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Bistum Dresden Meissen
(V.l.n.r.:) Pater Hans Zollner im Gespräch mit Prof. Reményi, Dr. Irrgang. © Elisabeth Meuser
21. Februar 2020

Rechenschaftspflicht als Leitfaden der Zukunft

Kirchlicher Thementag setzte sich in Dresden mit dem Zusammenhang von Macht und sexuellem Missbrauch auseinander

Dresden. Es ist der Donnerstag vor Rosenmontag. Weiberfastnacht. Doch nach Karneval steht den rund 130 Gästen der Bildungsveranstaltung „Macht. Verführung und Missbrauch entkommen“ im Dresdner Haus der Kathedrale an diesem Tag nicht der Sinn. Statt Faschingsstimmung herrscht angesichts des Themas nüchterne Fastenzeit-Atmosphäre.

Bischof Heinrich Timmerevers ist sichtlich betroffen, als er zur Begrüßung ans Redepult tritt und zunächst auf die Ereignisse des Vorabends eingeht. Im hessischen Hanau hat ein Attentäter ein Blutbad unter Menschen mit Migrationshintergrund angerichtet. „Der Mord an Walter Lübke, die abscheuliche Tat in Halle und die gestrige Nacht fragen uns als Gesellschaft an: Sind wir sensibel genug, wenn Hass auf andere Religionen und Kulturen unser Miteinander zu durchdringen droht? Fühlen wir uns noch angewidert, wenn subtiler Rassismus den Debattenraum erobert? Schaffen wir es, deutlich anzuprangern, wenn Ansichten dem christlichen Menschenbild zuwiderlaufen? Was wir nicht brauchen, sind Feuerteufel, die auf Marktplätzen den Hass schüren, ihn im Internet befeuern und den Weg in Parlamente suchen, um ihn dort auszubreiten. Ich wünsche mir ein Rückgrat der Menschen in unserem Land, jede Sprache und Methode zu entlarven, die einer solchen Gewalt, wie wir sie heute erlebten, den Vorhof bietet“, so Bischof Heinrich.

Dann geht er auf das eigentliche Thema des Tages ein. Betont, dass zwischen Machtmissbrauch und -gebrauch ein „schmaler Grat“ liege. Und er berichtet, dass er im letzten Jahr mit zehn Opfern sexueller Gewalt gesprochen habe. „Diese Begegnungen haben mich verändert“, so der Bischof von Dresden-Meißen. „Während meiner Amtszeit als Bischof haben mich keine anderen Schilderungen derart betroffen gemacht.“ Vertuschen und Relativierung seien Reaktionen von Verantwortlichen, die beschämten. Heinrich Timmerevers richtet den Blick auf die Frage: Welche Strukturen befördern Machtmissbrauch? In diesem Zusammenhang geht er auch auf den gerade begonnen Synodalen Weg ein. Der Bischof: „Es ist mir ein großes Anliegen, dass Synodalität mehr und mehr Realität in unserem Bistum wird und wir uns darin einüben.“

Rechenschaftspflicht als kirchliche Kultur etablieren

Das Thema der Tagung, zu der die Katholische Akademie gemeinsam mit dem Caritasverband und der Stabsstelle Prävention des Bistums Dresden-Meißen eingeladen hat, bewegt erkennbar auch über die Bistumsgrenzen hinaus. Unter den Gästen sind unter anderem auch zahlreiche Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus dem Bistum Görlitz, darunter Bischof Wolfgang Ipolt.

Jesuitenpater Prof. Hans Zollner, ein international gefragter Experte auf dem Gebiet des Kinderschutzes, übernimmt die Einführung in das Thema. Er stellt dar, dass der Priesterberuf in allen Kulturen von einem besonders respektvollen Bild geprägt sei – auch in der katholischen Kirche. Er wirft die Frage auf, dass „Gewaltenteilung in der Kirche derzeit nicht verwirklicht“ sei. Benennt „Rechenschaftspflicht“ als zentrale Verantwortung, die „als Kultur in der Kirche nicht verbreitet“ sei, aber in Zukunft wahrgenommen werden müsse.

