„Pfarrer, hast du kein Salz?“ - oder: Aus dem Leben eines böhmischen Landpfarrers auf Zeit
Geraer Pfarrer Bertram Wolf zieht Bilanz nach Kanzeltausch mit tschechischem Kollegen
Stribo (Tschechien)/Gera. Ein Blick über den Tellerrand kann oft bereichernd sein – das dachte sich auch Pfarrer Bertram Wolf, als er im Rahmen eines Pfarrertauschs zehn Tage in der westböhmischen Pfarrei Stribro verbrachte. Währenddessen übernahm sein tschechischer Kollege Pater Miroslav Martis die seelsorgerischen Aufgaben in Gera. Neben liturgischen Verpflichtungen ermöglichte der Aufenthalt auch spannende Einblicke in die kirchliche Situation des jeweiligen Nachbarlands.
Ein Bericht von Dekan Bertram Wolf, Gera
Das Benzin billiger und böhmisches Essen lecker und preiswert ist, das wissen Deutsche am Nachbarland zu schätzen. Wie aber sieht die kirchliche Situation aus? Im Rahmen des Pfarrertausches zwischen Ostthüringen und Westböhmen bekam ich vom 20. bis 31. Januar einen kleinen Einblick ins Nachbarbistum Pilsen. Während Pater Miroslav Martis in Gera Dienste versah, überließ er mir das Pfarrhaus Stribro samt Kater Bertik. Das Programm enthielt neun Gottesdienste an fünf Orten, eine Verabredung im Rathaus, ein Besuch bei Pater Augustin im Stift Tepl und im Bischöflichen Ordinariat Pilsen.
Synodaler Aufbruch in Tschechien
Bereits in der Vorbereitung des Austausches fielen mir in den Kirchen Plakate mit der Aufschrift „Meister, wo wohnst du?“ auf, mit denen auf die Synode des Bistums hingewiesen wurde. So nutzte ich die geschenkte Zeit, das Abschlussdokument der 1. Etappe zu lesen. Mit jedem übersetzten Abschnitt wuchsen Interesse und Begeisterung. Hier hat eine Ortskirche den Aufruf des Papstes zu Synodalität ernst genommen. In einem ersten Schritt hat man sich über die Situation verständigt. Unter der Überschrift: „Gemeinsam mit Hoffnung - Leben in Christus inmitten heutiger Realität“ wird in den drei Perspektiven Mission, Organisation und Wirtschaft ein gemeinsames Verständnis gewonnen. Im Vorfeld gab es ein Hirtenwort des Bischofs. Eine Fragebogenaktion an alle Gemeinden und Gemeinschaften mit erstaunlichem Rücklauf sowie Analysen bildeten die Grundlage des Textes.
Sehr praxisnah werden Orte von Mission benannt: Persönliche Begegnungen, Gottesdienste, niedrigschwellige Angebote. Dabei wird der Kontrast benannt, dass zwar alle durch die Taufe Missionare sind, aber die Pfarrer als die Hauptinitiatoren angesehen werden. Laut Volkszählung 2021 leben auf dem Gebiet des Bistums Pilsen 4,5 % Katholiken. Daher wird es Missionsland genannt. Die Synodalen fragen aber ausdrücklich, wo und wie die Mission das Leben im Bistum beeinflusst.
Mit einem Eingeständnis beginnt der zweite Teil zur pastoralen Organisation. Die Pfarrer nähmen die Schlüsselrolle ein, seien aber gleichzeitig überfordert. Eine Soziologin führte dazu als Vorarbeit zwanzig Tiefeninterviews mit ihnen. Daraus stammt auch der Titel: „Pfarrer, hast du keine Salz?“ – Eine Frage, die ein Obdachloser an einer Pfarrhaustür im wortwörtlich gemeinten Sinn an den Seelsorger richtete, die aber durchaus auch nach dem biblischen Symbol des Salzes verstanden werden kann. Bei der weiteren Darstellung der Pastoral mit der Beschreibung der Situation der Pfarreien, Kategorialen Seelsorge und den Bistumsdiensten sprang mich die Vergleichbarkeit der Situation diesseits und jenseits der Grenze regelrecht an. Hier aber stellt man mutig die Frage: Wenn die Zahl der Gläubigen und Priester kontinuierlich abnimmt, die Fläche aber gleich bleibt - passt dann die Organisation noch zur Mission?
Synode mit ermutigenden Signalen
Im dritten Teil wird die wirtschaftliche Situation klar benannt. Vor dem Hintergrund des jahrzehntelangen Streites um die Rückgabe der kirchlichen Güter und dem Auslaufen der Staatsleistungen 2030 geschieht dies ohne Dramatisierung. Mir sehr bekannte Fragen – etwa nach dem rechten Maß von Kontrolle und Unterstützung der Bistumsebene gegenüber den Pfarreien – werden kritisch beleuchtet.
