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Bistum Dresden Meissen
Bischof Heinrich Timmerevers. © Andreas Gäbler
09. März 2025

Mit "Osteraugen" in die Zukunft blicken

Hirtenwort von Bischof Heinrich Timmerevers zur Österlichen Bußzeit 2025

Liebe Schwestern und Brüder,

in diesem Heiligen Jahr besser: liebe Pilgerinnen und Pilger. Papst Franziskus hat in der Christnacht die Heilige Pforte des Petersdoms geöffnet und uns inmitten einer Zeit multipler Krisen und Unsicherheiten eingeladen, „Pilgerinnen und Pilger der Hoffnung“ zu sein.

Zugegeben ist das leichter gesagt, als getan.

1. In das Bistum blicken.

In unserem Bistum erleben wir derzeit die größte Umbruchsphase seit der Friedlichen Revolution. Die fortschreitende Säkularisierung, der Vertrauensverlust infolge der Missbrauchsfälle und der Rückgang finanzieller Zuweisungen aus westdeutschen Diözesen stellen uns vor immense Herausforderungen. In den vergangenen zehn Jahren sind rund 14.000 Gläubige unseres Bistums aus der Kirche ausgetreten – das sind etwa 10 Prozent.

Unser Strategieprozess fordert uns angesichts begrenzter Ressourcen zu schmerzlichen Entscheidungen heraus. Manche lösen verständlicherweise auch Unverständnis aus: Veränderungen wie die Schließung bzw. Teilüberführung der Ehe,- Familien- und Lebensberatung, der Personalabbau auf den verschiedenen Ebenen oder die Neukonzeption des Bildungsguts Schmochtitz St. Benno. Wir tragen diese Veränderungen in Dankbarkeit für das Bisherige und mit Bedauern über Manches, was so nicht fortgesetzt werden kann.

Ein Blick auf das pastorale Personal: Aktuell haben wir im Bistum über 100 Priester, 11 Diakone und 40 Gemeindereferentinnen und -referenten im aktiven Dienst. Wenn alle Priester bis zum 70. Lebensjahr im Dienst bleiben und wir jedes Jahr eine Priesterweihe haben, werden im Jahr 2040 in unserem Bistum etwa 30 Priester wirken. Hinzu kommen rund 30 Frauen und Männer im Dienst als Gemeindereferentinnen und -referenten, wenn sich zweijährlich jemand senden lässt. Es ist abzusehen, dass angesichts von Krankheit oder einem Ausscheiden aus dem Dienst diese Zahlen weit vor 2040 erreicht werden. Schon jetzt spüren wir den Mangel: Wir können nicht mehr alle freiwerdenden Stellen in unseren 37 Pfarreien nachbesetzen. Mir wurde in diesem Zusammenhang schon mehrfach gesagt: „Das Bistum fährt vor die Wand.“

All das bewegt mich sehr und ich vermute, dass auch viele von Ihnen in Kirche, Gesellschaft und auch im Persönlichen Brüche und Unsicherheiten erleben.

Mitten in diese Ernüchterung hinein ruft Papst Franziskus uns zu: „Seid Pilgerinnen und Pilger der Hoffnung!“

2. Als Pilgerin und Pilger der Hoffnung blicken.

Papst Franziskus beschreibt Hoffnung so: „Alle hoffen. Im Herzen eines jeden Menschen lebt die Hoffnung als Wunsch und Erwartung des Guten, auch wenn er nicht weiß, was das Morgen bringen wird.“ (Spes non confundit 1)

Die Hoffnung ist also weder feste Gewissheit noch unrealistische Utopie, deren Erfüllung reiner Zufall wäre. Hoffnung liegt dazwischen. Sie streckt sich nach einer guten Zukunft aus, genährt von der bisherigen Erfahrung des Guten; kurz: das, was Gott uns schenkt.

Der Papst schließt daraus: „Wir müssen daher auf das viele Gute in der Welt achten, um nicht in die Versuchung zu geraten, das Böse und die Gewalt für übermächtig zu halten.“ (Spes non confundit 7)

Ich glaube, diese Versuchung steht derzeit vor vielen Menschen. Es braucht unsere Entscheidung, bewusst auf das Gute zu sehen. Was hilft uns dabei? Ich meine, dass die Haltung eines Pilgers uns weiterführen kann. Das Wort „Pilgern“ stammt vom lateinischen „per agrum“ und bedeutet übertragen „jenseits des Landes sein“, also in der Fremde. Viele aktuelle Veränderungen erscheinen uns fremd und unfreiwillig. Doch der Pilger will ihnen im bewussten Gehen begegnen, wie uns Papst Franziskus erinnert: „Sich auf einen Weg zu begeben, ist typisch für diejenigen, die sich auf die Suche nach dem Sinn des Lebens machen.“ Pilgern „trägt sehr dazu bei, den Wert der Stille, der Anstrengung und der Konzentration auf das Wesentliche wiederzuentdecken.“ (Papst Franziskus, Spes non confundit 5) Ein so gewonnener Abstand hilft sehr, über Unmittelbares hinaus zu schauen, Manches neu in seinem Wert und seiner Bedeutung einzuschätzen und Hoffnung zu schöpfen.