Das 11. Gebot: Vermeide Skandale

Auch das „11. Gebot der Kirche – Vermeide Skandale“ – in dessen Folge es immer wieder zu Bagatellisierungen, Leugnung von Fakten oder Vertuschungen gekommen sei, müsse endgültig der Vergangenheit angehören. So sei es der „#me too“-Bewegung zu verdanken, dass auch in der Kirche Dinge in Bewegung kamen. Pater Zollner nannte die gegenwärtig vornehmlich praktizierte Form der Priesterausbildung „nicht hilfreich“ und forderte stattdessen kleinere Gruppen, die nicht abgesondert, sondern in ihr Umfeld integriert von gut qualifizierten Ausbildern gefördert werden müssten. Für ausführliche Informationen zum Vortrag von Pater Zollner – hier klicken... Auch die monolithische Vorstellung, dass in der Kirche überall alles gleich aussehen müsse, sei erst wenige hundert Jahre alt. „Das Bild der versöhnten Verschiedenheit: da müssen wir schon noch Lockerungsübungen machen“, so der Jesuit.

Prof. Matthias Reményi aus Würzburg weitete angesichts von Verschleierung, Missbrauch und Nicht-Kontrolle von Macht das Thema auf die Frage, ob die Nichtzulassung von Frauen zur Priesterweihe nicht eine „massive geschlechterspezifische Gerechtigkeitslücke“ sei. Kritik sei „die Form, dem Amt zu dienen“, so Reményi, der selbst seit 2009 als Diakon im Erzbistum Freiburg wirkt. Reformprozesse in Deutschland dürften nicht mit Blick auf die Weltkirche ausgebremst werden. Auch wenn „das Diakonat der Frau und Viri Probati auf absehbare Zeit nicht in Sicht“ wären, wünschte er sich „mutige Entscheidungen für den Synodalen Weg“.

Auch Dr. Ulrike Irrgang vom Institut für Katholische Theologie an der TU Dresden betonte in ihrem Beitrag, dass die Auswahl der Priester „nach Fähigkeiten, nicht nach Ausschlusskriterien“ erfolgen solle. Es gebe „keine theologischen Gründe, Frauen die Priesterweihe abzusprechen“. Sie äußerte zudem den Wunsch, die Betroffenen sollten bei der Aufarbeitung der Missbrauchskrise stärker zu Wort kommen.

Die Lösung: Evangelisch werden?

In sieben lässig-provokant vorgetragenen „Lösungsoptionen für die Pastoral“ näherte sich schließlich Prof. Matthias Sellmann aus Bochum dem Thema „Missbrauchte Macht“. Zu seinem Forderungskatalog zählten die „transparente Auswahl und Besetzung aller Leitungsämter“, die kirchliche Trennung von Gesetzgebung und Rechtsprechung, der „Mitentscheid über die Kirchensteuerverwendung“ oder „alle Leitungsämter auf Zeit zu vergeben“. Seine Impulse gipfelte in dem – nicht ganz ernst gemeinten – Vorschlag, doch eventuell „evangelisch zu werden, um der katholischen Kirche zu Veränderungen zu verhelfen“. Prof. Sellmann: „Das hört sich rotzig an, und ich bin auch angefressen.“ Er warf die Frage auf, weshalb das Festhalten an der derzeitigen Form des Priestertums in seiner Bedeutung über den Wert der Eucharistie gestellt werde. „Wir müssen wieder glaubwürdig für die Menschen werden, die bisher nicht die Chance hatten, Gott kennenzulernen, denn darum geht es“, so Sellmann.

In einem Schlusswort formulierte Bischof Timmerevers, dass er Kirche derzeit „als Institution traumatisiert“ erlebe. Persönlich und auch bei seinen Mitbrüdern im Bischofsamt nehme er das Gefühl einer „ganz großen Ohnmacht“ wahr. Der Bischof: „Wahrscheinlich kommen wir nur da raus, wenn wir in der Missbrauchs-Aufarbeitung das Heft des Handelns an unabhängige Frauen und Männer aus der Hand geben.“ Der Synodale Weg könne dabei helfen, aktuelle Fragestellungen anzugehen, und eine Dynamik entwickeln, die „nicht einfach zu den Akten gelegt" werden könne. „Ich glaube, dass es so kommen wird“, so Bischof Heinrich.

Text: Michael Baudisch

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