„Polen und Deutsche brauchen einander“
Bischöfe beider Länder begehen in Breslau den 60. Jahrestag des Briefwechsels zur Versöhnung
Breslau. Heute, am 18. November 2025, jährt sich zum 60. Mal der Beginn des Briefwechsels zwischen den polnischen und den deutschen Bischöfen. 20 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg luden die beim Zweiten Vatikanischen Konzil anwesenden Bischöfe aus Polen ihre deutschen Mitbrüder zur Millenniumsfeier der Christianisierung Polens ein. Sie verbanden diese Geste mit einer Betrachtung der gemeinsamen Geschichte beider Völker, die in eine Versöhnungsbotschaft nach den Schrecken des Krieges und der deutschen Okkupation mündete. Der Satz „Wir vergeben und bitten und Vergebung“ ist in das historische Gedächtnis der beiden Nationen und Europas eingegangen. In ihrer Antwort griffen die deutschen Bischöfe die Versöhnungsbotschaft auf und erklärten, die ihnen entgegengestreckten Hände dankbar ergreifen zu wollen. Der Botschaft der polnischen Bischöfe und der Antwort der deutschen Seite war keine sofortige positive Rezeption in den jeweiligen Ländern beschieden. Bereits nach wenigen Jahren wurde der Briefwechsel jedoch als epochales Ereignis eingeschätzt, als zentrales Moment einer historischen Bewegung, die in Europa trotz aller Konfrontation Entspannung und Versöhnung anbahnen half.
Um diese Ereignisse zu würdigen, gemeinsam an das seither im Verhältnis von Polen und Deutschen Erreichte zu erinnern und den Blick zugleich auf die neuen Herausforderungen in einem abermals kriegsbeladenen Europa zu richten, sind Delegationen der Polnischen und der Deutschen Bischofskonferenz am heutigen Tag in Breslau zusammengekommen. Im Mittelpunkt standen ein Festakt am Denkmal für den Breslauer Kardinal Bolesław Kominek, der als Hauptverfasser des polnischen Briefes verehrt wird, ein Festgottesdienst in der Kathedrale St. Johannes der Täufer sowie die Unterzeichnung einer Gemeinsamen Erklärung der Vorsitzenden beider Bischofskonferenzen.
Verständnis von Versöhnung
Beim Festakt sprachen neben den Vorsitzenden beider Bischofskonferenzen von staatlicher Seite der Staatsekretär im polnischen Außenministerium, Wojciech Jacek Zajączkowski, und der Polen-Beauftragte der deutschen Bundesregierung, Knut Abraham. Darüber hinaus wurde eine aus Anlass des 60. Jahrestages vom Senat der Republik Polen verabschiedete Resolution verlesen. Die Ansprachen der beiden Kirchenvertreter stellten Mut und Weitsicht des späteren Kardinals Kominek heraus, der durch die Initiierung des Briefwechsels zu einer herausragenden Gestalt des europäischen Katholizismus in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geworden sei.
In seiner Predigt in der Eucharistiefeier erläuterte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Georg Bätzing, anhand der Seligpreisungen Jesu das christliche Verständnis von Versöhnung, das sich auch im Briefwechsel von 1965 spiegele. Die Bezeugung dieser Versöhnung sei keine politische Strategie, könne aber, gerade weil sie sich der Logik der Welt entziehe und entgegensetze, erhebliche politische Folgen zeitigen. Dies erweise sich in der Rezeptionsgeschichte des Briefwechsels.
