Beieinanderbleiben
Hirtenwort von Bischof Heinrich zur Österlichen Bußzeit 2024
Liebe Schwestern und Brüder, die vatikanische Audienzhalle, in der sonst in Reih und Glied Stühle stehen, ist leergeräumt. Nur an etwa 35 kreisrunden Tischen sitzen Menschen, Getaufte und Gefirmte, Ordensleute, Priester und Bischöfe aus der ganzen Welt.
Sie sehen einander, hören einander, sie schweigen miteinander, sie beten füreinander, sie sagen einander, was ihnen vom Gesprochenen wertvoll ist. Gemeinsam beraten sie bei der Weltbischofssynode über die Kirche der Zukunft die synodal, das heißt gemeinsam, unterwegs ist. Das tun sie inmitten einer sehr unterschiedlichen Weltkirche, ohne sich dabei aus dem Blick zu verlieren – auch kontrovers.
Schauen wir nach Deutschland. Die Themen des Synodalen Weges hierzulande führen zu erheblichen Diskussionen und lassen uns fragen, wie wir beieinanderbleiben können. Aber nicht nur in der Kirche, sondern auch in unserer Gesellschaft stehen wir vor einer Zerreißprobe. Wie gestalten wir eine menschenwürdige Migration, was dient der Verbesserung sozialer Gerechtigkeit oder was müssen wir jetzt tun, um die Schöpfung zu bewahren?
Wenn wir wieder eine globale Perspektive einnehmen, dann erschüttern uns die andauernden und brutalen Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten.
Wie gehen wir mit diesen konfliktiven Situationen in Welt, Gesellschaft und Kirche um?
In den ersten christlichen Gemeinden war die Frage, wie Zusammenhalt gelingt, immer wieder präsent. So schreibt der Apostel Paulus nicht grundlos:
„Seid demütig, friedfertig und geduldig, ertragt einander in Liebe und bemüht euch, die Einheit des Geistes zu wahren durch das Band des Friedens! Ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen seid zu einer Hoffnung […].“ (Eph 4,2-6)
Einige Verse später beschreibt Paulus das uns bekannte Bild vom Leib mit seinen vielen verschiedenen Gliedern, die es alle in ihrer Eigenheit braucht. Nicht Uniformität, sondern Unterschiedlichkeit im Miteinander.
Als Christen glauben wir, dass Gott selbst tiefste Form solch eines Miteinanders ist. Wir sprechen bei der Dreifaltigkeit von Gott, der Vater, Sohn und Heiliger Geist ist – ein Gott in drei Personen; wesentlich verbunden und doch voneinander unterschieden. Walter Kardinal Kasper folgert daraus: „Entsprechend darf auch das Erscheinungsbild der Kirche nicht eintönig, monolithisch, langweilig sein, es muss vielfältig, bunt, phantasiereich sein. Nur durch solche Vielfalt ist die Kirche Zeichen der Freiheit und Universalität des Evangeliums [...].“ (Walter Kasper, Die Kirche Jesu Christi, Freiburg 2008, S. 400).
Liebe Schwestern und Brüder, wie kann eine Kultur wachsen, die uns beieinanderbleiben lässt?
1. Beieinanderbleiben braucht einen Blick auf das Verbindende
In der ersten Lesung haben wir eindrücklich gehört, wie Gott einen Bund mit uns und „alle[n] Lebewesen, allen Wesen aus Fleisch“ (Gen 9,15b) aufrichtet. Gott rückt nach menschlicher Bosheit und Sintflut mit dem Zeichen des Regenbogens das Verbindende wieder in den Fokus – damals wie heute.
Ich bin davon überzeugt, dass uns als Menschen, aber auch als Christinnen und Christen immer mehr verbindet als uns trennt. Schauen wir auf das, was uns schon gelingt, woran wir durch unsere Taufe gemeinsam glauben, was unser Tun antreibt. Lassen wir uns vor allem nicht davon lähmen, worin wir verschiedener Meinung sind.
Liebe Kinder! Ihr habt als Sternsinger dafür ein tolles Beispiel gegeben. Ihr setzt euch für andere Kinder in Not über alle Ländergrenzen hinweg ein. Ihr erbittet Gottes Segen für die Menschen in den Häusern. Ihr seid eine Gemeinschaft und tut einfach Gutes. So verschieden wie ihr alle seid, habt ihr euch in diesem Jahr gemeinsam für Kinder in Amazonien eingesetzt. Alles andere tritt hier getrost einen Moment zurück, weil das Verbindende so wichtig ist.
