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Bistum Dresden Meissen
Symbole der drei abrahamitischen Religionen an einer Hauswand. © Foto von Noah Holm auf Unsplash
09. November 2023

Bischof Neymeyr und Aiman Mazyek über den Kampf gegen den Antisemitismus

im Podcast „Mit Herz und Haltung“

Dresden. „Was uns jetzt vereint [...] ist, dass wir uns von dieser schlimmen Katastrophe, die das Heilige Land heimgesucht hat, nicht auseinanderdividieren lassen“, erklärt der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, im Podcast „Mit Herz und Haltung“ der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen. Angesichts des Angriffs der Hamas am 7. Oktober und der sich anschließenden Welle antisemitischer Delikte in Deutschland gelte es, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zwischen den einzelnen Religionsgemeinschaften zu stärken. Trotz der schwierigen Umstände sei es entscheidend, „den Gedanken der Versöhnung, des Friedens, des Gebets, der Empathie und des Mitleids“ gerade jetzt zu pflegen: „Wir werden nicht den Nahostkonflikt lösen, aber wir können schon als Religionsgemeinschaften auf unsere Anhänger und Gemeinden einwirken“, so Mazyek.

Bischof Dr. Ulrich Neymeyr: „Das Entsetzen darüber darf nicht verblassen.“

Der Erfurter Bischof Dr. Ulrich Neymeyr, Vorsitzender der Unterkommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum der Deutschen Bischofskonferenz und weiterer Gesprächspartner in der aktuellen Folge von „Mit Herz und Haltung“, unterstrich, dass „unsere jüdischen Partner […] völlig zurecht erwarten, dass wir mithelfen, dass das Erschrecken über das Massaker vom 7. Oktober nicht so schnell verblasst, wie es tatsächlich verblasst“. Er warnte davor, dass in den Auseinandersetzungen über die aktuelle israelische Kriegsführung im Gaza-Streifen und deren Legitimität zu schnell vergessen werde, „was für ein grausames Massaker das war“: Beinahe hätte er den Eindruck, „dass das für unsere Gesellschaft schon abgehakt ist, und das darf nicht passieren.“ Ähnliches gelte für das Schicksal der von der Hamas verschleppten Geiseln. Bei dem Angriff der Hamas auf die israelische Zivilbevölkerung habe es sich um ein mit dem Mittelalter vergleichbares Pogrom gehandelt: „Das Entsetzen und das Erschrecken darüber darf nicht verblassen, dass so etwas möglich ist und möglich war im Jahr 2023. Daran dürfen wir uns nicht gewöhnen.“

Aiman Mazyek und Bischof Neymeyr im Interview zum 85. Jahrestag der Novemberpogrome

Am 9. November 2023 jähren sich die nationalsozialistischen Novemberpogrome des Jahres 1938 zum 85. Mal. Mit dem Massaker, das die Terrororganisation Hamas am 7. Oktober in israelischen Städten und Kibbuzim unweit des Gazastreifens verübte, und dem anschließenden Anstieg antisemitischer Straftaten auch in Deutschland steht das Gedenken in diesem Jahr unter einem erschreckend aktuellen Vorzeichen. Die Katholische Akademie des Bistums Dresden-Meißen hatte deshalb mit Bischof Dr. Ulrich Neymeyr und Aiman Mazyek zwei religiöse Spitzenvertreter eingeladen, sich im Podcast dazu zu äußern, was Christ*innen und Muslim*innen zum Kampf gegen Antisemitismus und für den Schutz jüdischen Lebens in Deutschland beitragen können.

Bischof Neymeyr: Erschreckender Antisemitismus und Verpflichtung der Mehrheitsgesellschaft zum Schutz jüdischer Mitbürger

