst am fremdesten, obwohl er von Christus selbst aufgetragen ist. Früher ein vertrautes Bild, heute fast unbekannt: Könige. Wir kennen sie eigentlich nur noch aus Märchen oder von royalen Hochzeiten. Dabei ist das biblische Bild des Königs von einer großen Verantwortung für die Menschen geprägt. Ein guter König ist daran zu messen, wie er in liebender Fürsorge für Entrechtete, Unterdrückte und für die Armen einsteht. Die Evangelien bringen uns Jesus als einen unkonventionellen König näher, der sich in seiner barmherzigen Sorge den Menschen am Rand zuwendet.

Der königliche Dienst der Getauften zeigt sich in der Verantwortung für Kirche und Gesellschaft. Angesichts der verschiedenen gesellschaftlichen Prozesse und der bevorstehenden Landtagswahlen sind wir als mündige Christen herausgefordert, für ein dezidiert christliches Menschenbild einzutreten. Als Kirche geben wir keine parteipolitischen Empfehlungen. Wir stehen jedoch konsequent für eine Gesellschaft ein, die demokratisch verfasst ist und solidarisch miteinander umgeht. Das Gesetz des Stärkeren darf keinen Raum gewinnen! Als Christen erkennen wir im Fremden, im Anderen, im Benachteiligten und Abgehängten ein menschliches Antlitz, unseren Nächsten, Christus selbst. Wir können nicht banale oder populistische Wege einfacher Antworten beschreiten, sondern wir differenzieren, diskutieren und loten im Dialog aus, welche Wege wir als Christen und als Bürgerinnen und Bürger unseres Landes in die Zukunft gehen können. Wenn wir aus unserer christlichen Haltung und unter der Führung des Heiligen Geistes an den gesellschaftlichen Prozessen teilhaben, dann bauen wir auch dort ein Stück am Reich Gottes mit, dann üben wir unseren königlichen Dienst als Christen aus.

Auch in unseren Pfarreien gibt es den königlichen Dienst der Getauften: die Mitarbeit in den kirchlichen Gremien und Räten, in den Steuerungsgruppen, in denen Frauen und Männer mit viel Kompetenz und Engagement am Dienst der Leitung mitwirken und gemeinsam nach Lösungen für die anstehenden Fragen suchen. Auch die Fürsorge und Hingabe im caritativen Bereich, in unseren Kindergärten, Krankenhäusern, Jugendhilfe- und Pflegeeinrichtungen sowie in den vielfältigen Beratungsstellen ist königlicher Dienst. Er ist überall dort zu finden, wo Getaufte Verantwortung, Leitung und Fürsorge übernehmen.

PROPHET:

Christen in Ausübung ihres prophetischen Dienstes stehen in der Nachfolge Christi als Künder der Frohen Botschaft.

Hand aufs Herz – es fällt uns schwer, in unserem säkularen Umfeld von Gott zu erzählen. Viele Menschen fragen nicht nach Gott. Wir erleben, dass sie sehr gut ohne Gott leben können. Die Verkündigung des Glaubens und das Christwerden funktionieren schon lange nicht mehr so, wie wir es vielleicht bisher erlebt haben. Das fordert uns heraus und lässt uns fragen, was wir tun können.

Wir können evangelisieren! – Wie geht das? Als Propheten sind wir von Gott berufene Rufer. Uns wird die Verkündigung angetragen, zugemutet und zugetraut. Wie das in unserer Zeit gelingen kann, formulierte Papst Paul VI.: „Der heutige Mensch hört lieber auf Zeugen als auf Gelehrte, und wenn er auf Gelehrte hört, dann deshalb, weil sie Zeugen sind.“7 Ich begegne in unserem Bistum Menschen, die mit ihrem Tun ohne große Worte das Evangelium durch Liebe, Treue und mit Freude bezeugen. Das sind Propheten unserer Zeit.

An vielen Stellen in Kirche und Gesellschaft ist uns Vertrauen verloren gegangen. Oftmals aus erschütternden und berechtigten Gründen, denen wir uns stellen. Ich halte es jedoch für die große Notwendigkeit dieser Tage, einander neu Vertrauen zu schenken.

Es ist für viele eine Erfahrung aus dem Erkundungsprozess: Wo Vertrauen in die Führung Gottes gelegt wird und wir einander vertrauen, dort finden wir tragfähige Antworten auf unsere Fragen. Dort, wo Blicke nur auf das Eigene gerichtet sind, wo es vorrangig um Ressourcen oder Macht geht, da werden Prozesse schwerfällig. Gott zu vertrauen und einander Vertrauen zu schenken, das ist prophetisch!

PRIESTER, KÖNIG UND PROPHET:

Liebe Schwestern und Brüder, in der Osternacht werden wir mit den Neugetauften unser Taufbekenntnis erneuern. Auf dem Weg dahin lade ich Sie ein, Gott zu fragen: „Wozu rufst du mich?“ Und, sprechen Sie miteinander darüber, damit wir unsere priesterliche, königliche und prophetische Berufung vertiefen.

Dazu erbitte ich Ihnen den Segen des dreifaltigen Gottes, des + Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.

+ Heinrich Timmerevers
Bischof von Dresden-Meißen


1) Die Feier der Kindertaufe, Nr. 65.
2) Vgl. AA 2; AA 10; AG 15; LG 31.
3) Gemeinsam Kirche sein, S. 35.
4) Vgl. LG 7.
5) Mt 26,39.
6) Vgl. Motu proprio Familia a Deo instituta.
7) Zit. n. Evangelii nuntiandi, 41.



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