Die Corona-Impfung: Gerechtfertigte Euphorie?
Eine ethische und medizinische Einschätzung zu den Herausforderungen der Impfung
Dresden. Aus Anlass der Entscheidung der Europäischen Arzneimittel-Agentur über die Zulassung des ersten Corona-Impfstoffs veröffentlicht „Mit Herz und Haltung“, der Podcast der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen, eine neue Episode. Es diskutieren Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery, Vorsitzender des Vorstandes des Weltärztebundes und Ehrenpräsident der Bundesärztekammer, und Prof. Dr. Franz-Josef Bormann, Professor für Moraltheologie und Mitglied des Deutschen Ethikrates, über die Kriterien der Impfpriorisierung, mögliche Privilegien für Immune und den voraussichtlichen Pandemieverlauf im kommenden Jahr.
Mit der Bekanntgabe erster Erfolge bei der Entwicklung wirksamer Corona-Vakzine im Sommer wurden die Hoffnungen auf ein baldiges Pandemie-Ende genährt. Heute stellt die Europäische Arzneimittel-Agentur ihr Gutachten zu Biontechs Corona-Impfstoff vor. Angesichts der impfkritischen Stimmen und der aktuellen Berichte über Virusmutationen stellt sich die Frage nach dem tatsächlichen Erfolg der Impfstrategie und der ethischen Begründbarkeit eines Immunitätsnachweises.
Verfrühte Hoffnung
Laut Frank Ulrich Montgomery sind Pandemien als neue Realität zu betrachten, die u.a. durch Globalisierung und erhöhte Mobilität befördert werden. „Nach dieser Pandemie ist vor der nächsten“, so Montgomery. Auch der Verlauf der Corona-Pandemie werde mit dem Impfstoff nicht von heute auf morgen gestoppt. Vielmehr werde das Jahr 2021 ähnlich wie das Jahr 2020 von Abstands- und Hygieneregeln geprägt sein. Auch die Virusmutationen erschweren ein baldiges Pandemie-Ende: „Wenn Sie jetzt […] nach Südafrika und Großbritannien gucken: […] angeblich sollen die Impfungen dagegen wirken. Ich weiß nicht, woher Boris Johnson dieses Wissen hat“, sagt Montgomery. „Wir werden selbst unter den besten Bedingungen mindestens bis Ende nächsten Jahres brauchen, um die 50-60 % Menschen […] zu impfen, die bereit sind, sich impfen zu lassen. Wenn wir sagen, 60% der Bevölkerung lassen sich impfen und davon sind etwa 10 % Impfversager - das ist nämlich die aktuelle Quote bei den Impfungen – dann haben wir am Ende nächsten Jahres immer noch 38 Millionen nicht immun-kompetenter Menschen unter uns“, bemerkt er kritisch.
Ein Immunitätsnachweis könne aber ein geeignetes Mittel sein, um Wirtschaft und die Gesundheit der Bevölkerung zu vereinbaren, so der Moraltheologe Bormann. In einem freiheitlichen Staat könne es „Handlungsfelder geben, auf denen man durchaus auch Vorzüge aus dem Impfstatus ziehen kann“, sagt er. Die damit einhergehenden Privilegien, wie beispielsweise der Restaurantbesuch, können Anreize zur Impfung schaffen, äußert Montgomery. Beide betonen die Wichtigkeit einer globalen Ausrichtung bei der Pandemiebekämpfung und verweisen auf die Fragen der Verteilungsgerechtigkeit, die sich im Zusammenhang mit dem Impfstoff stellen.
Das ganze Gespräch zum Nachhören finden Sie hier: https://www.katholische-akademie-dresden.de/formate/podcast sowie in allen Podcast-Playern.
Bildungspodcast „Mit Herz und Haltung“
Im Bildungspodcast „Mit Herz und Haltung“ der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen nehmen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens sowie Expertinnen und Experten verschiedener Fachdisziplinen Stellung zu den wissenschaftlichen, gesellschaftlichen, kulturellen und kirchlichen Fragestellungen. Neue Folgen erscheinen in regelmäßigen Abständen auf Spotify, Deezer, Apple Podcasts, YouTube sowie auf den Websites der Akademie (www.lebendig-akademisch.de) und des Bistums (www.bistum-dresden-meissen.de).
Bislang sind über 60 Folgen erschienen.