Bischof Neymeyr betonte im Interview, die Juden, die es in Deutschland gebe, seien auf den Schutz der Mehrheitsgesellschaft angewiesen. Diese Verpflichtung gelte es angesichts der antisemitischen Anfeindungen in ganz Westeuropa, die mancherorts gegenwärtig noch drastischer seien als in Deutschland, im öffentlichen Bewusstsein stark zu machen: „Ich finde erschreckend, was an Antisemitismus zu Tage tritt. Auf einmal vereint sich der muslimische Antisemitismus mit dem deutschen – den wir gerne als rechtsradikal bezeichnen, aber ich bezeichne ihn lieber mit dem ‚deutschen‘ Antisemitismus.“ Denn Antisemitismus sei auch in Deutschland „in den letzten Jahren immer hoffähiger“ geworden, so der Bischof. Die „Causa Aiwanger“ sei „ein Hinweis darauf, wie Menschen in unserer Gesellschaft denken, wie schnell sie auch bereit sind, schlimme Judenwitze als eine Jugendsünde abzutun und sich nicht wirklich damit auseinanderzusetzen. Da ist schon etwas gewachsen, was mir große Sorge macht und wo wir wirklich überlegen müssen, wie wir dagegen angehen können.“

Dem christlichen Religionsunterricht in Deutschland kommt aus der Sicht des Bischofs dabei eine entscheidende Bedeutung im Kampf gegen einen lange tradierten christlichen Antijudaismus, gegen Antisemitismus sowie gegen Verschwörungsideologien zu, etwa indem er darüber aufkläre, in welchem Verhältnis jüdische Identität und jüdischer Glaube zueinander stünden, die keineswegs deckungsgleich seien.

Aiman Mazyek: Verpflichtung, Antisemitismus als Muslime theologisch zurückzuweisen

Aiman Mazyek grenzte sich im Interview klar von antisemitischen Vorfällen auf antiisraelischen Demonstrationen ab. Der Nahostkonflikt sei für zahlreiche extreme Gruppen zu einer „Projektionsfläche für ihre kranken Ideologien“ geworden. Plötzlich würden Dinge ausgesprochen, die man sich davor nicht zu sagen getraut hätte. Dies sei durchaus mit der Situation nach dem 11. September 2001 vergleichbar.

Eine Möglichkeit, Antisemitismus seitens der muslimischen Verbände zu begegnen, bestehe darin, diesen einer dezidiert theologischen Kritik zu unterziehen: Die Ablehnung von Antisemitismus sei „kein politischer Slogan, sondern eine Frage der richtigen Glaubensausübung bzw. -auslegung“: „Jede Form von Rassismus, Chauvinismus und Menschenfeindlichkeit ist eine Sünde und ist zu bekämpfen.“ Insbesondere Menschen mit jüdischem und christlichem Hintergrund seien Muslim*innen noch einmal besonders nahe, da auch sie nach der Lehre des Koran mit einer Offenbarung versehen sind. „Wer versucht einen politischen Konflikt, der nicht gelöst ist, auszunutzen, um gegeneinander auszuspielen, der handelt, wenn er sich als Muslim bezeichnet, in erster Linie gegen seinen eigenen Islam und Glauben“, so Mazyek.

Aiman Mazyek: Muslimisch-jüdischer Dialog darf nicht untergraben werden

Der muslimisch-jüdische Dialog hätte in den vergangenen Jahren „viele gute Entwicklungen gemacht“. Nun müsse man „aufpassen, dass nicht durch die Kriegssituation das alles untergraben wird“. Auf jüdischer Seite erlebe er „verständlicherweise viel Frust, Misstrauen und Enttäuschung“. Gerade jetzt gelte es, die Gespräche und Dialoge auf unterschiedlichen Ebenen „weiter fortzusetzen und zu intensivieren“. Zugleich verwies Mazyek auf die Herausforderung, wie es in den muslimischen Gemeinden gelingen könne, mit „Trauer, Angst und Verzweiflung vieler Menschen muslimischen Glaubens, die Verwandte oder Bekannte in Gaza verloren haben“, umzugehen.

Zuletzt konstatierte er, es gebe auch eine Vielzahl von „Menschen mit Migrationshintergrund, die wir nicht erreichen“, was aber in der allgemeinen Diskussion zu leicht „umgemünzt werde als Kritik an die muslimischen Verbände“. Damit mache man es sich jedoch zu einfach. Denn eine „Sündenbockdiskussion“ helfe nur „Extremisten weiter, damit die Gesellschaften weiter auseinanderdriften“.

Die vollständige Episode ist abrufbar unter www.lebendig-akademisch.de/podcast und in allen gängigen Podcast-Playern wie Spotify, YouTube oder Apple Podcasts.