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Bistum Dresden Meissen
Jesuitenpater Prof. Dr. Hans Zollner bei seinem Vortrag am 20. Februar 2020 in Dresden. © Michael Baudisch
21. Februar 2020

Macht und Ohnmacht

Jesuitenpater Prof. Dr. Hans Zollner am 20. Februar beim „Thementag Macht“ in Dresden

Dresden. „Macht ist überall und kommt von überall. Sie ist immer da. Wichtig ist nicht, wer sie besitzt, sondern wie sie ausgeübt wird“, betonte Jesuitenpater Prof. Dr. Hans Zoller in seinem Referat beim „Thementag Macht“ am 20. Februar im Dresdner Haus der Kathedrale. Zollner gilt als einer der führenden kirchlichen Fachleute auf dem Gebiet des sexuellen Missbrauchs in der römisch-katholischen Kirche und ist seit 2014 Mitglied der Päpstlichen Kommission für den Schutz von Minderjährigen und Leiter des Centre for Child Protection (CCP) mit Sitz in Rom.

Zollner erkennt einen „Zusammenhang von spiritueller, theologisch zugeschriebener und kirchenrechtlich sanktionierter Macht“. So werde es leicht möglich, dass „Priester und andere unter dem Vorwand von Zuwendung und pastoraler, spiritueller Sorge ihre Macht zu sexueller Befriedigung missbrauchen“. Eine Ursache sieht er unter anderem darin, dass es in der katholischen Kirche keine Rechenschaftspflicht gebe. Dadurch könnte Verantwortung leicht abgeschoben und Zusammenarbeit oder Kommunikation verweigert werden.

In den Themenbereich von Macht und Ohnmacht gehöre, so der Jesuit, der an der Päpstlichen Universität Gregoriana Psychologie lehrt, auch die Erfahrung des Traumas: Weil eine belastende Situation oder die Erinnerung daran nicht alleine bewältigt werden könne und den Menschen auf allen Ebenen überfordere, versuche der oder die Betroffene unbewusst, das Schreckliche zu verdrängen, um den eigenen Alltag bewältigen zu können – um den Preis, dass ein Teil der Lebensenergie gebunden sei. „In der Kirche haben wir viele traumatisierte Personen. Das Trauma ist abgeschottet und lebt vor sich hin und kostet viel Energie und emotionale Freiheit“, so Zollner. Sexuelle Gewalt im Umfeld der Kirche werde von den Betroffenen meist als Machtmissbrauch erlebt und gehe mit dem Verlust des Vertrauens, des Glaubens und einer verlässlichen Gottesbeziehung einher. Der Kern des Vertrauens und der Vertrauensfähigkeit sei beschädigt oder zerstört worden. Die Folgen reichen von Entwicklungsstörungen, vermindertem Selbstwertgefühl, Vertrauensverlust und einem gestörten Verhältnis zu Sexualität bis zu Depression und Suizidalität.

Das Beben, das die katholische Kirche seit dem Aufdecken des Missbrauchsskandals erfasst hat, lasse die Bischöfe, Kardinäle und den Papst angreifbar und ohnmächtig erscheinen. Die Institution zeige sich, so Zollner, existentiell bedroht, zugleich seien die institutionellen Bewältigungsmöglichkeiten überfordert. Er macht eine systemische Handlungsunfähigkeit aus, das Bagatellisieren und Leugnen der Fakten und der institutionellen Verantwortung – auch die Kirche sei traumatisiert.

Schwierig ist das Thema innerhalb der katholischen Kirche auch deshalb, weil es dort gleichzeitig Betroffene und Täter gibt, Strafverfolger und Vertuscher. Zollner weist darauf hin, dass es Klerikalismus nicht nur bei Klerikern, sondern auch bei Nicht-Klerikern gebe. In Bezug auf sexuellen und geistlichen Missbrauch in der Kirche sei ein systemischer Ansatz für die Prävention notwendig, der nach innen und außen transparent sei.

Angesichts der Erfahrungen der vergangenen Jahre fragt Jesuitenpater Hans Zollner aber auch: „Welchen Anruf sendet er, Gott, der Herr der Kirche und der Geschichte, durch die Skandale und Krisen dieser Zeit? Wer oder was wollen wir als Kirche sein? Wer oder was sollen die Amtsträger in der Kirche sein und tun?” Es müsse eine Theologie der Verwundbarkeit geben und eine „Theologie und Spiritualität von Macht – Ohnmacht”.

Zollner weitete in seinem Vortrag immer wieder den Blick von der katholischen Kirche in Deutschland auf die Weltkirche, auf die Bräuche in anderen Kulturen – und dennoch gelte: „Der sexuelle Missbrauch an einem fünfjährigen Kind ist überall in der Welt sexueller Missbrauch an einem Fünfjährigen“, betonte er.

Link zum Rückblick auf den "Thementag Macht".

Elisabeth Meuser