Nach der Lektüre hatte ich auch die Möglichkeit, die Delegierte aus der Pfarrei Stribro zu sprechen. Frau Buchova war sehr vom Aufeinander-Hören bei der Versammlung in Johannistal (Bildungshaus im benachbarten Partnerbistum Regensburg) angetan und bekräftigte die Notwendigkeit dieses Prozesses. Mit drei Vertreterinnen des Synodenteams und Generalvikar Hruska traf ich im Ordinariat zusammen. Dabei wurde deutlich, dass Pilsen in dieser Vorreiterrolle in Tschechien dankbar für die Unterstützung der Weltsynode ist. Sie hatten gerade einen Studientag in Prag mit Kardinal Grech, den sie ermutigend fanden. Ich musste sehr an die Meißner Synode denken. Ich bekam die Erlaubnis, eine Arbeitsübersetzung zu erstellen und zur Korrektur zuzusenden. Mit Blick auf die eigene Situation hat mich das Gespräch sehr bewegt. Ich bewundere den Mut und die hohe Fachlichkeit.
Glaube im Alltag – Begegnungen in der Pfarrei
Nun ist Papier geduldig. Konnte ich etwas synodalen Geist auch in der Landpfarrei Stribro erleben? Hier sind die Gottesdienste in den wiederhergestellten Barockkirchen der Dörfer und kleinen Städte bzw. wochentags im Pfarrhaus. Normalerweise bringt immer jemand zu essen mit. So ergibt sich bei der Agape nach der Messe schnell ein lebendiges Gespräch. Trotz meines limitierten Tschechisch kamen wir schnell ins Reden über sozialistische Zeit und dann die offene Grenze, über die Arbeitssituation heute (auch hier gibt es einen Fachkräftemangel, der durch Arbeitskräfte etwa aus der Ukraine, Vietnam und den Philippinen zu decken versucht wird), über die ehemaligen deutschen Bewohner, die vieles wieder aufgebaut haben und nun langsam aussterben, die Enkel und Kinder und vieles mehr. Als ich in Svojsin nach der dritten Messe am Sonntagnachmittag mir ein Herz fasste, mal nach der Synode zu fragen, begann ein lebendiges Gespräch. Die jüngeren Frauen ergriffen die Initiative pro Synode.
Der Vizebürgermeister von Stribro nahm sich für mich viel Zeit und zeigte mir die zwei Kirchen, die gegenwärtig schön rekonstruiert auf der Suche nach einer Bestimmung sind. Es gibt im Sommer Konzerte, die gut angenommen werden. Pater Miroslav gestaltereine Wallfahrt und eine Messfeier zum Patronatsfest, aber es werden noch Ideen gesucht. Auch hier konnte ich gut anschließen, hatten wir doch selbst eine thematische Reihe zur Frage der Kirchenumnutzungen in der Ökumenischen Akademie Gera/Altenburg ausgerichtet. Der Leiter der Musikschule F. Kratochvil ist engagierter Katholik und Vorsitzender von Pfarrei- und Wirtschaftsrat. Er berichtete mir von seinem Brückenbauen zwischen Kirche und Kommune.
Kirchliches Engagement in der tschechischen Gesellschaft
Die Ortscaritas betreibt in Stribro ein kleines Altersheim mit 15 Plätzen und eine Sozialstation. Die Leiterin Frau Stredova erzählte, wie sie die Dreikönigsaktion mit der Grundschule organisiert. Zehn Gruppen werden eingewiesen, der Sinn des K+M+B erläutert und dann Rathaus, Firmen, Geschäfte und einzelne Häuser abgeklappert. Hier ist das Sternsingen in der Hand der Caritas, die damit eine wichtige Einnahmequelle sichert. Vom Erlös bekommt freilich auch die Schule einen Teil für ihren Sozialfond. Auch im Sozialbereich werden händeringend Arbeitskräfte gesucht. Im Gespräch mit der Caritas-Chefin tauchte dann auch zum ersten Mal das Thema Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine auf. Hier sind schon seit den 90iger Jahren viele ukrainische Arbeiter, viele haben nun ihre Familien nachgeholt. Aber zusätzlich sind sehr viele Flüchtlinge gekommen, so dass einmal in der Woche in Zusammenarbeit mit Supermärkten eine Art Tafel mit Lebensmittelspenden bei der Caritas stattfindet.
Die zehn Tage ermöglichten mir, was sonst Exerzitien vorbehalten ist: Ich konnte aus dem Getriebe heraustreten und einmal Gedanken zu Ende denken. Ich habe mir jeden Tag neben dem deutsch/tschechisch wechselnden Stundengebet eine Stunde Zeit zum Gedankenaufschreiben verordnet, um die Eindrücke zu verarbeiten. Freude – aber auch Mühe – bereitete mir, die bekannten Texte in einer anderen Sprache zu lesen und sprechen. Ich bekam Demut vor dem, was Priester der Weltkirche in Deutschland leisten.
Ob aus dem Pfarrertausch weitere Begegnungen hervorgehen, kann ich derzeit noch nicht einschätzen. Ich würde gern den Fortgang der Synode verfolgen. Anlässe für Einladungen zwischen den Gemeinden wird es sicher geben.