Ich ermutige Sie: Nehmen Sie die innere Haltung eines Pilgers ein. Gehen Sie, wenn möglich, in ihr auch selbst ein Stück des Weges! Besonders heißen wir Sie an unseren Pilgerorten in Dresden, Bautzen, Rosenthal und Wechselburg willkommen. Pilgern Sie alleine, mit Familie, in Gruppen oder als Pfarrei – egal ob für ein paar Stunden, einen Tag oder länger, Sie werden erwartet.

3. Mit „Osteraugen“ blicken.

Ein Pilger der Hoffnung zu sein bedeutet, sich unterwegs neu mit der Gewissheit erfüllen zu lassen: Gott meint es gut mit uns.

Vielleicht stellt sich auf einem Pilgerweg auch die persönliche Frage: Lebe ich so, wie Gott es sich in seinem guten Plan für mich gedacht hat? Neben allem Guten wird uns auch bewusst, was noch unvollkommen ist. Das Sakrament der Versöhnung bietet insbesondere im Heiligen Jahr die Möglichkeit, Vergebung zu erfahren – selbst für das, was wir nicht wieder gut machen können – und neu anzufangen. Gerade unsere Pilger- und Ablasskirchen laden ein, Gottes Barmherzigkeit in diesem Sakrament zu empfangen.

Wie gut, dass wir so unsere Begrenzungen als Wandlungsorte erfahren können. Mit „Osteraugen" – so ein Wort des verstorbenen Bischofs Klaus Hemmerle – haben wir Karfreitag und Ostern im Blick, sehen Tod und Auferstehung zusammen. Bischof Hemmerle formuliert es so:

„Ich wünsche uns Osteraugen,
die im Tod bis zum Leben sehen,
in der Schuld bis zur Vergebung,
in der Trennung bis zur Einheit,
in den Wunden bis zur Heilung.
Ich wünsche uns Osteraugen,
die im Menschen bis zu Gott,
in Gott bis zum Menschen,
im ICH bis zum DU
zu sehen vermögen.“

Mit diesem Blick entdecke ich in unserem Bistum trotz vieler Abbrüche auch Aufbrüche. Ich sehe enormes Engagement vieler Ehrenamtlicher, die wesentliche Teile der Pastoral tragen und ihr Getauft- und Gefirmt-sein entfalten – auch in den Räten der Pfarreien und Gemeinden; ich sehe pastorale Projekte der zusammenwachsenden Pfarreien, die Menschen zusammenführen und begeistern; ich sehe neue und alte Dienste hinsichtlich der Liturgie, aber auch der geistlichen Begleitung wachsen; ich habe noch die mehr als 700 Ministrantinnen und Ministranten und ihre Begleiterinnen und Begleiter bei der Romwallfahrt 2024 vor Augen; ich sehe wertvolle Berührungspunkte der karitativen Dienste an den Menschen; ich sehe eine steigende Zahl Bewerber für den Ständigen Diakonat; ich sehe in diesem Jahr über 40 Erwachsene, die sich taufen lassen und bei denen wir Gott beim Wirken nur zuschauen können; ich sehe in unseren Kirchenbänken wachsende Zahlen an Christen der Weltkirche sitzen; ich sehe viele engagierte Lernende und Lehrende an unseren Schulen; ich sehe, dass Seelsorgerinnen und Seelsorger in Krankenhäusern, in Gefängnissen und bei der Polizei einen wertvollen Dienst an den Menschen tun und dieser Dienst wertgeschätzt wird; ich habe entschiedenes Eintreten im Voraus der Wahl für Menschenwürde, Nächstenliebe und Zusammenhalt wahrgenommen; ich sehe nicht zuletzt hingebungsvolle Priester, Diakone, Gemeindereferentinnen und -referenten und Ordenschristen. Es gib viel Grund zur Hoffnung.

Liebe Schwestern und Brüder, wir fahren nicht vor die Wand. Die Worte eines Hochgebets sprechen mir aus dem Herzen: „Du lässt uns niemals allein auf unserm Weg und bist immer da für uns. Einst hast du Israel, dein Volk, mit starker Hand durch die weglose Wüste geleitet. Heute führst du deine pilgernde Kirche in der Kraft des Heiligen Geistes. Du bahnst ihr den Weg durch diese Zeit in die ewige Freude deines Reiches.“ (Hochgebet für besondere Anliegen, Gott führt die Kirche). Geben wir in dieser Gewissheit auch unser „Ja“ für den Weg Gottes mit uns. Es ist unsere bewusste und persönliche Entscheidung, Hoffnungsperspektiven zu suchen und zuzulassen. Wenden wir uns ab vom „Unglauben“, dass die Kirche und unser Glaube am Ende seien. Werden wir viel mehr als Pilgerinnen und Pilger der Hoffnung lebendige und engagierte Weggefährten in einer Kirche, die weiß: sie ist selbst „unterwegs“. Die 40 Tage vor Ostern sind sicher eine gute Zeit dafür.

Dazu segne Sie, alle mit Ihnen verbundene Menschen, unser ganzes Land und alle Menschen, die hier leben, Gott der + Vater und der + Sohn und der + Heilige Geist. Amen.

Dresden, zum 1. Fastensonntag 2025

+ Heinrich Timmerevers
Bischof von Dresden-Meißen

Das Hirtenwort zum Anhören:



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