Liebe Erwachsene, kann uns das Beispiel der Sternsinger nicht motivieren, trotz aller Individualität Verbindendes zu thematisieren – in Kirche und in Gesellschaft?
2. Beieinanderbleiben kostet uns etwas
Beieinanderbleiben wird nicht ohne unseren bewussten Willen gelingen. Das Geschenk des Miteinanders kommt aus Gott selbst. Aber wir nehmen es nur in dem Maße an, in dem wir von unseren eigenen, absolut gesetzten Ideen absehen und auch bereit sind, unseren damit verbundenen Stolz abzugeben.
Paulus legt uns nahe: „Seid demütig, friedfertig und geduldig, ertragt einander in Liebe.“ (Eph 4,2) Das wirkt im ersten Moment wenig attraktiv, wird uns aber weiterhelfen. Investieren wir in das Beieinanderbleiben, in dem wir nicht nur unsere Perspektiven einbringen. Ich bin überzeugt, wo wir Worte wie Demut, Friedfertigkeit, Geduld und Bereitschaft, einander zu ertragen, mit Leben erfüllen, überwinden wir Gräben, gelingt Versöhnung und Umkehr. Das kostet.
Pointiert wurde uns das heute im Evangelium und am Aschermittwoch bei der Austeilung des Aschekreuzes gesagt: „Kehr um!“ Das heißt: Richtet euer Leben nach dem Evangelium aus. Nehmen wir diesen Aufruf am Beginn der Österlichen Bußzeit ernst. Gehen wir wieder aufeinander zu, wo wir in Konfrontationen festgefahren sind oder den anderen und seine Bedürfnisse aus dem Blick verloren haben.
Ich möchte dafür sensibilisieren, dass eine „Kultur des Beieinanderbleibens“ weder ein frömmelndes Deckmäntelchen über Konflikte, noch ein Zwangsaufruf zu vermeintlicher Harmonie sein sollte. Vielmehr geht es darum, wahrzunehmen, was den Anderen bewegt, vom Leben des Anderen zu lernen und auch ein Stück der eigenen Vorstellungen, der eigenen Bequemlichkeit und vielleicht auch des eigenen Wohlstandes abzugeben.
Zum Beieinanderbleiben gehören auch Gerechtigkeit und Ehrlichkeit. Debatten um gute Lösungen müssen geführt werden, aber so, dass wir einander immer noch in die Augen schauen können. Auch das kostet.
3. Beieinanderbleiben braucht Gebet
Viele Menschen spüren eine große Sehnsucht, trotz aller Individualität doch beieinanderzubleiben. Letztlich liegt dahinter der tiefe Wunsch eines Jeden, angenommen und geliebt zu sein. Das Gebet wird uns helfen, dass wir die Erfüllung dieser Sehnsüchte von Gott her erhoffen und nicht nur durch uns selbst, von anderen Menschen oder vermeintlichen Alternativen zum Heil.
„Im Kreuz Jesu Christi finden wir Heil.“ So werden wir in wenigen Wochen singen und das Kreuz selbst in den Mittelpunkt rücken, das uns der tiefste Ausdruck der Liebe Gottes ist. Jesus ist gestorben am Kreuz – und das für alle.
Je mehr wir die Gemeinschaft mit Gott und untereinander suchen, desto tiefer werden wir in die Gemeinschaft aus Vater, Sohn und Geist hineingenommen. Die Österliche Bußzeit ist eine explizite Einladung dazu. Machen wir uns das Gebet Jesu, „Alle sollen eins sein“ (Joh 17,21), zu eigen.
Liebe Schwestern und Brüder, schauen wir nochmal auf die kreisrunden Tische der Weltsynode in Rom. Hier hat etwas Neues begonnen. Auch in unserem Land haben runde Tische eine große Rolle gespielt, haben Menschen zusammengebracht.
Suchen wir solche Orte,
wo wir auf Verbindendes schauen,
wo wir in ein Beieinanderbleiben investieren,
wo wir gemeinsam die Einheit von Gott erbitten.
Dazu segne Sie, alle Ihnen verbundenen Menschen und unser ganzes Land und alle Menschen, die hier leben, Gott der + Vater und der + Sohn und der + Heilige Geist. Amen.
Dresden, zum 1. Fastensonntag 2024