Auch die Gemeinsame Erklärung mit dem Titel Mut zur ausgestreckten Hand erinnert an die politische Bedeutung des Briefwechsels. Sie wurde vom Vorsitzenden der Polnischen Bischofskonferenz, Erzbischof Tadeusz Wojda, und von Bischof Bätzing unterschrieben: „So leisteten die Briefe schließlich auch einen gewichtigen Beitrag für den Weg einer politischen Verständigung, die zur Anerkennung der Staatsgrenze an Oder und Neiße und zu weiteren Schritten zu guter Nachbarschaft zwischen Polen und Deutschen führte.“ Ausdrücklich wird in diesem Zusammenhang auf die wirksamen Beiträge der Evangelischen Kirche in Deutschland und auf Initiativen „aus dem Raum der katholischen Kirche“ in diesem Prozess hingewiesen. Die Erklärung stellt klar vor Augen, dass der Versöhnungsprozess zwischen Polen und Deutschen nicht abgeschlossen ist: „Die historischen Verletzungen prägen unsere Gegenwart bis heute.“ In sehr entschiedenen Worten wehren sich die Vorsitzenden der Bischofskonferenzen gegen alle Versuche der politischen Ausbeutung weiter bestehender Spannungen: „Manche politischen Akteure versuchen, das immer noch Schmerzende und das historisch Unabgegoltene politisch zu nutzen. Für uns ist klar: Politische Spiele mit den historischen Verletzungen widersprechen dem Geist der Versöhnung, wie er im Briefwechsel zum Ausdruck kam.“
Gemeinsam der Gewalt entgegentreten
Mit Blick auf die heutige politische Lage spricht die Gemeinsame Erklärung von der „Hoffnung auf Versöhnung für Europa und die Welt“. Nachdrücklich widersetzt sie sich Tendenzen der nationalen Abschottung, die die heutige Zeit prägen: „Der Versuchung, sich auf nationale Sonderwege zu begeben und sich international von der Politik der regelbasierten Zusammenarbeit zu verabschieden, gilt es zu widerstehen. Die europäische Idee, einen gemeinsamen Raum des Rechts und des Friedens zu schaffen, ist weiterhin zentral.“ Auf dieser Linie liegt auch die Verurteilung des russischen Kriegs gegen die Ukraine. Die Bischöfe zeigen sich „von der Notwendigkeit überzeugt, dass Europa gemeinsam der Gewalt entgegentreten muss. Praktische Solidarität mit den Angegriffenen und Mitgefühl mit allen Opfern des Krieges sind gefordert.“
In seinem Statement bei der Pressekonferenz knüpfte Bischof Bätzing an diese Aussagen der Gemeinsamen Erklärung an und bedauerte die oft unzureichende Dynamik in den polnisch-deutschen Beziehungen. Zwar dürfe „das erreichte Maß an guter Nachbarschaft und Normalität“ nicht gering geschätzt werden. „Aber: Mit dem bloßen Ausruhen auf den Meriten der Vergangenheit, mit einer gepflegten Langeweile in den Beziehungen zwischen den Staaten, zwischen den Gesellschaften und vielleicht auch in der Kirche (…) ist die Zukunft nicht zu gewinnen.“ Vielmehr gelte: „Polen und Deutschland brauchen einander – und sie werden gebraucht: in vielerlei Hinsicht, vor allem aber für den Aufbau eines Europas, das für uns alle der Garant für Sicherheit und Frieden, für Freiheit und soziale Gerechtigkeit sein soll.“ Auf diesem Weg sei auch das gemeinsame Zeugnis der Kirche in Polen und in Deutschland gefordert. „Denn wenn sie mit einer Stimme spricht, vermag sie eine wirksame ethische Orientierung in die Debatten hineinzutragen, die Maß nimmt am Evangelium.“
Die Polnische Bischofskonferenz ist neben Erzbischof Wojda unter anderem von Kardinal Grzegorz Wojciech Ryś (Krakau), Erzbischof Dr. Józef Kupny (Breslau) und Erzbischof Stanisław Budzik (Lublin) vertreten. Der deutschen Delegation gehören neben Bischof Bätzing Kardinal Rainer Maria Woelki (Köln), Erzbischof Dr. Heiner Koch (Berlin), Bischof Dr. Bertram Meier (Augsburg), Bischof Wolfgang Ipolt (Görlitz), Bischof Heinrich Timmerevers (Dresden-Meißen), Weihbischof Rolf Steinhäuser (Köln) und die Generalsekretärin der Deutschen Bischofskonferenz, Dr. Beate Gilles (Bonn), an.